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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 30.1936

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Schönbaumsfeld, Elfriede: Die ästhetische Kontemplation in der Weltanschauung Eduard Stuckens
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https://doi.org/10.11588/diglit.14193#0281
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her begründet würde. Das Gute soll getan werden um der Seele willen, die verletzt,
wer es versäumt. Ein Ideal des reinen Herzens schwebt vor, eines der reinen, schuld-
losen, aufrechten Seele. Das ist die ideale Forderung, nach deren Erfüllung die Hel-
den des „Gral" streben, Gawan, Lanval und Lanzelot; Symbol ihres Ringens um das
Gute ist der Gral, der dem Sieger im innern Kampf hell leuchtet, vor dem Unter-
legenen aber erlischt. Es ist dieselbe Forderung, die auch Hai, Adils und Giuliano an
sich richten, alle drei in einer ethisch minderwertigen Umgebung eine edle, schöne, freie
Sittlichkeit vertretend. Eine rein individualistische, denn was Recht und Unrecht ist,
bleibt dem Einzelnen überlassen. So beruft sich Prinz Hai auf die Autonomie der sitt-
lichen Seele: „Es gibt ein gefühltes Gesetz, Thomas, das über allen geschriebenen steht"
(Schatten 275). Ihrem eigenen Gesetz zu folgen, ist für die Seele höchste Forderung.
Wird ihr die Möglichkeit dazu genommen, so leidet sie darunter wie ein Lebewesen,
dem die Freiheit des Wachstums geraubt ist: „Ein erschütterndes, unvergeßliches
Erlebnis" ist für Overbury „die Begegnung mit der geknechteten, vergewaltigten
Seele" des jungen Loring, deren „Wille ausgerodet wird, ersetzt durch den fremden
Willen des Tierbändigers, des Vaters" (Schatten 234).

Verbunden mit der Achtung vor der Seele und dem ihr eigenen Gesetz wird das
Ideal des reinen Herzens zu einem individualistisch-ethischen Persönlichkeitsideal.
Artus will „den Edelmenschen züchten, schön, worttreu und kühn" (Zauberer Merlin
339), und Cortes träumt davon, dem „Rittertum eine Freistätte zu schaffen, den freien,
ungebundenen Menschen herüberzuschaffen, die Persönlichkeit zu retten vor dem
Zwang der Allgemeinheit" (Götter II 579). Hält man daneben, daß alle Helden auch
mit körperlicher Schönheit reich ausgestattet sind, so ergibt sich als Ideal des Men-
schen eine Art Kalokagathie, Bild eines Menschen, der Schönheit des Leibes ver-
eint mit der Reinheit einer Seele, die das Gute erstrebend sich selbst das Gesetz gibt.

Da die Seele das höchste Gut des Menschen ist, erweist sich der Angriff gegen
sie als das ärgste Vergehen, dessen sich der Mensch schuldig machen oder das ihm
angetan werden kann. Der Seelenmord, den er an der eigenen oder an der fremden
Seele begehen kann, reizt den Dichter immer von neuem zur Darstellung. Durch
eigene Schuld mordet Lanval seine Seele, und Ysolt die ihre dadurch, daß sie von
dem Gesetz ihrer Liebe abweicht.

Wichtiger noch ist der Seelenmord, der durch fremdes Eingreifen erfolgt, un-
geahndet und unfaßbar durch die menschliche Gerechtigkeit, und doch ein ärgeres
Verbrechen als vielleicht Mord und Totschlag. So stirbt Astrids Seele durch Kjartans
und Bollis Schuld (Astrid), Elaine geht am Verrat Lanzelots zugrunde (Lanzelot),
Ygraine treibt Uters Betrug in Wahnsinn und Selbstmord (Uter Pendragon oder das
Verlorene Ich), Lariöns schöne seelische Entfaltung wird jäh durchschnitten durch
den Anschlag seines Bruders (Lariön), Hai und Arbella zerbrechen innerlich an der
Rache der Lady Essex (Schatten), und Giulianos Seele erliegt der Vergewaltigung
durch Lodovica (Giuliano).

Von dem individualistischen Persönlichkeitsideal aus muß jeder eigenmächtige
Eingriff in fremdes seelisches Gesetz als ärgste Schuld erscheinen; zugleich wird
durch diese Auffassung das Ideal, dessen Grundzug als ethische Reinheit gefaßt
wurde, modifiziert: es wird zu einem Ideal der Ausgeglichenheit, in sich Geschlossen-
heit und Harmonie der reinen Seele, die durch den Seelenmord zerstört wird.

Und hier fällt zugleich ein Licht auf den Blickpunkt, von dem aus eigentlich das
Persönlichkeitsideal gesehen wird. Wenn auch der Maßstab, den der Dichter an das
Tun des Menschen legt, und die Forderung des reinen Herzens ethisch sind, so muß
doch das individualistische Ideal einer reinen, in ihrer Reinheit aber auch ausgegli-
chenen harmonischen Seele als ästhetisch bezeichnet werden. Und hier ist zugleich
 
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