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Zöllner, Frank
Bewegung und Ausdruck bei Leonardo da Vinci (Marburg, Univ., Habil.-Schr., 1995) — Marburg, 1995

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https://doi.org/10.11588/diglit.2869#0022
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I. LEON BATTISTA ALBERTI ÜBER BEWEGUNG UND AUSDRUCK

Die früheste kunsttheoretische Problematisierung der Darstellung von Bewegung und
Ausdruck in der Neuzeit findet sich in der 1435 lateinisch und 1436 italienisch verfaßten De
pictura Leon Battista Albertis1, die hauptsächlich auf eine Neubewertung der Malerei unter
den Wissenschaften und Künsten abzielte. Diese Neubewertung basiert einerseits auf der im
ersten Buch von De pictura demonstrierten wissenschaftlichen Begründbarkeit der Malerei
durch Geometrie und Zentralperspektive sowie andererseits auf dem im zweiten und dritten
Buch explizierten Versuch, sowohl die emotionale Wirkungsweise der Malerei (etwa durch
die Affektübertragung) im Kontext einer nicht ausschließlich religiös orientierten Kunst zu
veranschaulichen, als auch einen Genuß (voluptas/ delectatio) am Kunstwerk zu legitimieren,
der unabhängig von moralischen oder didaktischen Motivationen und intellektueller
Wertschätzung bestehen konnte. Innerhalb einer Neubestimmung und Legitimierung der
Malerei spielte - so die These der folgenden Seiten - die Erörterung von Ausdruck und
Bewegung eine entscheidende Rolle, da sie auf zwei einander fremde Modelle rekurrierte,
nämlich einerseits auf bewußt ausgewählte Kategorien der antiken Rhetorik (die auf den
ersten Blick einen Primat des Wortes suggerieren) und andererseits auf
Rezeptionsmechanismen der zeitgenössischen religiösen Malerei (deren Betonung der
Affektübertragung an einen Primat des Bildes denken läßt).

1. De pictura und ihr Publikum

Albertis Abhandlung über die Malerei wirft einige Probleme hinsichtlich der vorgesehenen
Leserschaft und des Mangels an Beispielen aus der zeitgenössischen Kunst auf. Nicht
weniger problematisch ist der Umstand, daß aus dem 15. und frühen 16. Jahrhundert
wesentlich mehr Manuskripte der lateinischen Version von De pictura erhalten sind; zudem
scheint etwa um die Mitte des 16. Jahrhunderts die italienische Version nicht mehr bekannt
gewesen zu sein, denn sonst hätte man die Abhandlung nicht erneut ins volgare übertragen
müssen.2 Ein direkter Einfluß von De pictura auf die Künstler des 15. Jahrhunderts, für
die ja die italienische Fassung bestimmt war, ist daher oft nur mühsam nachvollziehbar
(s.u.); man mag eher daran denken, daß bestimmte Künstler, wie zum Beispiel Ghiberti, sich

1 Vgl. die Ausgaben von Grayson und Janitschek; generell und zur Zweisprachigkeit siehe Baxandali,
Giotto. S. 49-50, 126 und passim; Maraschio, 'Aspetti del bilinguismo Albertiano'; Patz, 'Begriff der
"Historia"', S. 269-270 (mit weiteren Literaturangaben).

2 Vgl. Grayson, 'Text of Alberti's "De pictura"', und Baxandali, Giotto, S. 126. Siehe auch Janitscheks
Anhang zu seiner Ausgabe, S. 262-263, und Graysons Einleitung zu De pictura.

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