78 DIE KANZEL IM DOM ZU MERSEBURG.
sagen nur eine sporadische. Die Minderen Brüder zogen zwar in Genossenschaften zu sieben
oder zehn überall umher und predigten an Sonn- und Festtagen in den Pfarrkirchen, aber
an solchen Orten, wo keine Bettelklöster waren, blieben die predigenden Gäste zuweilen Jahre
hindurch aus, und obgleich im Laufe des XIV. Jahrhunderts in allen städtischen Pfarren
zahlreiche Altäre gestiftet und viele Rapläne zur Bedienung derselben bestellt wurden, so gab
es doch noch keine eigentliche feste Predigerstellen, und der Pfarrer war bloss verpflichtet,
für irgend einen predigenden Mönch Sorge zu tragen. Als nun im Laufe des XV. Jahrb.
reformatorische Männer, wie Johann Gerson, Nicolaus von Clemangis, Nicolaus von Cusa u. A.
mit lebendigem Eifer auf Belehrung des Volkes durch die Predigt des göttlichen Wortes
drangen, so hatte dies den Erfolg, dass an vielen Orten die ersten festen Predigerstellen
gegründet — und demzufolge in den Kirchen neue, schmuckvolle Kanzeln, vielleicht die
ersten stabilen und monumentalen, errichtet wurden. Von der Kanzel des Strassburger
Münsters ist es bekannt, dass der Schöppe Peter Schott dieselbe im Jahre 1486 zu Ehren
Johann Geiler's von Kaisersberg ausführen liess, und dieser berühmte Bedner selbst soll
dem Werkmeister Johannes Hammerer einige Ideen dazu angegeben haben. *)
Diese spätgothischen Kanzeln wurden entweder aus Stein oder aus Holz, zum Theil
aus beiden Materialien (namentlich die Schalldecken auch bei Steinkanzeln aus Holz) gefer-
tigt; ihr Aufbau befolgt den Architekturstyl der Zeit, die figürlichen Sculpturen dagegen, mit
denen sie reich geschmückt erscheinen, sagen sich bereits los von den conventionellen
gothischen Formen und lassen den Einfluss der dem Bealismus huldigenden damaligen Maler-
schulen erkennen. Wie alle Kirchenutensilien sind auch viele gothische Kanzeln, wo es an
Geldmitteln nicht fehlte, in der Zopfzeit entweder beseitigt oder, falls man besonderes Inter-
esse an ihnen nahm, doch ausser Gebrauch gesetzt worden **), zumal manche als zu hoch
und eng und mit steilen, schmalen Treppen versehen sich unbequem erwiesen, was man den
Benaissancekanzeln, so gering meist auch deren Kunstwerth sein mag, nicht nachsagen kann.
Der Grenze zwischen Gothik und Benaissance, wenigstens der letzten Ausbildungsslufe
des Gothischen gehört die Kanzel des Domes zu Merseburg***) an. Sie erhebt sich
auf der Südseite des Schiffes am östlichsten Pfeiler desselben, theils ihn umgebend, theils
sich an ihn anlehnend, ein reich geschmückter zierlicher Holzbau, und kehrt mit dem Schall-
deckel, der sie nach oben schliesst und krönt, ihre kelchförmige Haupt- und Schmuckseite
dem Mittelschiffe zu. Getragen von einer aus phantastischem Laubwerke und Engelfiguren,
welche Wappenschilder halten, gebildeten Säule wendet sich der Aufbau von Osten nach
Norden, indem Brüstung und Fussboden die Grundfigur des Achtecks verlassen und zur
Bildung der gewendelten Treppe in eine den Pfeiler umfassende gekrümmte Linie übergeheu.
*) Schreiber, das Münster zu Strassburg. S. 66 und 83. — Schneegans, der Strassburger Münster, in Ilgen's
Zeitschrift für die bist. Theologie. Neue Folge II. 4, 129.
**) Dies ist z. B., wie im Dome zu Freiberg, der Fall mit der Kanzel zu S. Andreas in Eisleben (auf welcher
Luther seine letzte Predigt gehalten), deren Treppe, bei einer Basis von nur 5 F. und bei nur l'u F. Breite ihrer 12 Stufen
in einem Winkel von 70° aufsteigend, wahrhaft halsbrechend zu nennen ist.
