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Zeitschrift für christliche Kunst — 15.1902

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Graeven, Hans: Der untergegangene siebenarmige Leuchter des Michaelisklosters in Lüneburg
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https://doi.org/10.11588/diglit.4074#0038

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43

1902.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST

Nr. 2.

■14

des Schwanzes ragt eine männliche Figur em-
por, die nach hinten ein offenes Buch hält, so-
dafs ein höher sitzender Mann darin lesen
kann. Wen diese Figuren darstellen sollen,
ist schwer zu errathen, nur soviel ist klar, dafs
es Menschen sind, die dank dem Lichte die

wilden Bestien
nicht mehr zu

fürchten brau-
chen.

Der durch-
brochene Einsatz,
der in Reims aufse r
der einen Dra-
chenfigur noch er-
halten ist, zeigt
innerhalb seiner
Ranken unten zwei
einander gegen-
überstehende Ken-
tauren, darüber
zwei drachenartige
Thiere mit Rei-
tern, deren Ge-
sichter manchen
antiken Darstel-
lungen des Pan
ähneln, in denen

das Thierische
seiner Natur stark
betont ist. Die

letzten beiden
Gruppen sollen
hier vermuthlich
wie auch sonst
häufig die von
ihren Leidenschaf-
ten hingerissenen
Seelen symboli-
siren,15) die Ken-
tauren werden als
Dämonen aufzu-
fassen sein, das
Ganzeist demnach
eine Mahnung an den Beschauer, dafs er sich
dem Lichte zuwende, das ihm zur Abwehr
der finsteren Mächte helfen wird. Ist doch
in einem Ambrosianischen Morgenhymnus,16)

FiS- 2-

15) Vergl. Goldschmidt, »Der Albanipsalter
in Hildesheim.« (Berlin 1895.) S. ")3 ff.

16) Daniel »Thesaurus hymnologicus I.« (Halis
1841.) Nr. XIX, 5.

Christus als lux ipse Iuris et dies bezeichnet,
auch die Bitte enthalten:

Aufer tenebras mentium
Fuga catervas daemonum.
Der Fufs des Mailänder Leuchters hat
vier Drachen und vier durchbrochene Einsätze,

in die hier eine
aufserordentlich
reiche Figuren-
fülle hineinkom-
ponirt ist. Jeder
Einsatz zeigt zu
oberst drei Thier-
kreisbilder, die
einen ähnlichen
Gedanken wie die
Windgötter am
Essener Leuchter
zum Ausdruck
bringen sollen.
Unterhalb dersel-
ben befinden sich
je zwei Gruppen,
zwei Tugenden
thronen über den
zu Boden gewor-
fenen Lastern; zu-
unterst folgen jezwei alttestamentliche Darstellun-
gen, der Sündenfall, die Vertreibung aus dem
Paradiese, die Rückkehr der Taube Noahs zur
Arche u. s. w. Zu diesem Figurenreichthum der
Einsätze kommen noch die Gestalten in den
Windungen der Drachenschwänze, die Personi-
fikationen der Paradiesesströme, und jedesmal
mit dem Rücken an sie angelehnt die Ver-
treterinnen von vier freien Künsten. Ob dem
ganzen Kreise eine einheitliche Idee zu Grunde
liegt, ob er eine symbolische Beziehung zu
dem Geräth hat, das er schmückt, ist bisher
nicht ergründet worden.

Die Vergleichung der Leuchterfüfse hat
gezeigt, dafs der Lüneburger mit seinem Ge-
dankeninhalt ganz vereinzelt steht. Was die
Form anlangt, so stimmt er zwar in der An-
lage mit dem Reimser und Mailänder Fufse
überein, hat gleich ihnen durchbrochene Ein-
sätze zwischen Drachen, aber im Einzelnen
weicht er von jenen beiden erheblich ab. In
Reims sowohl als auch in Mailand sind die
Einsätze streng symmetrisch gegliedert, die
stilisirten Ranken machen rechts und links von
der Mittelachse völlig gleiche Windungen und
 
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