Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 30.1936

DOI Artikel:
Besprechungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14193#0102
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
statt Moskau entstammen ließ, ist der zweite bedeutende Meister des Jahrhunderts
mit schon stark spirituellem, visionärem Charakter seiner langgezogenen Gestalten.

Die bedeutendste aller Lokalschulen jedoch bleibt damals trotz des hauptstädti-
schen Stilvorrangs doch die von Nowgorod. Ihr patriotischer Stolz spricht sich in
einer den Sieg des Nowgoroder Heeres über die Susdaler verewigenden hervorragen-
den Ikone aus, der Moskau meines Wissens, was den Gegenstand betrifft, nichts Ähn-
liches zur Seite zu stellen hat. Pskow, als Malschule bisher fast völlig unbekannt
und, soweit erforscht, der Nowgoroder Hauptschule zugerechnet, erweist sich nach den
neuesten Ergebnissen ebenfalls als selbständig, doch beharrt es für den Gesamtbereich
der russischen Malkunst wie Nowgorod in isolierter Stellung.

Erst im 16. Jahrhundert verwischen sich die Grenzen zwischen der Moskauer
und der Nowgoroder Malerei. Die Schule Iwans des Schrecklichen bereitet sich mit
größerer Bewegtheit, innerer Pathetik der Heiligengestalten vor, bis dann um Mitte
des 16. Jahrhunderts eine völlig neue Ikonographie entsteht. Mit dem Kirchenkonzil
von 1554 gewinnt das Dogma wieder eine führende Rolle, wie das im 11. Jahrhundert
der Fall war; doch wird es nun als historische Folge der heiligen Begebenheiten dar-
gestellt. Angefangen von der Schöpfungsgeschichte, treten auch die alttestamentlichen
Erzählungen auf; aber zum häufig wiederholten Thema wird vor allem das Golgatha-
drama. In den Ikonen verwerten die Maler neben älteren Mustern abendländische
Einflüsse, darunter die Gestalt des Todes. Der symbolische Gehalt stellt sich in dieser
Zeit, zumal die weit verbreiteten ketzerischen Sekten die herrschende Kirche zur Be-
sinnung aufforderten, als der Ausdruck eines mit noch stärkerer Bewußtheit erfaßten
theologischen Weltsystems dar. Auch die Einzelgestalten der Heiligen erhalten wieder
härtere, neuerdings an die griechischen Ideale gemahnende und durch den „Psycho-
logismus" der Zeitrichtung nahegelegte Züge, denen auch die abermalige Verdüste-
rung der Farbenskala entspricht.

Die nun schon stärker als ehedem entwickelte Profankunst zeigt sich, wenngleich
sich die abendländischen Tendenzen in ihr vermehren, in der Hauptsache noch von
jener kanonisierenden Richtung des altrussischen Kirchenstils beeinflußt. Andrerseits
kündet sich in zwei privaten Zentren als Gegengewicht eine intimere Kunst an, die
sich vollends im 17. Jahrhundert äußert: es sind die Schulen der oben bei Brunow
schon hervorgehobenen „Mäzene" Stroganow in Solwytschegodsk und der mit dem
Zarenhaus verwandten Godunowfamilie im Ipatjewkloster zu Kostroma. Ein spie-
lerisch ästhetisierender Charakter mit zugleich wieder hellem Kolorit ist ihnen eigen.
Die Individualität der Auftraggeber wie die der ausführenden Künstler tritt bei
diesen als miniaturartige Arbeiten für die Privatgemächer und die Hauskapellen be-
stimmten Werken mehr und mehr in die Erscheinung. Nachdem in der ersten Phase
die Borosdin und Sawin noch höchst archaisch wirkende gedrungene Gestalten für
die Stroganows geschaffen haben, ist Nikiphoros der Meister jenes verfeinerten Ge-
schmacks. Gerade in der Zeit der Wirren nach dem Erlöschen der Ruriks entstanden
die schönsten Erzeugnisse dieser Schule, während damals die Hauptstadt, wahrschein-
lich infolge Zerstreuung der Hofschule des Schrecklichen, den primitivsten Strömun-
gen zugänglich wurde.

Erst unter Alexjej Michailowitsch, dem Vater Peters des Großen, wurde nach
Angabe des Verf. in der Orushejnaja Palata, dem heutigen Kreml-Museum, eine Art
früher Kunstakademie gegründet, welche wieder die besten Meister Rußlands ver-
sammelte und in der Heranbildung junger, nach der Lehrzeit in ihre Heimat zurück-
kehrender Leute eine neue Reichskunst schuf. Der größte und bekannteste Maler die-
ser Zeit ist Simon Uschakow. Die Feierlichkeit dieses Kunststils trägt, wie Alpatow
sagt, einen „ausgesprochen profanen Charakter". Wenn er aber in diesem Zusammen-
 
Annotationen