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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 30.1936

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https://doi.org/10.11588/diglit.14193#0356
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BESPRECHUNGEN

seiner Zeit." — Der zweite Abschnitt handelt geschichtlich von der Rezeption der
Shakespearischen Sonette in Deutschland. Dieses Aufnehmen ist anders als gegen-
über dem dramatischen Werk nicht das von erlebten Kunstwerken, sondern über-
wiegend das von interessantem Stoff; es ist mehr fachwissenschaftlich als künst-
lerisch mit- und nacherlebend. Kahn beschreibt die Einstellung einzelner Über-
setzer und beginnt mit Ludwig Tieck und A. W. Schlegel, dessen eigene Auffassung
sich wandelt, insofern sie selbst dem Rationalismus eines Gottsched entwachsend
zur romantischen Einsicht in das organische Gewachsensein des Kunstwerks vor-
dringt. Für G. G. Gervinus sind die Sonette eine Seelengeschichte. Das spätere neun-
zehnte Jahrhundert nimmt eng bürgerlich Anstoß am handgreiflich realistisch ver-
standenen Stoff; die strebsamsten Übersetzer mühen sich dabei, den Dichter rein-
zuwaschen und freuen sich in erschreckender Harmlosigkeit ihres etwaigen Erfolges.
— Ein Umschlag in die gegenteilige Auffassung setzt im letzten Jahrzehnt des
neunzehnten Jahrhunderts ein mit dem Aufbruch Stefan Georges und seines Kreises,
vorab Gundolfs, zur Erneuerung von Wortgültigkeit und Wertung des Dichterischen.
Man verkündet die eindeutige Erlebnishaltigkeit der Sonette; man will nicht mehr
Inhalt mit Gehalt verwechseln.

Der dritte Abschnitt, der am meisten ausgedehnte, mustert beschreibend und ab-
wägend nach innerer und äußerer Form die einzelnen Übersetzungen wie den Geist
und die seelische Haltung ihrer Verfasser. Kahn leitet aus sehr aufschlußreich ge-
wählten Proben die Schwierigkeiten des Übersetzens ab und legt fünf Übersetzungs-
typen fest: die mechanisch treue oder wissenschaftlich-philologische Übersetzung; die
Übersetzung mit dichterischen Aspirationen; pädagogische oder interpretierende
Übersetzungen; dilettantische Amateurarbeiten und schließlich Allerwelts- oder
Dutzendübersetzungen, die stillos neutral sind. Als Shakespeares eigenen Stil in den
Sonetten beschreibt Kahn: die Tektonik der geschlossenen Form und die Deklamation
der großen schwungvollen Linie.

Ungeklärt allerdings und anfechtbar ist die Unbedingtheit der Kahnschen Be-
hauptung, daß Stilbegriffe wie Gotik, Barock usf. erst dann ihren Wert wahrhaft ver-
wirklichten, wenn sie über ihre Leistung, einmalig Historisches zu bezeichnen, hinaus-
geformt würden zu Zeichen für ewige Polaritäten der Stilgeschichten. Man kennt
diese Schwierigkeiten mit ihrem oft unfruchtbaren Aneinandervorbeireden genug-
sam aus dem Streit (um nicht zu sagen Gezänke) etwa um den „richtigen" Renais-
sancebegriff. Kahn behauptet hier doch wohl zu leicht obenhin, wohl ohne überhaupt
die Gefahren und Unzulänglichkeiten solcher geradezu modischen Typisierungen
recht abzusehen oder sie durch überzeugende Beiträge zu mindern. — Neben den
romantischen Übersetzungen betrachtet Kahn die bürgerlichen eingehend, doch ent-
geht er nicht der Gefahr des Schabionisierens: was erfährt man schließlich Wesens-
kennzeichnendes, wenn etwa Platen, Bodenstedt und Geibel erstlich in einem Atem
als bürgerlich hinsichtlich ihres Übersetzerstils beschrieben und überdies durch den
Jugendstil von der letzten Jahrhundertwende „erhellt" werden sollen? Das heißt
doch reichlich unverbindlich mit Individualitäten und in den Menschenaltern herum-
geistern. — —

Die Belege vergleichender Übersetzungsproben im einzelnen sind sehr einleuch-
tend gewählt, und auch weniger bekannt Gebliebene wie Karl Lachmann (1820) und
Gottlob Regis (1836) kommen zu ihrer verdienten Würdigung. Unerfreulich ist die
verantwortungslos unverbindliche (allzu gesellschaftlich glatt „verbindliche"), daher
tänzelnde Übersetzerweise eines Ludwig Fulda, dem spürbar jedes innere Verhältnis
zum Gegenstand fehlt, der nur dazu herhalten muß, des Bearbeiters schale Virtuosi-
tät glänzen zu lassen. Wie man nun solchem gegenüber gerade Georges ringendes
 
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