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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 29.1935

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Ritoók, Emma von: Die Wertsphäre des Tragischen, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14176#0330
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EMMA VON RITOOK

grauenerweckende Getöse der Schlaginstrumente, die rastlos jagende
Tonleiter im Baß begleiten den Ausgang des Kampfes. Der im ab-
schließenden Crescendo aufsteigende D-Dur-Akkord bestätigt mit der
Kraft einer kalten, unbarmherzigen Macht das erfüllte Verhängnis. —
Bei Wagner entfalten sich die Spannungskräfte in größerem Maße als
die Lösungskräfte, so daß die kleinen Ruhepunkte im Aufwärtsstreben,
in der Sehnsucht des Verschmelzens mit der Unendlichkeit fast ver-
nichtet werden. In Isoldes Tod klingt das siegreiche Fortissimo eines
leidenschaftlichen Crescendo in der sich beruhigenden Klage des Liebes-
motivs leise aus. In der heroischen Schönheit des Trauermarsches in
„Siegfried" unterbrechen die Pauken immer wieder das dröhnende
Schicksalsmotiv, das Siegfriedsmotiv mit seiner immer breiter flutenden
Melodienlinie verschmilzt in das rauhe, majestätische, dann langsam
verklingende Motiv des Todes. — In Bela Bartoks Herzog Blaubart
stehen einander nur zwei Gesangspartien gegenüber; die der Frau ist
eine immer von neuem hervorbrechende Unruhe; der fieberhaften Un-
geduld des Soprans gegenüber erklingt die mitleidvolle, wissende, un-
erschütterliche, dunkle Ruhe des Mannes, bis er allein in der Nacht
bleibt und sein tiefes, leidvolles Motiv ohne Antwort verklingt. Die
beiden Stimmen sind die musikalischen Symbole des ewigen Gegensatzes
zwischen Mann und Weib.

So beschenkt uns die Musik, als bewußte Erscheinung unserer Ge-
fühlsverfassung, mit dem rein gefühlsmäßigen Erleben der Tragik.

5.

Wenn wir die Erscheinungen der tragischen Kunst geschichtlich be-
trachten, bleibt kein Zweifel darüber, daß es Epochen gibt, in welchen
das Tragische viel tiefer gefühlt wird als in anderen Zeiten; das be-
zieht sich nicht nur auf das Kunstschaffen, nicht nur auf das Verstehen
der Gesellschaft, sondern auch auf die höchste Offenbarung des Geistes
in der metaphysischen Weltanschauung. Daß nahezu jede ästhetische
Theorie des Tragischen auf eine das Ästhetische transzendierende Welt-
auffassung hinweist, bekundet die tiefe Verwandtschaft dieser zeitlich
ebenfalls bedingten Offenbarung des Geistes in Kunst und Philosophie.
Trotzdem wäre es ein Mißverständnis dieses wesenhaften Zusammen-
hanges, wenn man, wie es wohl vorkommt, die Tragödie als die künst-
lerische Formung einer schon fertigen metaphysischen Weltanschauung
betrachten würde. Hebbel z. B. hat die theoretische Bestätigung seines
Pantragismus in Schopenhauers Philosophie erst später gefunden, seine
tragische Auffassung hat sich nicht daraus entwickelt. Ebensowenig
kann der umgekehrte Fall angenommen werden, daß — wie D i 11 h e y
meint — die Typen der dichterischen Weltanschauung die der Meta-
physik vorbereiten, wenn sie wohl auch „deren Einfluß auf die Gesell-
 
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