Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für christliche Archäologie und Kunst — 2.1858

DOI Artikel:
Zacher, J.: Literarhistorischer Nachtrag zur Erklärung des Werbener Kelches
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3678#0059

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
LITERARHISTORISCHER NACHTRAG ZUR ERKLÄRUNG DES WERIJENER KELCHES. 55

Figuren bilden; nur der leitende und zusammenballende Grundgedanke wird in jedem dieser
beiden Werke ein anderer sein, entsprechend dem verschiedenen Zwecke ihrer Bestimmung.

Die erste Forderung, der typischen Erklärung, führt alsbald zu einer weiteren Fol-
gerung. Soll nämlich eine Gestalt typisch aufgefasst werden, so kann sie ihr Verständniss
nicht unmittelbar in sich selbst tragen. Ihre Bedeutung kann dem Beschauer nicht sofort
und unmittelbar durch den blossen Anblick einleuchten, sondern dieselbe liegt gleichsam als
ein verborgenes Geheimmss in der Tiefe ihres Innern, und wird nur von dem zugleich
Glaubenden und Wissenden geschaut und erkannt. Weil nun die Kunst an sich allein un-
vermögend ist, ein solches Geheimniss zur Darstellung zu bringen, muss der Bildner dem
Beschauer einen Wink geben, um seine Gedanken auf die richtige Spur zu leiten, muss
also bei jeder nicht völlig geläufigen Darstellung zu einem ausserhalb der Kunst liegenden
INolhbehelfe greifen: und das geschieht am einfachsten und häufigsten durch Beisetzung einer
Inschrift. Deshalb sehen wir fast sämmtliche Bilder sowohl in der Biblia pauperum als auf
dein Kelche mit Inschriften versehen. Allein der knapp bemessene Baum der Inschrift er-
laubt dem Künstler häufig nicht mehr zu bieten, als eine blosse Namensangabe, wie z. B.
auf dem Kelche „Moynes cum Jierco serpente" oder „Pauper muliercula; Hellas propheta,"
oder eine andere kurze Andeutung, wie die übrigen Inschriften des Kelches solche zeigen.
Mitbin bleibt dem Beschauer die Aufgabe, aus Bild und andeutender Inschrift den Sinn zu enträth-
seln, welchen der Bildner in seine Gestalten zu legen beabsichtigt bat. Zeitgenossen können diese
Aufgabe leicht und ohne erheblichen Irrlhum lösen, falls die Ideen aus dem ihnen geläufigen Vor-
stellungskreise entnommen sind; für spätere, in anderen Anschauungen lebende Geschlechter
aber wird es eine gelehrte Arbeil, die zu ihrem Gelingen ein Zurückversetzen in jene Auffassungs-
weise, also ein tieferes Eingehen in die dem Kunstwerke gleichzeitige Literatur verlangt.

Auf Grund solcher Erwägung schien es mir nicht unangemessen, die Darstellungen
des Werbener Kelches einer wiederholten, wesentlich literarhistorischen Erörterung
zu unterziehen. Denn die Erklärung meines verehrten Freundes Otte, im ersten Bande
dieser Zeitschrift, so richtig und so ganz aus den Zeilideen des Künsllers heraus sie auch
schon das Meiste gedeutet hat, Hess doch hier und da noch elwas zweifelhaft; so dass ich
hellen durfte, aus den mir hier am Orte zu Gebole stehenden reicheren literarischen Hilfs-
mitteln wenigstens einen oder den anderen brauchbaren Nachtrag zu gewinnen. — Im Fol-
genden versuche ich nun das Ergebniss meines literarischen Slrcifzuges zusammen zu stellen.

Die Schriften, welche hier zuvörderst in Betracht kommen, sind die theologischen
Werke eines Isidor von Sevilla, Beda, Hrabanus Maurus, Walafrid Sirabo, oder auch an-
derer namhafter Theologen jener Zeil. Bei welchem von ihnen man Erklärung sucht und
findet, ist in so fern meistenteils gleicbgiltig, als sie alle desselben unbedingten Ansehens
genossen, und nicht nur derselben exegetischen Methode folgten, sondern auch (wenigstens
seit Beda) sich niemals eigene Deutungen erlaubten, vielmehr nur die Erklärungen älterer
Kirchenlehrer aufnahmen und weiter überlieferten, wobei es freilich zuweilen vorkommt, dass
zwei oder mehrere verschiedene Deutungen eines und desselben Typus neben einander laufen,
 
Annotationen