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Zeitschrift für christliche Kunst — 15.1902

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Beissel, Stephan: Zur Geschichte der Thiersymbolik in der Kunst des Abendlandes, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4074#0047

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1902. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 2.

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Tonas, dem Vorbilde der Auferstehung Christi.
Der Pelikan, welcher seine Jungen mit seinem
Herzblut zum Leben erweckt, steht neben dem
Bilde des die eherne Schlange erhöhenden
Moses, dem Vorbilde des Gekreuzigten, der
mit dem Blute seiner Seitenwunde uns erlöst.
Zwei Teufel schleppen in der folgenden Gruppe
einen Mann in die Hölle, neben ihnen sitzt ein
Drache. Den zweiten Theil der Reihe bilden
fünf Gruppen von Sirenen und Centauren und drei,
worin je zwei Menschen sich finden. Vielleicht
sind dadurch die Hauptsünden dargestellt.

Im Sinne des Physiologus wurden seit dem
XIII. Jahrh. häufigThiere zurSymbolisirung
der Tugenden und Laster verwerthet. Be-
reits in den Miniaturen der Herrad ritten Tu-
genden als Frauen mit Schwertern, Laster mit
Speeren auf verschiedenen Thieren, der Stolz
auf einem Löwen, worauf ein Bärenfell als
Sattel lag, die Gewaltthätigkeit auf einem Bären,
die Raubsucht auf einem Wolf. In den Wand-
malereien der Jakobskirche zu Leutschau in
Ungarn gab man am Ende des XIV. Jahrh.
der Trägheit als Reitthier einen Esel, dem Zorn
einen Bären, dem Neide einen Hund, der Un-
keuschheit ein Schwein, der Völlerei einen
Fuchs, dem Geiz eine Kröte. Aehnliches ge-
schah auf einem Teppich des XIV. Jahrh. zu
Regensburg. An Portalen der Kathedralen zu
Paris, Chartres und Amiens tragen die perso-
nificirten Tugenden entsprechende Thiere als
Wappenfiguren im Schild.52)

Die Lebensalter wurden durch Thiere ver-
sinnbildet in der Annakirche zu Annaberg und
zwar für den Mann durch einen Vierfüfsler,
für das Weib durch einen Vogel. 10 Jahr ein
Kalb und eine Wachtel, 20 Jahr Bock und
Taube, 30 Jahr Stier und Elster, 40 Jahr Löwe
und Pfau, 50 Jahr Fuchs und Henne, 60 Jahr Wolf
und Gans, 70 Jahr Hund und Geier, 80 Jahr
Katze und Eule, 90 Jahr Esel und Fledermaus.

Solche Bilder leiten über zur vierten Art
der Benutzung der Thierwelt, der humori-
stischen. Am unschuldigsten sind dieThier-
concerte, bei denen oft diejenigen Thiere, deren
Produktionen die unharmonischsten sind, die

i2) Otte, a. a. O. S. 496 f.; Didron, »Annales«
XXVII, 102; Male, »L'art religieux«, Paris, Leroux,
(1898) p. 151 s.

feinsten Instrumente spielen, z. B. ein Esel die
Geige, Affen und Katzen die Harfe, ein Schwein
das Hörn. Aufs schärfste werden die Juden,
verhöhnt durch zahlreiche Bilder, worin sie
mit einem Schwein spielen oder an demselben
saugen. Im Dome zu Freising steht bei einer
solchen Darstellung der Vers: „So wahr die
Maus die Katz nit frifst, wird der Jud kein
wahrer Christ."5S) Auf dem Brunnen zu Wipper-
fürth las man unter einer solchen Szene: „Jud
such dein Moder."

Beliebt war die Darstellung des Lebens,
des Todes und Begräbnisses des Meisters Fuchs
oder des Wolfs.54) Oft erscheint einer der-
selben als Mönch, Prediger oder Sänger. Dafs
man weiter ging, Thierfabeln nach Aesop oder
in dessen Sinn darzustellen, z. B. am Dome
von Paderborn, lag sehr nahe.

Die Thiersymbolik entstand im Anfange
der Geschichte und wird bleiben bis zum Ende.
Der Adler, das Feldzeichen Roms, wurde zum
Erbstück des deutschen Kaiserthums und mit
Rücksicht auf eine Stelle Ezechiels (17,3 f.)
gleichsam christianisirt.55) Der Löwe blieb im
Morgenlande wie im Abendlande das Bild der
Stärke, die Taube ein Sinnbild der Unschuld,
der Drache ein Symbol feindlicher Mächte.
Gewifs ist viel geschmackloses Spiel getrieben
worden mit der Symbolik, aber darum kann
ihre innere Berechtigung nicht geleugnet werden.
Ohne sie ist die sichtbare Welt nach dem hl.
Augustinus wie ein schönes Buch, dessen Aus-
stattung der Ungebildete bewundert. Der Ge-
bildete liest und versteht es; dringt ein indessen
Sinn und erst so erreicht es seinen vollen Zweck.
Luxemburg. Steph. Beisse 1.

") Otte I, 494.

'«*) Cahier, »Melanges« I, pl. 24 ; »Curiosite's« 115,
222; Didron, »Annales« 1,32; III, 23; Caumont,
»Bulletin« VIII, 44; XI, 492; X, 545; XIII, 647
XIV, 335 etc.; Ottel, 495. Mithof, »Kunstdenk-
mäler im Hannoverschen« VII Tafel 3 u. s. w. Er-
wähnung verdient hier die von Graus im »Gra-
zer Kirchenschmuck« veröffentlichte Darstellung des
Mäusekrieges, die er nächstens eingehender erläu-
tern wird.

") Auf dem Gegensiegel Friedrichs III. (IV. f 1493)
ist um den Adler die Inschrift eingegraben: Aquila
Ezechielis sponse missa est de eelis. Volat ipsa
sine meto, quo nee vates nee propheta evolavit aleius.
^(ustrie) ^(st) /(mperare) o(rbi) «(niverso).
 
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