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Zeitschrift für christliche Archäologie und Kunst — 2.1858

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Petersen, Chr.: Elfenbein-Relief auf einem lateinischen Evangelienbuch der Hamburger Stadtbibliothek
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https://doi.org/10.11588/diglit.3678#0054

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50 ELFENBEIN-RELIEF AUF EINEM EVANGELIENBUCH DER IIAMB. STADTBIBLIOTHEK.

daraus, dass die Handschrift selbst älter sein muss, wie denn auch die Art der Schriftzüge
dieser Urkunde eine spätere Zeit erkennen lässt. AufTallend ist, dass es versucht ist, diese
Urkunde auszulöschen. Als die Dombibliothek im Jahre 1784 versteigert ward, kam diese
Handschrift an den Königl. dänischen Conferenzrath von Aspern in Allona. Im Katalog
seiner 1793 versteigerten Bibliothek habe ich indess dieselbe nicht wiederfinden können.
Die Sladtbibliolbek hat sie aus der im Jahre 1834 versteigerten Bibliothek Arnold Schubacks
erworben, in deren Katalog S. 35 No. 78 sie verzeichnet steht.

Wir wenden uns zur Betrachtung der Darstellung.

Eine geflügelte weibliche Figur, die wir nach der Aehnlichkeit mit bekannten grie-
chischen Kunstwerken nicht zweifeln dürfen, eine Nike oder Victoria zu nennen, sticht
einen auf ein Knie gesunkenen Mann , den sie mit der Linken beim Haar fasst, mit einer
Lanze durch die Brust. Das Motiv der Nike ist so antik, dass man ein altgriechisches
Kunstwerk erkennen möchte, wenn nicht Fehler in der Zeichnung auf eine spätere Zeit
hinwiesen und die hinter dem Getödteten stehende Figur so eigentümlicher Art wäre, dass
sie der heidnischen Kunst so fremd zu sein scheint, wie der christlichen. Das Evangelien-
buch, dessen Einband es ziert, lässt, wie es scheint, auf einen christlichen Ursprung des Be-
liefs schliessen, aber es möchte schwer ein Ort nachzuweisen sein, wo es gleichzeitig mit
der Handschrift gemacht sein könnte. Bevor wir jedoch weiter auf die Frage eingehen,
müssen wir die Darstellung selbst genauer in Erwägung ziehen und dann Parallelen aus
der alten und christlichen Kunst aufsuchen. Die Nike trägt das zu beiden Seiten in Locken
herabhängende Haar über der Stirn in einen Krobylos zusammengefasst. Der Chiton wallt
bis auf die Knöchel herab, und über demselben trägt sie eine Diplois, die aber nicht, wie
auf allen Werken, unter den Armen offen, sondern geschlossen ist*) und ungegürtet bis auf
die Mitte des Leibes herabreicht. Mit der verhällnissmässig dünnen Linken, welche bis zur
Schulter hinauf entblösst ist, hat sie den Mann, den sie ersticht, beim Haar über der Stirn
gefasst; in der über den Kopf erhobenen, gleichfalls völlig nackten Bechlen, die offenbar zu
lang gerathen ist, hält sie eine Lanze. **) Der erstochene Mann ist im Verhältniss zur Nike
klein, ohne Kopfbedeckung, das Haar hängt lang herab. Er trägt Beinkleider, die bis an
die Knöchel reichen, und bis zum Knie bedeckt werden durch ein ziemlich enges Unter-
gewand, das aber vorne gespalten ist, offenbar um eine freiere Bewegung zu gestalten.
Den Oberkörper bedeckt ein jackenarliges Kleidungsstück, das oben gespalten die Brust ge-
gen den Hals freilässt. Die Beeilte ist mit einem Messer oder kurzem Schwert be-
waffnet, die linke Hand emporgestreekt. Während das linke Knie auf den Boden gesunken
ist, stemmt er sich mit dein rechten Fusse gegen denselben. Das Gesicht zeigt, ungeachtet

*) Nur auf einer Seite, war Chiton oder Diplois geöffnet. Anm. d. Red.

**) Hr. Dr. Lappenberg nennt dieselbe Figur einen Engel. Allerdings muss man geneigt sein, auf einem als christ-
lich vorauszusetzenden Kunstwerk in einer geflügelten Menschengestalt einen Engel zu erkennen, allein da auf älteren
christlichen Denkmälern Niken oder Viclorien fast häufiger vorzukommen scheinen als Engel, so konnte ich nach den von
Piper an den im Text darüber nachgewiesenen Stellen nicht zweifeln, dass wir eine Nike oder Victoria, keinen Engel vor
uns haben.
 
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