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Zeitschrift für christliche Kunst — 15.1902

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Graeven, Hans: Der untergegangene siebenarmige Leuchter des Michaelisklosters in Lüneburg
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https://doi.org/10.11588/diglit.4074#0041

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49

1902. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 2.

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len aus dem Schafte herauswachsen sollen,26) über
ihre Linienführung, über ihre Höhe ist nichts
bemerkt. So sind denn auch die ehernen
Leuchter des Mittelalters, obgleich die Ver-
fertiger jene Exodusstelle gekannt haben und
deren Anweisungen, die sich als Gottes eigene
Wünsche gaben, gewifs befolgen wollten, recht
verschieden ausgefallen.

Nur die Meister des Essener und Lüne-
burger Leuchters haben den durch die Minia-
turen überlieferten Typus bewahrt, die übrigen
haben freiere Gebilde geschaffen, wie ihr
Schönheitsgefühl es ihnen gebot. Am Braun-
schweiger Leuchter bekamen die Arme, wo sie
sich dem Schafte nähern, eine Biegung nach
unten, sodafs je zwei Arme die Linie eines
mit der Spitze abwärts gekehrten Eselsrückens
bilden. Die Biegung ist am Mailänder Leuchter
erheblich stärker und am Kloster-
neuburger ist die Linie der Arme
mehrfach geschwungen und ge-
knickt. Im Verhältnifs zum Esse-
ner und Lüneburger ist der
Braunschweiger Leuchter schlanker, /<j\t*
sein Schaft unterhalb des ersten x.\
Armansatzes ist um ein Glied er-
höht. Die Köpfe seiner Arme wei-
sen bereits eine merkliche Abstu-
fung auf und haben nicht mehr die
gleiche Höhe wie der Schaft, am Fig.

Mailänder und Klosterneuburger stei-
gen die Arme nur ganz wenig an und sind i
fast wagerecht ausgestreckt.

Die Kenntnifs der Formenentwicklung führt
zu dem Schlüsse, dafs der Braunschweiger
Leuchter jünger ist als der Lüneburger. Auch
an diesen hat sich die Legende geknüpft, dafs
er von Heinrich dem Löwen aus dem heiligen
Lande mitgebracht sei; beglaubigt ist nur, dafs
der Leuchter neben der Fürstengruft der
Michaeliskirche gestanden hat und an den
Gedächtnifstagen der dort begrabenenen Mit-
glieder des Weifenhauses angezündet wurde.27)
Die Gruft barg auch einen Sohn Heinrichs des

26) Abgewichen ist von dieser Forderung der
Paderborner Leuchter, denn bei ihm kommen nur
zwei Arme aus dem Schafte selbst und aus jedem
derselben gehen zwei Nebenarme hervor.

2T) Vergl. Gebhardi a. a. O. S. 23. Die Auf-
stellung des Leuchters in der Zeit vor 1792 veran-
schaulicht eine alte Zeichnung, reproducitt in »Die
Alterthümer der Stadt Lüneburg» (Lüneburg 1854)
Taf 9.

Löwen, den auf den Namen des Vaters ge-
tauften Spröfsling seiner ersten Ehe, der 1167
durch einen Sturz ums Leben kam, als die
Familie gerade in Lüneburg weilte,28) Für
seine Seelenmessen stiftete Heinrich der Löwe
dem Michaeliskloster die sog. Abtsmühle und
es ist höchst wahrscheinlich, dafs der Vater am
Grabe des Kindes den siebenarmigen Leuchter
errichtet hat, dessen reicher ausgestattetes
Gegenstück er etwa 25 Jahre später neben seiner
eigenen Ruhestätte aufstellen liefs.

Wie oben bemerkt wurde, entsprechen die
ergänzten Einsätze des Braunschweiger Leuch-
terfufses schwerlich den ursprünglichen, da-
gegen haben die Ergänzer bei der Stoffwahl
für die Emailbilder des einen Knaufes offen-
bar das Richtige getroffen.

Der untere der beiden mit Email
geschmückten Knäufe hatte nur einige
der Ornamentbänder verloren, die zwi-
schen die vier gröfseren kreisrunden
Platten eingelassen sind, diese Platten
selbst sind erhalten geblieben und
zwar tragen dieselben die Bilder
der vier Evangelisten. Der obere
Knauf hatte statt der runden Platten
rautenförmige besessen, die sämmt-
lich zu Grunde gegangen sind. An-
geregt durch den Schmuck des
Essener Leuchterfufses hat man die
neuen Emails mit den Brustbildern der vier
Winde ausgestattet. Die Richtigkeit dieser Wahl
wird bestätigt durch das in Fig. 3 abgebildete
Email plättchen, das im Jahre 1896 aus dem
Kunsthandel für das Kestner-Museum in Han-
nover erworben wurde.

Das hannoversche Plättchen hat im Rande
einen grünen Emailstreifen, seine Mittelfläche
ist mit blauem Schmelz gefüllt und von diesem
Grunde hebt sich im Metall ausgespart das Brust-
bild eines nackten geflügelten Jünglings ab,
der das Antlitz aufwärts wendet und mit vollen
Backen Wind ausbläfst. Sein Kopf ist bedeckt
mit einer cerevisartigen Mütze, wie sie in
manchen 'rheinischen Emails für Könige und
Königinnen29) sowie für Personifikationen der

2S) Vergl. Steinmann »Grabstätten der Weifen«
(Braunschweig 1885.) S. 80 ff.

29) Z. B. an dem für Reliquien Heinrichs IL, des
Heiligen, geschaffenen Behälter im Louvre, Didron
>Annales arMolog.*. XVIII, (1858) S. 154.
 
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