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8. Vergleichende Betrachtung
8.1 Ausstellungstechnik, Präsentation und Inszenierung
Entscheidend für die Rezeption aller oben untersuchten Ausstellungen war zweifellos ihre spezifische Präsenta-
tionsweise. Sie diente nicht bloß der dekorativen visuellen Ausschmückung der Expositionen, sondern war imma-
nenter Bestandteil ihrer Aussage: Propagandistische Intention und Inszenierung lassen sich folglich nicht vonein-
ander trennen.
Die Organisatoren der Vorläuferausstellungen entwickelten ein variables System von dramaturgischen Effekten,
das, in konzentriert-verdichteter Weise, in der Wanderschau »Entartete Kunst« von 1937 bis 1941 aufgegriffen
wurde. Charakteristisches Merkmal ist hierbei das antithetische Ausstellungsprinzip: In plakativer Manier wer-
den der geächteten abzulehnenden Kunst Beispiele der als vorbildlich deklarierten Kunst gegenübergestellt. Die-
ses Schwarzweiß-Verfahren nivelliert einerseits jegliche Unterschiede zwischen den geschmähten Werken, da das
Verdikt »entartet« als pauschales Urteil über in Wirklichkeit sehr heterogene Phänomene gesetzt wird. Anderer-
seits produziert es die Vorstellung angeblicher Extreme, die unvereinbar sind: Eine Synthese ist nicht denkbar.
Die Antithese ist hier also nicht Bestandteil eines dialektischen, auf Erkenntnis gerichteten Prozesses (etwa im
Sinne eines kreativen Vergleichs mit dem Ziel des Verstehens unterschiedlicher künstlerischer Ausdrucksformen),
sondern sie dient im Gegenteil der Aufoktroyierung eines doktrinär vorgefertigten Werturteils und zugleich der
Ausschaltung des kritischen Intellekts. Der stets repetierte plebiszitäre Appell: »Deutsches Volk, komm und
urteile selbst«, suggeriert dem Rezipienten eine aktive Teilnahme und Entscheidungsfreiheit, die in Wahrheit
weder vorhanden (das zu fällende Urteil ist vorprogrammiert) noch erwünscht sind: »Partizipationserfahrung bei
gleichzeitiger Ausschaltung realer Partizipation war eines der zentralen Mittel, mit denen die Faschisten im
Kampf um die Köpfe ihre Erfolge errangen und sie vor allem absicherten«1.
Das antithetische Prinzip findet indes nicht nur innerhalb der thematischen Ausstellungen in mehreren Varian-
ten, darunter auch Konfrontation moderner Kunst mit Arbeiten psychisch Kranker und mit Kinderzeichnungen,
Anwendung. Es liegt der nationalsozialistischen Ausstellungsstrategie im ganzen zugrunde: Negative Expositio-
nen sollen, unter Ausnutzung verschiedenartiger bereits vorhandener Ressentiments, Feindbilder aufbauen und
einhämmem. Bis 1939 liegt ihr Zweck in der allgemeinen ideologischen und stimmungsmäßigen Vorbereitung
des Krieges (Gewinnung von »Lebensraum« im Osten, Kampf gegen den »Weltfeind Bolschewismus«) und des
Holocaust (»Der ewige Jude«). Desgleichen geht es um sehr konkrete imperialistische Pläne: »Sudetendeutsche
Kunstausstellungen«2, »Kunst der Ostmark« bereiten den Boden für die Ereignisse der Jahre ab 1938. In den
Kriegsjahren treten verstärkt kriegsverherrlichende und Feindländer verteufelnde Ausstellungen hinzu: »Polen-
feldzug in Bildern und Bildnissen«, »Kunst der Front«, »Künstler sehen den Krieg«, »Raubstaat England«, »Die
englische Plutokratie«, »Großdeutschland und die See«. Dagegen sollen posive Schauen die faschistische Ideolo-
gie in angeblich »volkstümlicher« (dabei aber die wahren, beileibe nicht »volksonentierten« oder gar »volks-
freundlichen« Motive verschleiernder) Weise verbreiten und die »Leistungen« des NS-Staates zelebrieren: »Die
1 Ehlich 1989, S. 21. - Gerhard Paul (1990, S. 259) verwendet den Begriff der »antithetischen Inszenierung« in ähnlichem Kon-
text: »Dramaturgisch organisierte die NS-Propaganda ihre visuelle Attacke gegen die Republik als antithetische Inszenierung aus
drohender Apokalypse und brauner Wiedergeburt.«
2 Vgl. Kapitel 3.8, Anm. 19.

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