3. Schreckenskammem und Schandausstellungen:
Die Vorläufer der Ausstellung Entartete Kunst
Möge man leise reden, es ist ein Sterbender im Zimmer. Die
sterbende deutsche Kultur, sie hat im Innern Deutschlands
nicht einmal mehr Katakomben zur Verfügung. Nur noch
Schreckenskammem, worin sie dem Gespött des Pöbels preis-
gegeben werden soll; ein Konzentrationslager mit Publikums-
besuch. Das wird toll und immer toller.
Ernst Bloch 193 71
3.1 Kulturbolschewistische Bilder
Mannheim, Städtische Kunsthalle, 4. April bis 5. Juni 1933
Gustav Friedrich Hartlaub (1884 bis 1963), seit 1914 an der Städtischen Kunsthalle Mannheim und seit 1923 als
Nachfolger Fritz Wicherts (1878 bis 1951) ihr Direktor, schrieb am 11. Januar 1932 einen Brief an Alfred Hent-
zen, Nationalgalerie Berlin:
Herr Schreiber-Weigand [Leiter der Städtischen Kunstsammlungen Chemnitz; vgl. Kapitel 3.4] in Chemnitz sagte mir, daß
Sie allerlei Material gesammelt hätten über die Angriffe von nationalistischer Seite gegen das Sammeln und die Pflege
moderner Kunst. Auch hier in Mannheim sind im Hakenkreuzbanner schon nicht weniger als sieben Artikel erschienen,
welche die gesamte Ankaufstätigkeit der Kunsthalle in Bausch und Bogen als undeutsch abtun und immer wieder die
Behauptung aufstellen, daß wir die echte deutsche Kunst überhaupt nicht sammeln. Als Vertreter dieser echt deutschen
Kunst werden genannt: Fidus, Fahrenkrog, Hendnch und einige andere, deren Namen ich nicht im Kopf habe. Wenn die
Angriffe überall nach dem gleichen Schema gemacht werden, müsste man doch daran denken, wie man sich gemeinsam
zur Wehr setzt. Haben Sie sich mit dem deutschen Museumsbund (Direktor Noack) in Verbindung gesetzt?2
Das Schreiben wirft em bezeichnendes Licht auf die massiven Anfeindungen, denen Hartlaub und seine
Museumskollegen wegen ihres Engagements für die moderne Kunst seit den zwanziger Jahren ausgesetzt waren
und die in den Jahren vor der Machtergreifung - besonders in der völkischen und NS-Presse wie dem erwähnten
Hakenkreuzbanner - zahlenmäßig und an Schärfe des Tons drastisch zunahmen. In diesen Attacken wurde ideo-
logisch und propagandistisch vorbereitet, was sich nach dem 30. Januar 1933 binnen kürzester Zeit vollzog. In
jenem Jahr fiel auch in der Quadratestadt das freie politische und kulturelle Leben der Weimarer Jahre innerhalb
weniger Wochen der nationalsozialistischen Gleichschaltung zum Opfer. Am n. März wurden der verdienstvolle
Oberbürgermeister Hermann Heimerich und eine Reihe führender Sozialdemokraten in »Schutzhaft« genom-
men. Am 18. März »beurlaubte« man Generalmusikdirektor Josef Rosenstock und Intendant Herbert Maisch,
am 20. März Kunsthallendirektor Gustav F. Hartlaub.3 An ihre Stelle sollten »verdiente Kämpfer« der NS-Bewe-
1 Bloch 1985, S. 80. Der Text erschien erstmals in: Die neue Weltbühne, 29. Juli 1937.
2 Archiv der Alten Nationalgalerie Berlin. Hentzen, seit 1927 als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter an der Nationalgalerie tätig, ant-
wortete am 25. Februar 1932, daß er keine solche Materialsammlung besitze und die Unternehmungen des Museumsbundes »et-
was lahm« seien (ebenda). Tatsächlich stand der 1929 gegründete Deutsche Museumsbund den Attacken auf die Museen und
ihre Vertreter ziemlich hilflos gegenüber, wie 1933 im Zusammenhang mit den »Beurlaubungen« und »Schreckenskammem« evi-
dent werden sollte.
