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2. Einführung
2.1 Vordenker

Eine Untersuchung über nationalsozialistische Kunstpolitik kann deren Ideologie- und geistesgeschichtliche Vor-
aussetzungen nicht außer acht lassen. Die Wurzeln des faschistischen Rassenwahns und des Antisemitismus, von
denen sich die Vorstellung einer »deutschen« (d. i. »arischen«) und einer »entarteten« (d. i. »jüdischen«) Kunst
ableitete, liegen im 19. Jahrhundert und noch weiter zurück. Das Gedankengut einiger maßgeblicher Wegberei-
ter nationalsozialistischer Weltanschauung - welches sich Hitler in »Mein Kampf« (1925) zu eigen machte und
aus dem führende Kunstideologen wie Alfred Rosenberg ihre »Theorien« entwickelten - soll hier gestreift wer-
den.1
Als »einer der ersten Gelehrten, die sich ernsthaft mit dem Rassenproblem in allen seinen Folgerungen und
Schlüssen auf Leben und Sterben der Völker befaßten«2 3 4 5, wurde Joseph Arthur Comte de Gobmeau (1816 bis
1882) gefeiert.3 Der französische Diplomat, Schriftsteller, Archäologe und Freund Richard Wagners veröffent-
lichte 1853 bis 1855 in Paris seinen vierbändigen »Essai sur l’megalite des races humaines«. In deutscher Überset-
zung von Ludwig Schemann4, Mitglied des »Alldeutschen Verbandes«, erschien die Abhandlung unter dem Titel
»Versuch über die Ungleichheit der Menschenrassen« von 1898 bis 1901 im J. F. Lehmanns-Verlag München.
Aufstieg und Niedergang der Kulturen erklärt Gobmeau einzig aus der »rassischen Zusammensetzung« der Völ-
ker, welche er in drei »Grundrassen« - die weiße, die gelbe und die schwarze - einteilt. Nur die »weiße Rasse«,
die »Arier«, in Europa repräsentiert durch die »Germanen« (und den französischen Adel), besitze eine schöpferi-
sche kulturschaffende Kraft. Folglich sei sie den anderen überlegen und zum Herrschen prädestiniert. Den Juden
widmet Gobmeau keine besondere Aufmerksamkeit. Sprachgeschichtlich manifestiert sich in seinem Buch em
Bedeutungswandel des Begriffs »Degenerierung« bzw. »entarten«. Die frühesten Quellen für das Wort sind im
Mittelhochdeutschen und dann wieder in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu finden und belegen seine
allgemeine Bedeutung von »aus der Art schlagen«^. Erst seit dem 19. Jahrhundert und in Publikationen wie derje-
nigen Gobmeaus wird das Wort »zur generellen Deklassierung von Menschengruppen«6 verwendet. Ein Absatz
aus der Schrift Gobmeaus möge das verdeutlichen:
Wenn man das Wort »degeneriert« auf ein Volk anwendet, will man damit besagen, daß der innere Wert dieses Volkes
nicht mehr seinem früheren gleicht, weil das Blut, das in seinen Adem kreist, durch die fortwährende Vermischung mit
anderem Blut nicht mehr vom gleichen Werte geblieben ist. Anders ausgedrückt: Unter dem gleichen Volksnamen hat
1 Zu den Themen Kulturpessimismus, Konservativismus und Rassismus vgl. Peter Emil Becker 1988; Hermand 1988; Mendle-
witsch 1988; Mohler 1989; Mosse 1978b und 1979; Sontheimer 1992; Stern 1986; Weinberger 1988. Textauszüge der in diesem
Kapitel vorgestellten Autoren befinden sich in: von Westphalen 1971, S. 43-46.
2 Schwinkowski 1934, S. 549.
3 Zu Gobmeau detailliert Arendt 1955, S. 280-287.
4 Schemann 1932. Schemann (1852 bis 1938) gründete 1894 eine Gobineau-Vereinigung und 1906 em Gobineau-Museum in
Straßburg. 1903 bewirkte er die Erwerbung des Gobineauschen Nachlasses durch die Universitätsbibliothek Straßburg. 1928 bis
1931 veröffentlichte Schemann im Münchner Lehmanns-Verlag das dreibändige Opus »Die Rasse in den Geisteswissenschaften.
Studien zur Geschichte des Rassengedankens« (nach Mohler 1989, S. 219h und S. 366!'.).
5 Berning 1964, S. 6jf. Zur Begriffsgeschichte vgl. Jens Malte Fischer 1984; Fiaker 1987; Rothe 1990, besonders S. 7-11; Horst Rü-
diger 1981; Tabor 1994, Bd. 1, S. 90-97. Auf die Verwendung des Terminus »Entartung« nach 1945 komme ich in Kapitel 9 zu-
rück.
6 Mattenklott 1987, S. 25.

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