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Zeitschrift für christliche Kunst — 15.1902

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Braun, Joseph: Italienische Mitren aus dem Mittelalter
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https://doi.org/10.11588/diglit.4074#0017

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1902. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST

Nr. 1.

Rocca beschrieben und abgebildet. Sie als
Reliquie des hl. Silvester anzusehen, wird heut-
zutage wohl kaum mehr Jemand, der nur ein
wenig von der Geschichte der pontifikalen Kopf-
bedeckung kennt, über sich bringen. Wun-
derbar aber ist, dafs bislang alle, welche sich
mit der Mitra beschäftigt haben, und zwar
auf Grund persönlicher Inaugenscheinnahme,
dieselbe als wirklichen bischöflichen Kopf-
schmuck behandelt haben, der bald dem XI.,
bald nach dem Stil der Darstellung und der
dem Stoff eingestickten Inschrift dem XIII.,
bald dem XIV. Jahrh. zugeschrieben wurde.
Ich sah die Mitra, von der übrigens nur noch
zwei Drittel der vorderen Hälfte vorhanden
sind, zuerst in Turin, woselbst sie zur Aus-
stellung gelangt war. Beim ersten Blick war
mir angesichts ihrer pygmäenhaften MafsVer-
hältnisse — völlig rekonstruirt hat sie nur einen
Umfang von ca. 40—42 cm — klar, dafs sie
nie das Haupt eines Mannes geschmückt haben
kann.

Man hat, um ihre Zuweisung an Silvester I.
zu erklären, sie als Mitra Silvesters II. ausge-
geben, freilich ohne zu bedenken, dafs die Be-
schaffenheit des Ornatstücks kaum weniger in
die Zeit des letzteren, als in die des ersteren
pafst. Die Sache liegt viel einfacher. Die
Mitra hat ohne Zweifel eine Statue oder ein
Büstenreliquiar des hl. Sylvester I. geschmückt.
So und nur so sind ihre lächerlich minimalen
Abmessungen verständlich.

Es ergibt sich hieraus aber auch, dafs die
Mitra von S. Martino für die Geschichte der
pontifikalen Kopfbedeckung im Grunde genom-
men nur von geringem Werth ist. Wenn wir
sie hier erwähnen, geschieht es vornehmlich,
um sie einmal als das zu charakterisiren, was
sie wirklich ist und sie auf ihre wahre Bedeutung
zurückzuführen. Sie kann nur insofern für die
Entwicklungsgeschichte der Mitra in Betracht
kommen, als sie eine verkleinerte Imitation der
Mitren des ausgehenden XIII. oder beginnenden
XIV. Jahrh. darstellt. Auf keinen Fall ist die
Miniaturmitra von S. Martino ai Monti früher zu
datiren. Was den Stoff derselben anlangt, so
scheint sie durch Stickerei hergestellt zu sein.
Doch ist es schwer, etwas Sicheres darüber fest-
zustellen, da das Kästchen, worin sie eingeschlos-
sen ist, eine genauere Untersuchung nicht ge-
stattet. Die Farbe der Mitra ist ein dunkles
Blau, das durch das Alter einen grauen Ton

erhalten hat. Die Muttergottes mit dem Jesus-
kind auf dem Thron, die Engel, welche die-
selben umstehen, die Sterne, welche den Grund
füllen, die Inschrift: Ave regina mimdi am
unteren Rande und die aus nebeneinander-
stehenden Quadraten gebildete Borde der Schräg-
seiten sind anscheinend in Gold ausgeführt.
Die figürlichen Darstellungen sind ungeschlacht
und eckig.1)

Von den beiden andern römischen Mitren,
welche bisher meines Wissens noch keine Be-
sprechung erfahren haben, befindet sich die
eine im Museo cristiano des Vatikan, die
zweite halb in S. Pietro in Vincoli, halb in
S. Maria della Face. Die letztgenannte wird
dem hl. Ubaldus von Gubbio (4- 1160) zuge-
schrieben. Sie kann demselben indessen un-
möglich angehört haben; ihre Mafse, ihre Form
und die durchaus gothische Stickerei, wo-
mit sie verziert ist, weisen mit Bestimmtheit
auf das Ende des XIV. Jahrh. hin. Die Höhe
der Mitra, die sich auf ca. 34 cm beläuft, über-
steigt schon um ein namhaftes die Breite.
Dem Stoff nach besteht das Ornatstück aus
weifsem Taffet, der netzförmig mit abgehefteten
Goldfäden überspannt ist. Die üblichen Be-
sätze in circulo und titulo sind durch rothe
Kördeichen angedeutet, zwischen denen der
Fond, soweit er nicht Medaillons aufweist, mit
Goldfäden netzartig überzogen ist; nur wurrlp
hier zum Unterschied von dem Grund der Mitra
jeder Masche ein kleines Kreuzchen eingestickt.
Der Medaillons befinden sich in circulo sechs
und in titulo je drei. Sie enthalten den Er-
löser, Maria, Johannes den Täufer, Apostel und
Heilige. Aufserdem ist auf dem Fond der
Schilde beiderseits neben dem Vertikalstreifen
ein anbetender Engel in einem Medaillon an-
gebracht. Die Figuren — Brustbilder — sind
im point fendu, dem gespaltenen Stich, oder

') Ein Pendant zur sog. Silvestermitra in S. Mar-
tino ai Monti bildet die dem hl. Ludwig von Tou-
louse (f 1297) zugeschriebene Mitra zu Brignoles
(Var). Sie hat eine Höhe von 28 cm und eine Breite
von 21,8 cm, also einen Umfang von sage und schreibe
nur 43,6cm. Es ist unverständlich, wie Ch. de
Linas, der die Mitra ausführlich behandelt hat (»Revue
de l'art chr&.« Jahrg. 1861 S. 225 ff.), das Ornatstuck
als authentisch hat ansehen können. Auch hier haben
wir es zweifelsohne mit einer Mitra zu thun, die eine
Statue oder Reliquienbttste des Heiligen schmückte.
Ihre Mafsverhältnisse 28x21,8</« weisen frühestens
auf das Ende des XIV. Jahrh. hin oder besser den
Anfang des XV. als ihre Entstellungszeit.
 
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