***) Vgl. die Ansicht derselben Bl. V und die Details Bl. VI.
sagen nur eine sporadische. Die Minderen Brüder zogen zwar in Genossenschaften zu sieben
oder zehn überall umher und predigten an Sonn- und Festtagen in den Pfarrkirchen, aber
an solchen Orten, wo keine Bettelklöster waren, blieben die predigenden Gäste zuweilen Jahre
hindurch aus, und obgleich im Laufe des XIV. Jahrhunderts in allen städtischen Pfarren
zahlreiche Altäre gestiftet und viele Rapläne zur Bedienung derselben bestellt wurden, so gab
es doch noch keine eigentliche feste Predigerstellen, und der Pfarrer war bloss verpflichtet,
für irgend einen predigenden Mönch Sorge zu tragen. Als nun im Laufe des XV. Jahrb.
reformatorische Männer, wie Johann Gerson, Nicolaus von Clemangis, Nicolaus von Cusa u. A.
mit lebendigem Eifer auf Belehrung des Volkes durch die Predigt des göttlichen Wortes
drangen, so hatte dies den Erfolg, dass an vielen Orten die ersten festen Predigerstellen
gegründet — und demzufolge in den Kirchen neue, schmuckvolle Kanzeln, vielleicht die
ersten stabilen und monumentalen, errichtet wurden. Von der Kanzel des Strassburger
Münsters ist es bekannt, dass der Schöppe Peter Schott dieselbe im Jahre 1486 zu Ehren
Johann Geiler's von Kaisersberg ausführen liess, und dieser berühmte Bedner selbst soll
dem Werkmeister Johannes Hammerer einige Ideen dazu angegeben haben. *)
Diese spätgothischen Kanzeln wurden entweder aus Stein oder aus Holz, zum Theil
aus beiden Materialien (namentlich die Schalldecken auch bei Steinkanzeln aus Holz) gefer-
tigt; ihr Aufbau befolgt den Architekturstyl der Zeit, die figürlichen Sculpturen dagegen, mit
denen sie reich geschmückt erscheinen, sagen sich bereits los von den conventionellen
gothischen Formen und lassen den Einfluss der dem Bealismus huldigenden damaligen Maler-
schulen erkennen. Wie alle Kirchenutensilien sind auch viele gothische Kanzeln, wo es an
Geldmitteln nicht fehlte, in der Zopfzeit entweder beseitigt oder, falls man besonderes Inter-
esse an ihnen nahm, doch ausser Gebrauch gesetzt worden **), zumal manche als zu hoch
und eng und mit steilen, schmalen Treppen versehen sich unbequem erwiesen, was man den
Benaissancekanzeln, so gering meist auch deren Kunstwerth sein mag, nicht nachsagen kann.
Der Grenze zwischen Gothik und Benaissance, wenigstens der letzten Ausbildungsslufe
des Gothischen gehört die Kanzel des Domes zu Merseburg***) an. Sie erhebt sich
auf der Südseite des Schiffes am östlichsten Pfeiler desselben, theils ihn umgebend, theils
sich an ihn anlehnend, ein reich geschmückter zierlicher Holzbau, und kehrt mit dem Schall-
deckel, der sie nach oben schliesst und krönt, ihre kelchförmige Haupt- und Schmuckseite
dem Mittelschiffe zu. Getragen von einer aus phantastischem Laubwerke und Engelfiguren,
welche Wappenschilder halten, gebildeten Säule wendet sich der Aufbau von Osten nach
Norden, indem Brüstung und Fussboden die Grundfigur des Achtecks verlassen und zur
Bildung der gewendelten Treppe in eine den Pfeiler umfassende gekrümmte Linie übergeheu.
*) Schreiber, das Münster zu Strassburg. S. 66 und 83. — Schneegans, der Strassburger Münster, in Ilgen's
Zeitschrift für die bist. Theologie. Neue Folge II. 4, 129.
**) Dies ist z. B., wie im Dome zu Freiberg, der Fall mit der Kanzel zu S. Andreas in Eisleben (auf welcher
Luther seine letzte Predigt gehalten), deren Treppe, bei einer Basis von nur 5 F. und bei nur l'u F. Breite ihrer 12 Stufen
in einem Winkel von 70° aufsteigend, wahrhaft halsbrechend zu nennen ist.
***) Vgl. die Ansicht derselben Bl. V und die Details Bl. VI.