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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 29.1935

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https://doi.org/10.11588/diglit.14176#0301
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BESPRECHUNGEN

287

Umdichtung sein muß, treten die Varianten persönlicher Wendung in Inhalt und
Form mit besonderer Klarheit hervor.

Die Auswahl — ein Teilbestand von Sammelarbeiten des Berliner Germanischen
Seminars — bringt die Übertragung des 23. Psalms und weiter solche nach Pindar,
Anakreon, Catull, Horaz, Hrabanus Maurus, Walther von der Vogelweide, Petrarca,
Buonarotti, Shakespeare, Jakob Balde, der Edward-Ballade, Macpherson, Burns, Bau-
delaire, Verlaine, Swinburne. Die Übersetzer — es handelt sich keineswegs nur um
die Größten aus dem Reich der Literatur — sind aus einem Zeitraum gewählt, der
sich vom 15. Jahrhundert bis auf die Gegenwart erstreckt.

Sowohl von der Wahl des Originals her wie von der Mannigfaltigkeit der Über-
setzertypen aus ist das Dargebotene derartig anregend, daß man sich der Ver-
suchung kaum entziehen kann, das Material unmittelbar in irgend einer Hinsicht zu
verarbeiten. Die Gebrochenheit eines Themas am Spiegel verschiedener künstlerischer
Individualitäten, die mehr oder weniger adäquate Umschreibung eines Urgehalts und
einer Urform kann man sich in diesen doch nicht allzu umfassenden Rahmen kaum
eindringlicher zum Bewußtsein gebracht denken.

Hier können von dem Ausmaß der Verwendbarkeit des Ganzen und von den
Anregungen, die es bietet, nur Andeutungen gegeben werden. Wir weisen als Beispiel
auf die Fülle der Übertragungen des 23. Psalms hin. Als einer der ersten Namen
steht dort natürlich der Luthers, dessen Wiedergabe unserer Meinung nach dem
strengen Glockenton des Originals allen anderen Übertragungen gegenüber am besten
entspricht. In einer weiterhin gegebenen Umdichtung von Burckart Waldis (1553) ver-
geht dieses feierliche Gewißheitspathos dann auf Grund volksliedhaften Ausbaus in
der schäferhaften Schönwetterstimmung eines eigentümlichen rhythmischen Schwin-
gens. Dann finden sich die soviel knapperen Hans-Sachs-Verse mit jenem bekannten
Akzent des genauen Erledigtseins dessen, was gesagt werden sollte. Es folgt eine
Reihe von Übertragungen von vortrefflich versifiziertem, reichlich unpersönlichem
Nacherleben aus dem 16. Jahrhundert (Melissus, Lobwasser, Opitz), und erst die
Fassung Weckherlins zeigt wieder eine spontanere, konventionsüberwindende dich-
terische Geprägtheit. Zu feinerem Vergleich steht aus dem 17. und 18. Jahrhundert
noch manches andere Material zur Verfügung. Mit einem Umschwung, einer neuen,
freien, klaren, menschlichen Haltung, setzt Herder ein, namentlich in der Fassung
von 1783, wieder rückwärts an Luther gemahnend, nur ekstatischer und weniger herb.
Es folgen dann Übertragungen aus Zeiten, die in größerem Abstand zueinander ste-
hen bis zu der vierhebig-stabreimenden Umdichtung von W. Storck (1904) und der
kurzen Fassung Theodor Taggers.

Bei den Übersetzungen nach Pindar (Goethe, Herder, Humboldt, J. T. Mommsen,
Donner, Boethke, Dornseiff, Voß, Hölderlin) werden es vorzugsweise metrische Pro-
bleme sein, von denen der Anreiz zur Stilvergleichung ausgehen wird. Die Probe ana-
kreontischer Lyrik stellt eine sehr schwierige Aufgabe für den Übersetzer dar. Man
erkennt, daß hier durch einen unvorsichtigen Griff aller Schmelz abgestreift werden
kann. Züge der ursprünglichen Grazie, der seelischen Zartheit und Geflügeltheit ver-
mißt man hier bei vielen Wiedergabeversuchen. Nicht so heikel scheint die Lage gegen-
über Catulls Versen an Lesbia zu sein. Bei Horaz' unvergeßlichen Strophen ,Vides ut
alta stet nive candidum' leuchtet die Übersetzerkunst Herders und Platens besonders
auf. Die Versuche Morgensterns, der die bei Horaz vom Soracte gekrönte Szenerie
sich rings um den Kreuzberg ausbreiten läßt, und von Stemplinger, der statt des
Soracte in freier Anlehnung und im Dialekt den Wendelstein besingt, stellen hier das
äußerste Maß örtlicher und stimmungsmäßiger Verlagerung dar.
 
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