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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 29.1935

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https://doi.org/10.11588/diglit.14176#0357
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BESPRECHUNGEN

343

Spiegelberg — entweder im unmittelbaren Werterleben (Wertblindheit des Un-
musikalischen) oder im mittelbaren Werturteilen (Einfluß irgendwelcher Dogmen)
oder im antwortend wertbestimmten Handeln (video meliora proboque; deteriora
sequor).

Kein Zweifel, daß die sittlichen Wertungen wechseln: sie wechseln nach Zei-
ten, Völkern, Menschen. Damit ist jedoch nicht gesagt, daß die Werte selber
fließen und zerfließen. Eben dies wird von dem sog. Absolutismus hervorgehoben.
Er lehrt die Unabhängigkeit der Werte von den zufälligen Bewertungen und
behauptet, wenigstens in der vom Verfasser übernommenen Form, die unmittelbare
Zugehörigkeit der Werte zu wirklichen Einzelgegenständen. Mit sachlicher Klar-
heit, jedoch in mangelhaftem Deutsch drückt es Spiegelberg so aus: der axio-
logische Absolutismus vertrete „die objektive Gebundenheit der Werte und Prakta,
ihre Bezogenheit auf und Verwurzelung im Objekt, nicht im Subjekt" (S. 93).
Wenn diese Auffassung, die sich durchaus von der Verweisung der Werte in ein
Jenseits des Absoluten unterscheidet, eindeutig bezeichnet werden soll, so bietet
sich meines Erachtens das Wrort „Objektivismus" dar: es liegt um so näher, als
es ja schon vor dreißig Jahren in die ästhetische Wertlehre eingeführt wurde. Im
Sinne des ästhetischen Objektivismus behandelt Spiegelberg mehrere Einzelfragen
unserer Wissenschaft. Zunächst stellt er fest, daß die Ästhetik der Werturteile
nicht entraten kann, da sie Qualitäten abstufen muß; sonderbarerweise nennt er
hierbei nur den „Münchener Kreis um G. Britsch, E. Kornmann und E. Pree-
torius". Mit den Werturteilen werden Schönheit und Häßlichkeit unmittelbar am
Gegenstand erfaßt; sie gehören zum Gegenstand wie dessen Farbe; die Schönheit
ist z. B. „eine Eigenschaft des Sternenhimmels, die unabhängig davon ist, ob wir
sie erleben oder nicht" (S. 87). Ein weiteres Problem liegt dann in der Vielseitig-
keit und Wachstumsfähigkeit des Wertlebens. Der Einzelne lernt verschiedene
Wertseiten würdigen und entsprechend seine Wertschätzungen entwickeln. Daran
ist kein Zweifel. Fraglich bleibt jedoch, ob ich mit der Gegenstandsauffassung
eines andern seine Wertung übernehmen muß; oder anders ausgedrückt: ob der
beste Sachkenner zugleich der beste Wertkenner ist. Hierüber bringt Spiegelbergs
Erörterung keine volle Klarheit. Er weicht vielmehr der Entscheidung aus, wenn
er sagt: bei dem Streit über die Schönheit der Alpen denke der Bejaher vielleicht
an liebliche Gegenden, der Leugner an finstere Schluchten. Dann würde es sich
ja nicht um denselben Gegenstand handeln. Besser ist ein zweites Beispiel. Wäh-
rend der eine Mensch sein Zimmer mit wenigen guten Bildern und Stichen
schmückt, verziert der andere die Wände mit zahllosen Photographien und An-
sichtskarten. Das ist natürlich kein Unterschied des Kunstverständnisses, denn
der Ansichtskarten-Liebhaber sucht ja nur die Freuden der Erinnerung. Aber was
bemerkt der Verfasser hierzu? „Man hat offenbar bisher noch gar nicht an die
Möglichkeit gedacht, daß sich der Wertungsdissens auf Grund solcher verschiede-
ner Bedeutungsauffassung als ein bloß vermeintlicher herausstellen konnte" (S. 37).
In Wahrheit ist das längst, meist unter dem Oberbegriff der „zufälligen Asso-
ziation", abgehandelt worden.

Längere Ausführungen gelten dem Stilwandel. Die Triebkraft des Stilwandels
wird darin gefunden, daß die ausgiebige Verwirklichung einer bestimmten Art
von Schönheit nach neuer Schönheit drängt. Beachtenswert scheinen mir die Sätze
(auf S. 70): „Wir können sehr wohl sehen, daß etwas schön ist, ohne daß es uns
etwas zu sagen hat, uns ,zusagf. . . . Wir sehen zwar noch die Schönheit des
Rokoko und freuen uns daran in einer eigentümlichen ästhetischen Distanz. Aber
kaum jemand wird heute noch dauernd in dieser Welt und ihren Formen zu leben
vermögen." — Ein anderer Hauptpunkt in den ästhetischen Ausführungen des Ver-
 
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