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Zeitschrift für christliche Archäologie und Kunst — 2.1858

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192 LITERARISCHE ANZEIGEN.

grössere Reihenfolge besprochen wurde, und deren Besprechung wir leicht noch ausdehnen könnten, in
den genannten Gegenden des Niederrheins würdige Repräsentanten vorfanden, so ist es doch eine der-
selben, welche nicht nur die andern übertrifft, sondern diesen Gegenden sogar in dieser Beziehung eine
vor allen anderen hervorragende Stellung anweist. Es sind die der Spätzeit der Gothik, meist erst dem
Anfange des XVI. Jahrh. angehörigen Schnitzaltäre, deren vorzüglichste Repräsentanten zu Calcar und
Xanten uns auf dem Doppelblatte XI, XII und auf Taf. XIII, XIV, XVI und XX vorgeführt werden. Es
ist gewiss sehr anzuerkennen, dass diese bedeutenden Meisterwerke vom Herausgeber in verhältnissmässsig
grossem Maasstabe dargestellt werden; leider ist damit nur der Nachtheil verbunden, dass, indem alle
Monumente nur in Contouren gegeben werden sollten, das höchstvollendete, selbst bis zur malerischen
Wirkung gesteigerte Relief, welches diese Schnitzwerke auszeichnet, nicht in voller Wirksamkeit hervor-
treten konnte, namentlich bei den in diesen Eigenschaften vorzugsweise ausgezeichneten Altären bei-
der Orte (XIII u. XX.). Wir gestehen, eine so liebenswürdige elegante Behandlung der Schnitzwerke kaum
anderwärts getroffen zu haben; namentlich möchte man das von der Predella ausgehende, die ganzen
Altäre in allen ihren oft wunderlichen, aber immer höchst liebenswürdigen Contouren begleitende Ran-
kengeflecht, aus dem die Patriarchen hervorwachsen, oder dazwischen sich winden, schlechthin als das
höchste Meisterwerk dieser liebenswürdigen Technik bezeichnen, was um so mehr hervortritt, als die
bei ähnlichen Schnitzwerken so seltene tiefbraune Holzfärbung, welche unsere Altäre auszeichnet, ihnen
noch ein besonders ehrwürdiges Ansehen verleiht.

Es ist nicht möglich, an diesem Orte das Verhältniss genauer zu besprechen, in dem diese Schnitz-
werke zu ähnlichen in anderen Gegenden stehen, namentlich, wie der Verf. vermuthet, zu den ihnen etwa
zu Vorbildern dienenden in den benachbarten Niederlanden, mit denen die Herzöge von Cleve in der zwei-
ten Hälfte des XV. Jahrh. durch mehrfache Verbindungen mit burgundischen Fürstentöchtern in engere Ver-
bindung getreten waren; oder mit denen in dem übrigen Norddeutschland, wo diese Art von Kunstwer-
ken so vorzugsweise häufig vorkommt; oder endlich, in welchem Verhältnisse die höchsten aller Meister
in dieser Kunst und Zeit, Syrlin und Veit Stoss (in dem Krakauer Altare) zu der niederrheinischen
Schule stehen: dies würde eine völlige Geschichte der Holzschnitzerei bedingen, die uns eigentlich noch
so gut wie ganz fehlt. Ich möchte im Einzelnen nur Folgendes anmerken: Bei der (S. 24) durch Prof.
Hirsch festgestellten engen Verbindung vieler üanziger Familien mit ihrer Heimath Calcar ist doch noch
nicht die Herkunft des schönen Altars der Reynoldikapelle der Marienkirche in Danzig aus Calcar völlig
ausgemacht. Die überaus zarten Reliefs des innern Hauptaltars (die übrigens vergoldet und bemalt sind)
würden dem allerdings nicht widersprechen: dagegen kommt am ganzen Niederrheine im Beginne des
XVI. Jahrh. kein Gemälde von solcher Vollendung vor, wie die auf den Aussenffügeln gemalten S. Rey-
nold und S. Johannes der Täufer. Die hohe Vollendung in Farbe und Zeichnung, namentlich aber die kräf-
tige Modellirung besonders in denFleischparthien des liebenswürdigen Kriegerjünglings bezeichnen einen Mei-
ster ersten Ranges. Ich wüsste dafür nur einen Namen zu nennen: Hans Holbein, wozu die Vollendung
des Altars um 1515 wohl passen würde. Für diesen Fall wäre aber eine Verbindung mit niederrheini-
schen Bildschnitzern nicht leicht zu erklären. Bemerkenswerth ist dabei noch, dass die weniger vollende-
ten, mehr naturalistischen Gemälde in der ersten Flügelölfnung wohl zur Kunstweise des älteren Holbein
passen würden. Dass Holbein auch später mit Danzig in Verbindung stand, bezeugt das Bildniss im
Berliner Museum, das nach den neuesten Forschungen einen Danziger Kaufmann darstellt.

Bemerkenswerth ist auch, dass die gleichfalls die Passion vorstellenden Gemälde der Innenflügel
des Hauptaltars der Marienkirche in Elbing ganz ähnlich behandelt sind wie jene der Reynoldikapelle,
und dass die grossen Gestalten auf den Aussenflügeln des 1520 angefertigten Crispinus-Altars daselbst
wieder sehr an jene dem Jüngern Holbein' zuzuschreibenden erinnern. Eine genaue Erforschung dieser
Verhältnisse, die wir hier nur anregen können, muss jedoch vorbehalten bleiben.

Die gemalten Flüge] des grossen Hauptaltars zu Calcar werden (S. 27) in traditioneller Weise dem
Johann von Calcar zugeschrieben, und danach auch das Alter des Schnitzwerks berechnet. Soviel wir
wissen, ist jene Autorschaft bis jetzt nirgends festgestellt, vielmehr nur allgemein conventionell angenom-
men, um dem berühmten Maler irgend ein Werk in seiner Heimath zuschreiben zu können. Die beiden
Halbfiguren unten in den Ecken (Taf. XVI, 6. 7. im Grossen dargestellt), welche der Verf. für die Bild-
nisse der unbekannten Bildschnitzer hält, möchten wir doch mehr für Propheten annehmen, wie solche
häufig angebracht wurden; das etwas ideale Coslüm, noch mehr aber die hierbei gewöhnlichen Schrift-
rollen möchten für diese Erklärung sprechen.

Wir schliessen hiermit zunächst die Besprechung dieser vortrefflichen Veröffentlichung, hoffend
im folgenden Hefte zunächst den für die Kunstgeschichte des X. und XI. Jahrh. so bedeutenden Monu-
menten aus Essen zu begegnen. Für viele Kunstfreunde hätten wir allerdings noch gewünscht, dass ein
weniger grosses und darum leichter zu handhabendes Format gewählt worden wäre. Wenn dadurch auch
manche Darstellungen gleichfalls hätten verkleinert werden müssen, so würde dies wenigen geschadet,
andern, wie der Roccoco-Taufschüssel des XVII. Jahrh. zu Cleve, sogar genützt haben, da sie den an-
dern werthvolleren Gegenständen doch nicht ebenbürtig ist. v. Quast.
 
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