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Zeitschrift für christliche Kunst — 15.1902

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Firmenich-Richartz, Eduard: Hans Memlings Jugendentwicklung
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https://doi.org/10.11588/diglit.4074#0072

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Abhandlungen.

Hans Memlings Jugendentwicklung.

Mit Lichtdruck (Tafel III).

m die Eigenart des künst-
lerischen Schaffens seiner
Lieblingsmeister zu ergrün-
den, beschäftigt der Forscher
; sich gern mit deren Jugend-
entwicklung und verfolgt,
wie sich im Anblick der
umgebenden Natur, unter dem Einflufs ver-
schiedener Vorbilder der Ausdruck persönlichen
Wesens allmählich festigt und entfaltet. Dem
Kenner gewährt es besonderen Reiz von den
sicheren Zügen der ausgeschriebenen Hand-
schrift auf erste tastende Versuche zurückzu-
schliefsen, in denen bestimmte Ziele und
neue Ausdrucksformen erst fern aufdämmern
und noch nicht zu sicherem Besitz erreicht
sind. Der reifen Meisterschaft, der Beherrschung
der Mittel, die leicht zur Routine wird, zieht
er die bescheidenen Erfolge der frühen Jahre
vor und möchte überall ein stetiges Wachsen,
den Fortschritt innerer wie äufserer Bereicherung
und Klärung verfolgen.

Die mannigfachen Schwierigkeiten des Nach-
weises solcher Entwicklungsreihen wird Nie-
mand leugnen. Bekannte Indizien der Form-
gebung sind erst im Keim verschlossen, die oft
bewunderten Vorzüge noch nicht zur Reife ge-
diehen. Zu solchen Bestimmungen bedarf es
einer innigen Vertrautheit mit der Individualität
des betrachteten Meisters. Man mufs auch die
Möglichkeiten ermessen und gleichsam mit
dessen Augen sehen, um alle Bestrebungen,
Absichten und Wünsche des langwierigen Bil-
dungsganges mit Um- und Abwegen zu über-
schauen. Es gilt all' die Leistungen zu würdigen,
die sich zwischen der überkommenen Stilrich-
tung und dem neugeprägten Ideal überleitend
einpassen. Die Auffindung neuer Jugendwerke
geschätzter Künstler der Vorzeit blieb daher
selten unangefochten. Die ersten Versuche er-
schienen im einen Fall allzu tüftelnd in ihrer
sauberen Sorgfalt oder derb und ungefüg; sie
schmiegten sich bald zu eng an ihre Vorbilder

oder die stammelnde abgebrochene Ausdrucks-
weise, das kühne Ungestüm, mit dem der An-
fänger sich der anstürmenden Eindrücke zu
bemächtigen gedachte, enthüllte Ungleichheit,
Härten und Fehler.

Zuverlässige Traditionen lassen uns meist
im Stich. Die Schriftquellen sind namentlich
für die niederländische Kunstgeschichte stets
zu karg, um festen Boden zur Erforschung
der Jugendgeschichte der führenden Maler zu
bieten.

Ein biographischer Versuch, der an verein-
zelte Nachrichten anknüpft, wird in Gefahr
laufen, nur luftige Spekulationen zu zeitigen.
So hat denn auch eine Tagebuchnotiz des Ge-
lehrten Rombout de Doppere, Aktuar von
St. Domitian zu Brügge (f 1501) in Betreff der
Herkunft Hans Memlings in verhängnifsvoller
Weise die Einbildungskraft moderner Kunst-
historiker beflügelt.

Die Abkürzung des Vornamens „Hans"
weist allerdings auf die deutsche Herkunft; als
Vlame wäre er wohl Jan genannt worden.1)

,Oriundus erat Magunciaco' fügt de Doppere
der Aufzeichnung des Todesdatums 11. August
1494 hinzu. Das Geburtsjahr bleibt unbekannt,
kann aber bis in die 30 er Jahre hinaufreichen.

In der ernsten Milde und sittsamen Ge-
lassenheit der Heiligengestalten Memlings, der
munteren Frische der Kinder, der holden
Innigkeit und stillen Sentimentalität der Jung-
frauen hatte man früher schon den Ergufs eines
deutschen Gemüths nachempfunden; nun machte
man ihn zum Schüler oder Genossen eines
höchst originellen Stechers und Malers, der
am Mittelrhein im letzten Viertel bis über die
Wende des XV. Jahrhunderts blühte. Nach
Stephan Lochners Vorbild soll er sich dann
weiterhin ausgebildet und zum Schlufs erst
dem weltfreudigen farbenreichen vlämischen
Realismus ergeben haben. Im Anschlufs an
eine Wanderfahrt das Rheinthal von Mainz
abwärts ward ein Entwicklungsgang in mehreren

') In Marcus v an Vaerne wyck «Historie van
Belgis« (l.r>3<t) werden „schilderyen van den duytschen
Hans" in Brttgger Kirchen hervorgehoben.


 
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