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Zeitschrift für christliche Archäologie und Kunst — 1.1856

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Otte, Heinrich: Die Kanzel im Dom zu Merseburg
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https://doi.org/10.11588/diglit.3677#0085
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DIE KANZEL IM DOM ZU MERSEBURG. 77

die ein stark vortretendes Gesims stützen. Die Brüstung hat durch Abschneiden der vor-
deren Ecken zwei schmale Flächen gewonnen, so dass sie polygonisch erscheint. Das
vordere Hauptfeld zeigt im Hochrelief den von den Evangelistenzeichen umgebenen lehren-
den Heiland und zu dessen Seiten auf den schmalen Eckfeldern die Mutter Maria und den
Täufer Johannes; die Seitenflächen sind mit Flachreliefs aus der alttestamentlichen Geschichte
geschmückt.

Der gothische Styl fasste, seinem verlicalen Principe gemäss, die eine viereckige
Masse bildende romanische Kanzel in die Polygonform zusammen, reducirte die vier Eck-
säulen auf einen in der Mitte angebrachten Ständer oder kragte das ganze auf einer Con-
sole ruhende Gebäu dem Mauerwerke des Pfeilers oder der Wand vor. Wie es aber in
dem Wesen der Golhik lag, nirgends mit der Horizontallinie abzuschliessen, wie um des-
willen alle Bildernischen mit spitzauslaufenden Baldachinen gekrönt wurden, so erhielt auch
die Kanzel in dem s. g. Schalldeckel einen pyramidalen, thurmartigen Ueberbau, allerdings
nicht bloss als stylgemässen Zierrath, sondern auch zu dem praktischen Zwecke, um das
Verfliegen der Stimme des Predigers in den weiten und hohen Gewölben zu verhindern und
dem Auge der Zuhörer einen begrenzten Anhaltpunkt zu gewähren. — Gothische Kanzeln
aus älterer Zeil sind äusserst selten: sei es dass sie aus Holz gefertigt wurden und deshalb
nicht von langer Dauer sein konnten, oder dass man sich, wie noch jetzt in vielen katho-
lischen Kirchen, nur tragbarer Predigtstühle bediente. Die wenigen monumentalen Kanzeln,
die sich aus dem XIV. Jahrhundert nachweisen lassen, sind klein und niedrig, meist ohne
bildnerischen Schmuck, überhaupt unscheinbar; wir nennen die unten in eine vielseitige bis
auf den Fussboden reichende Spitze zusammengefasste, oben mit einem diesem Fusse con-
formen einfachen Hute gekrönte, lediglich mit Maasswerk bekleidete Kanzel bei den Karme-
litern auf dem Platze Maubert in Paris *); die seltsamer Weise in einer Fenstervertiefung
angebrachte Kanzel in S. Peter zu Avignon**), welche auf schlanker sich nach oben
palmenartig ausbreitender Säule ruhend, mit Apostelfiguren geschmückt und mit einem pyra-
midalen Dache gekrönt ist, dessen mit Krappen besetzte Graten in eine Kreuzblume auslaufen;
in Deutschland endlich die Ueberreste der Kanfel in der Buine der Augustinerkirche zu
Bernburg***); sie ist mit der Hauptmauer der Kirche verbunden, hat keinen Schalldeckel
und ruht auf einem gegliederten Kragsteine, dessen Spitze mit kleinen Kleeblatlbögen ver-
ziert ist. Eben diese Kleeblallform zeigt der Deckbogen ihres (vermauerten) Einganges.

Dagegen bietet sich namentlich in Deutschland eine bedeutende Anzahl von Kanzeln
aus dem XV. Jahrhunderte dar, die im reichsten Schmuck spätgothischer Decoration eine
hervorragende Zierde der Kirchengebäude bilden. Dies führt uns noch einmal auf die Ge-
schichte des Predigtwesens zurück. Die Wirksamkeit der Bettelmönche war seit dem XIII.
Jahrhundert zwar eine namentlich Anfangs segensreiche gewesen, sie blieb indess so zu

*) Corblet, Manuel tl'archeologie p. 25«.
**) Gareiso, l'Archeologue cliretfen PI. VII No. 218. p. 144.
***) Puttrich a. a. 0. Serie Anhalt No. 17.
 
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