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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 29.1935

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https://doi.org/10.11588/diglit.14176#0359
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BESPRECHUNGEN

345

Verf.s Ansicht, „daß das abstufende Prinzip der deutschen Sprache in einem
höheren Grade innewohnt als das nichtabstufende" (74), dürfte insofern richtig sein,
als auch die formstrengen, maßvollen deutschen Verse im Durchschnitt reicher und
differenzierter sind als z. B. die geregelten romanischen, nicht allerdings in der Hin-
sicht, daß der maßvollere klassische Vers, den u. a. die Blüteperioden der deutschen
Dichtung bevorzugen, der undeutsche ist.

Berlin. Gotthilf Flik.

Hermann Pongs: L'image poetique et l'inconscient. In: Journal
de Psychologie. Jg. 1933. Nr. 1—4. S. 120—163.

Was bedeutet das Bild in der Dichtung? Von dieser Frage geht der Aufsatz aus.
Ist es nur Schmuck oder gar Flucht ins Uneigentliche, wie Ortega y Gasset gemeint
hat? Pongs antwortet darauf, daß im Gegenteil die Metapher des echten Dichters die
große Verbundenheit der inneren Welt mit dem All erfahren läßt. So ist denn der
Dichter keineswegs der Gefangene seines bewußten und unbewußten Seelenlebens,
sondern Eroberer einer neuen Beziehung des Menschen zum zentralen Sein. Mit dieser
Auffassung von Dichter und Dichtung setzt Pongs fort, was er bereits in seiner Studie
über die Möglichkeiten des Tragischen in der Novelle angebahnt hat, und immer deut-
licher zeichnet sich das Ziel einer existentiellen Literaturbetrach-
tung ab.

Ihr müssen alle diejenigen zu Gegnern werden, welche die Dichtung ihrer onti-
schen Ernsthaftigkeit berauben, indem sie sie zum Seelenspiegel machen. Daraus folgt
eine entschiedene Kritik an der Psychoanalyse, die alle traumhaften und in freier
dichterischer Phantasiebetätigung gewordenen Bilder aus dem verdrängten Unbewuß-
ten erklären will und für verhüllte Wunscherfüllungen der Triebe ausgibt. Pongs prüft
sorgfältig, was Freud, Silberer und Spitteier in dem Roman „Imago" zur Erschlie-
ßung dichterischer Bildprägungen beizutragen haben.

Dabei gelangt er zu einer klaren Wertordnung, die umso mehr ins Gewicht
fällt, als sie schon im Oktober 1932 ausgesprochen und vor allem auch dem Ausland
gegenüber vertreten wurde, als noch viele Freud und eine von ihm bestimmte Lite-
ratur, besonders Stefan Zweig, kritiklos bewunderten. Pongs unterscheidet erstens ein
Bildschaffen aus dem Triebhaften und legt diese Art meisterlich dar an Stefan Zweigs
Novellen, in denen vererbtes Ressentiment mit brennender psychologischer Neugier
sich verbindet und die Metaphern eine ausgesprochene Tendenz nach unten, d. h. zum
Ekelhaften und Glaubenzerstörenden, zeigen. Pongs unterscheidet sodann ein Bild-
schaffen, das aus der Tendenz nach oben kommt, also ein anagogisches Verfahren, das
er an Henrik Ibsen darlegt, etwa an seinem rührenden, freilich dann auch wieder höh-
nisch-richterlich verwandten Bild der „Wildente". Aber diese beiden Typen sind ein-
seitig; von ihnen unterscheiden sich die Bilder der großen Dichter dadurch, daß sie
über die einseitige Herrschaft des verdrängten Unbewußten und über die Gewalt eines
richterlichen Über-Ich gleicherweise hinausdrängen. Damit gelangt Pongs zur dritten
und wichtigsten Unterscheidung. Er macht sie deutlich in innerlich durchglühten Aus-
führungen über Hölderlin: in dem Bildschaffen dieses Dichters wirkt gewiß auch das
Unbewußte und das Anagogische; aber diese Kräfte spielen nicht selbstherrlich und
getrennt sich aus, sondern sind in den Dienst eines gewaltigen schöpferischen Grund-
vorganges hineingebannt, nämlich den Lebensausgleich im Bilde hervorzubringen aus
einer bis in die Untergründe getroffenen Existenz heraus, den Lebensausgleich, in wel-
chem sich Welt und Ich als dieselbe großgeschaffene, gottdurchdrungene Einheit
darstellen. Das Bild aber ist Hölderlin darum nötig, weil der Sterbliche das Heilig-
 
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