58
Die Vorläufer der Ausstellung Entartete Kunst
Möge man leise reden, es ist ein Sterbender im Zimmer. Die
sterbende deutsche Kultur, sie hat im Innern Deutschlands
nicht einmal mehr Katakomben zur Verfügung. Nur noch
Schreckenskammem, worin sie dem Gespött des Pöbels preis-
gegeben werden soll; ein Konzentrationslager mit Publikums-
besuch. Das wird toll und immer toller.
Ernst Bloch 193 71
3.1 Kulturbolschewistische Bilder
Mannheim, Städtische Kunsthalle, 4. April bis 5. Juni 1933
Gustav Friedrich Hartlaub (1884 bis 1963), seit 1914 an der Städtischen Kunsthalle Mannheim und seit 1923 als
Nachfolger Fritz Wicherts (1878 bis 1951) ihr Direktor, schrieb am 11. Januar 1932 einen Brief an Alfred Hent-
zen, Nationalgalerie Berlin:
Herr Schreiber-Weigand [Leiter der Städtischen Kunstsammlungen Chemnitz; vgl. Kapitel 3.4] in Chemnitz sagte mir, daß
Sie allerlei Material gesammelt hätten über die Angriffe von nationalistischer Seite gegen das Sammeln und die Pflege
moderner Kunst. Auch hier in Mannheim sind im Hakenkreuzbanner schon nicht weniger als sieben Artikel erschienen,
welche die gesamte Ankaufstätigkeit der Kunsthalle in Bausch und Bogen als undeutsch abtun und immer wieder die
Behauptung aufstellen, daß wir die echte deutsche Kunst überhaupt nicht sammeln. Als Vertreter dieser echt deutschen
Kunst werden genannt: Fidus, Fahrenkrog, Hendnch und einige andere, deren Namen ich nicht im Kopf habe. Wenn die
Angriffe überall nach dem gleichen Schema gemacht werden, müsste man doch daran denken, wie man sich gemeinsam
zur Wehr setzt. Haben Sie sich mit dem deutschen Museumsbund (Direktor Noack) in Verbindung gesetzt?2
Das Schreiben wirft em bezeichnendes Licht auf die massiven Anfeindungen, denen Hartlaub und seine
Museumskollegen wegen ihres Engagements für die moderne Kunst seit den zwanziger Jahren ausgesetzt waren
und die in den Jahren vor der Machtergreifung - besonders in der völkischen und NS-Presse wie dem erwähnten
Hakenkreuzbanner - zahlenmäßig und an Schärfe des Tons drastisch zunahmen. In diesen Attacken wurde ideo-
logisch und propagandistisch vorbereitet, was sich nach dem 30. Januar 1933 binnen kürzester Zeit vollzog. In
jenem Jahr fiel auch in der Quadratestadt das freie politische und kulturelle Leben der Weimarer Jahre innerhalb
weniger Wochen der nationalsozialistischen Gleichschaltung zum Opfer. Am n. März wurden der verdienstvolle
Oberbürgermeister Hermann Heimerich und eine Reihe führender Sozialdemokraten in »Schutzhaft« genom-
men. Am 18. März »beurlaubte« man Generalmusikdirektor Josef Rosenstock und Intendant Herbert Maisch,
am 20. März Kunsthallendirektor Gustav F. Hartlaub.3 An ihre Stelle sollten »verdiente Kämpfer« der NS-Bewe-
1 Bloch 1985, S. 80. Der Text erschien erstmals in: Die neue Weltbühne, 29. Juli 1937.
2 Archiv der Alten Nationalgalerie Berlin. Hentzen, seit 1927 als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter an der Nationalgalerie tätig, ant-
wortete am 25. Februar 1932, daß er keine solche Materialsammlung besitze und die Unternehmungen des Museumsbundes »et-
was lahm« seien (ebenda). Tatsächlich stand der 1929 gegründete Deutsche Museumsbund den Attacken auf die Museen und
ihre Vertreter ziemlich hilflos gegenüber, wie 1933 im Zusammenhang mit den »Beurlaubungen« und »Schreckenskammem« evi-
dent werden sollte.
58