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Zeitschrift für christliche Archäologie und Kunst — 1.1856

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Otte, Heinrich: Die Kanzel im Dom zu Merseburg
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https://doi.org/10.11588/diglit.3677#0084
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76 DIE KANZEL IM DOM ZU MERSEBURG.

boten gewesen zu predigen; als nun aber die zu Anfang des XIII. Jalirli. entstellenden Rettel-
orden die Predigt zu ihrem besonderen Berufe erhoben, so setzten die Dominicaner und
Franciscaner, da dem Volke, für welches sie predigten, das Presbyterium der Kirche ver-
schlossen war, ihren Predigtstuhl grundsätzlich in das Schiff mitten unter die zu lehrende
Laiengemeine.

Die ältesten, dem XII. und dem Anfange des XIII. Jahrhunderts entstammenden Kan-
zeln finden wir wiederum in Italien: in Bavello, in S. Ambrogio zu Mailand, in Salerno,
S. Bartolomeo in Pistoja (ältere Theile), Moscufo und S. demente in den Abruzzen, in
S. Maria zu Toscanella, S. Miniato bei Florenz etc. In letzterer Kirche hängt die Kanzel
noch mit den Chorschranken (cancelli, daher der Name Kanzel) zusammen: sie bildet auf
der linken Seite des Chores eine geräumige viereckige Bühne, deren aus einer grossen Mar-
mortafel bestehender Fussboden sich mit der hinteren Seite auf die Schrankenwand stützt,
während die vordere Seite, in das Hauptschiff hineinragend, von zwei auf einem durch die
ganze Breite der Kirche sich ausdehnenden erhöhten schmalen Baume stehenden Säulen ge-
tragen wird. Durch das an der mit der Längenaxe der Kirche parallelen Brüstungswand
der Kanzel angebrachte Adlerpult, so wie durch die Verbindung mit den Cancellen, erscheint
diese Kanzel noch in der Weise des antiken Ambo, von welchem sie sich indess durch ihre
Erhöhung über die Cancellen, durch das Hervortreten nach dem Mittelschiffe zu und durch
die freie Lage ihres Säulen-getragenen Fussbodens doch scbon wesentlich unterscheidet.*)-—
In S. Maria zu Toscanella dagegen steht die sonst mit der vorbeschriebenen im Wesent-
lichen völlig übereinstimmende Kanzel, auf vier kurzen, durch Flachbögen verbundenen
Säulen ruhend, bereits ganz frei im letzten lntercoliunnium des Schiffes vor dem rechten
Eckpfeiler des Chores. **) — Diesen Marmorkanzeln in Italien an Alter und in der Con-
struetion wesentlich gleich, dieselben jedoch durch den Beichthum und die Trefflichkeit ihres
bildnerischen Schmuckes weit übertreffend, wenn auch nur aus bescheidnem vaterländischen
Sandstein gefertigt, reihen sich, als die einzigen bekannten Beispiele von im romauiseben
Style ausgeführten Kanzelbaulen diesseits der Alpen, auf das würdigste an die Kanzel in
der Neuwerkerkirche zu Goslar und besonders die Kanzel in der Kirche des im Jahre 1174
gegründeten ursprünglichen Auguslinerstifts Zschillen (jetzt Wechselburg) unweit Bochlitz in
Sachsen. ***) Sie steht auf der Nordseite am östlichsten Pfeiler des Schiffs f), getragen
von einem soliden Unterbau, welcher aus drei Mauern besteht, deren zwei von einem Flach-
bogen durchbrochen sind, während die vordere noch durch zwei Ecksäulen verstärkt ist,

*) Gailiubaüd a. a. 0. Bd. II Abth. V. No. 3 (Lief. XL1V). „
**) Ebd. No. 4. (Lief. XXXI).
***) Pdttrich, Denkmale Abtli. 1. Serie Wechselburg. E. Voerster, Denkmale. Blldncrei Bd. 1 S. 13 und Bd. H S. 19.
f) Die Kanzel in Goslar stand ehemals mit einem Lettner, also mit dem westlichen Chorabschlusse in Verbindung
und ist erst neuerlich in das Schiff versetzt worden. — Obschon nun E. Foerster a. a. 0. die Gleichzeitigkeit der Errich-
tung der Zschillener Kanzel und des Pfeilers, an welchem sie steht, ausdrücklich versichert, so können wir doch die Ver-
muUiung nicht unterdrücken, dass diese Kanzel ursprünglich einen integrirenden Tbeil des jetzigen Altarbaues gebildet habe
(in dessen so räthselhalten offenen Bogen dieselbe, zufolge der PuTTiucn'schen Zeichnungen, der Breite nach gerade hinein-
zupassen scheint) und mit dem letzteren verbunden ein Lettner gewesen sei, dessen ehemalige Stelle dann weiter gen Westen
unter dem Triumphbogen zu suchen sein würde.
 
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