Alberti schon bei der Niederschrift der lateinischen Version von De pictura im Jahre 1435
eine ungefähre Vorstellung von jenem Künstlertyp hatte, für den er seine Abhandlung wenig
später ins Italienische übersetzen sollte. Diese Übersetzung darf jedoch nicht darüber
hinwegtäuschen, daß De pictura ursprünglich für ein humanistisch geschultes Publikum und
nicht für einen künstlerisch ausgebildeten Leserkreis verfaßt wurde.
Die Heterogenität der Zielgruppe von De pictura - ein eher weniger gebildeter Fürst,
dessen humanistisch erzogener Sohn, die Humanisten am Hof in Mantua sowie befreundete
Künstler in Florenz (und vielleicht auch in Mantua) - erklärt zumindest teilweise, warum
Alberti in seinen Ausführungen fast vollständig auf die explizite Nennung von Beispielen aus
der nachantiken Kunst verzichtete. Als einzige Ausnahme beschreibt er ausführlich Giottos
Navicella in der Vorhalle von Sankt Peter in Rom (s.u.), ein allen Pilgern bekanntes9 und
wohl auch konsensfähiges Beispiel. Eine ähnliche Konsensfähigkeit konnte Giotto
garantieren, der seit seiner Nennung durch Dante kleinste gemeinsame Nenner einer
affirmativen Kunstkritik. Diese Neutralität hinsichtlich der Auswahl des einzigen Beispiels
aus der nachantiken Kunst korrespondiert auch mit der Allgemeinheit von Albertis
Argumentation, die den heutigen Leser dazu verführt, bestimmte Kunstwerke des 15.
Jahrhunderts als unmittelbare Umsetzungen von Anweisungen aus De pictura
anzusprechen.10
2. Die Funktion der Rhetorik und anderer Modelle
Die zahlreichen Versuche, in Albertis De pictura eine bestimmte Struktur nachzuweisen, die
letzüich Aufschluß über den Charakter und Zweck dieser für ihre Zeit einzigartigen
Abhandlung geben könnte, haben zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen geführt. Schwerlich
bestreitbar ist inzwischen die Annahme, daß Alberti sich auf Abhandlungen der antiken
Poetik und Rhetorik bezog", deren Nützlicheit für den Maler er an einer Stelle sogar
explizit betont.12 Zudem lassen sich bestimmte Begriffe Albertis wie etwa compositio oder
historia sowie Teile seiner Ausführungen zur Affektübertragung vom Bild auf den Betrachter
9 Vgl. Baxandall, 'Alberti and Landino'. Zum Kontext des Bildes siehe Kemp, 'Stefaneschi-Altar und
Navicella'.
10 Zu dieser Problematik siehe z.B. Krautheimer, Ghiberti. S. 315-334; Baxandall, Giotto. S. 133, und
weiter unten, Abschnitt 8.
11 Vgl. Anm. 13 und Maraschio, 'Bilingualismo Albertiano', S. 187-199, Patz, 'Begriff der "Historia",
und Wright, 'Alberti's "De pictura"'. Ablehnend zu rhetorischen Vorbildern äußern sich, teilweise in
Unkenntnis der genannten Arbeiten, Grassi, Teorici e storia della critica d'arte. S. 143, und Jarzombek,
'Structural Problematic of Alberti's "De Pictura"'.
12 Alberti, De pictura. § 54 (Janitschek, S. 147).
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eine ungefähre Vorstellung von jenem Künstlertyp hatte, für den er seine Abhandlung wenig
später ins Italienische übersetzen sollte. Diese Übersetzung darf jedoch nicht darüber
hinwegtäuschen, daß De pictura ursprünglich für ein humanistisch geschultes Publikum und
nicht für einen künstlerisch ausgebildeten Leserkreis verfaßt wurde.
Die Heterogenität der Zielgruppe von De pictura - ein eher weniger gebildeter Fürst,
dessen humanistisch erzogener Sohn, die Humanisten am Hof in Mantua sowie befreundete
Künstler in Florenz (und vielleicht auch in Mantua) - erklärt zumindest teilweise, warum
Alberti in seinen Ausführungen fast vollständig auf die explizite Nennung von Beispielen aus
der nachantiken Kunst verzichtete. Als einzige Ausnahme beschreibt er ausführlich Giottos
Navicella in der Vorhalle von Sankt Peter in Rom (s.u.), ein allen Pilgern bekanntes9 und
wohl auch konsensfähiges Beispiel. Eine ähnliche Konsensfähigkeit konnte Giotto
garantieren, der seit seiner Nennung durch Dante kleinste gemeinsame Nenner einer
affirmativen Kunstkritik. Diese Neutralität hinsichtlich der Auswahl des einzigen Beispiels
aus der nachantiken Kunst korrespondiert auch mit der Allgemeinheit von Albertis
Argumentation, die den heutigen Leser dazu verführt, bestimmte Kunstwerke des 15.
Jahrhunderts als unmittelbare Umsetzungen von Anweisungen aus De pictura
anzusprechen.10
2. Die Funktion der Rhetorik und anderer Modelle
Die zahlreichen Versuche, in Albertis De pictura eine bestimmte Struktur nachzuweisen, die
letzüich Aufschluß über den Charakter und Zweck dieser für ihre Zeit einzigartigen
Abhandlung geben könnte, haben zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen geführt. Schwerlich
bestreitbar ist inzwischen die Annahme, daß Alberti sich auf Abhandlungen der antiken
Poetik und Rhetorik bezog", deren Nützlicheit für den Maler er an einer Stelle sogar
explizit betont.12 Zudem lassen sich bestimmte Begriffe Albertis wie etwa compositio oder
historia sowie Teile seiner Ausführungen zur Affektübertragung vom Bild auf den Betrachter
9 Vgl. Baxandall, 'Alberti and Landino'. Zum Kontext des Bildes siehe Kemp, 'Stefaneschi-Altar und
Navicella'.
10 Zu dieser Problematik siehe z.B. Krautheimer, Ghiberti. S. 315-334; Baxandall, Giotto. S. 133, und
weiter unten, Abschnitt 8.
11 Vgl. Anm. 13 und Maraschio, 'Bilingualismo Albertiano', S. 187-199, Patz, 'Begriff der "Historia",
und Wright, 'Alberti's "De pictura"'. Ablehnend zu rhetorischen Vorbildern äußern sich, teilweise in
Unkenntnis der genannten Arbeiten, Grassi, Teorici e storia della critica d'arte. S. 143, und Jarzombek,
'Structural Problematic of Alberti's "De Pictura"'.
12 Alberti, De pictura. § 54 (Janitschek, S. 147).
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