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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 29.1935

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Ritoók, Emma von: Die Wertsphäre des Tragischen, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14176#0315
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DIE WERTSPHÄRE DES TRAGISCHEN

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Wollen, sondern auch eine Ahnung, ein unterbewußtes Wissen vom
Widerstande, von einer Schicksalstrübung des Wollens, die es sogleich
mit einem „Trotzdem" erhärtet. In dieser Stellungnahme des Ich wird
aber die andere Kraft schon anerkannt und, im Bann der heraufdäm-
mernden Peripetie durch den innigen Kampf nicht nur anerkannt und
bejaht, sondern sie wird in seine Tiefe, in seine Immanenz einbezogen.
Dadurch schafft das Wollen selbst dem Schicksal eine neue Maske in
der Seele des Ich; und am schwersten, leidvollsten ist der Kampf, wenn
die Macht die Entzweiung der Seele als Waffe benützt. Die Selbstent-
zweiung meldet sich schon primär durch das Übergewicht des Wollens
über die anderen seelischen Funktionen, und es scheint, als ob das Ich
selbst für Erhaltung seines Gleichgewichts dem Wollen einen Wider-
stand schüfe, um die totale Disharmonie aufzuhalten. Doch in diesem
Widerstand verbirgt sich schon sein eigenes Schicksal. So kann die
Tragik als Kampf mit dem Schicksal auch als eine Auseinander-
setzung mit der eigenen Seele erscheinen. Diese wichtige Form des
tragischen Schicksals bedeutet zugleich, daß seine Irrationalität in Be-
ziehung auf das Ich weniger auffällig erscheint. Das Unbestimmte,
Abstrakte wird im persönlichen Dasein konkretisiert und erhält als per-
sönliches Schicksal vom tragischen Menschen eine Sinndeutung; im
extremsten Falle wird es als die eigene Selbstheit erlebt. Dadurch fühlen
wir in der Tragödie, daß die Tragik ebensowohl von dem Charakter wie
durch das Schicksal bedingt ist. Sie stammt aus einem unlösbaren Ver-
bände des Individuellen: des Ich mit dem geheimnisvollen Tiefen des
ihm transzendenten Nicht-Ich, aus einem Verband der Zusammen-
gehörigkeit, der zugleich Zwiespalt ist.

Das Schicksal ist demnach dem Wollen ebenso verbunden wie das
Wollen ihm. Es braucht notwendig das Wollen des Helden, damit aus
der Möglichkeit ein verwirklichtes Schicksal wird; denn es ist keine
Determination, sondern eine Entwicklung. Selbst in den antiken „Schick-
salstragödien" kann das Schicksal ohne das menschliche Wollen nicht
zur Erfüllung gedeihen: Ödipus kämpft um das Wissen, Aias empört
sich gegen seine Erniedrigung. Statt sich zu fügen, um dem Schicksal
zu entrinnen, helfen sie, daß es sich erfülle. Durch die Schicksalsent-
wicklung wird aber auch das Menschliche zur Vollendung gebracht,
das Wesenhafte des Ich entschleiert sich. Durch diese individuelle Be-
zogenheit des Schicksals ist die tragische Situation immer Einmaligkeit,
an die einzige Persönlichkeit gebunden. Durch diese Verknüpfung wird
auch das Schicksal tragisch bestimmt, und dadurch wird das Sein der
tragischen Persönlichkeit als durch das Schicksal auserwählt erscheinen,
so weitgehend, daß in manchem Fall das Gefühl des Zwiespalts ver-
schwindet und für die subjektive Überzeugung des Helden die Gewiß-
 
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