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5. Die zweite Beschlagnahmewelle und die
Verwertung der Produkte entarteter Kunst

Bevor wir uns der Wanderung der Ausstellung »Entartete Kunst« (Abb. 3) zuwenden, muß kurz auf das weitere
Schicksal der verfemten Moderne im nationalsozialistischen Deutschland eingegangen werden. Die Eröffnung
der Münchner Femeschau war der Auslöser für den von Hitler am 18. Juli 1937 angekündigten »unerbittlichen
Säuberungskrieg [...] gegen die letzten Elemente unserer Kulturzersetzung«1. In einer zweiten Beschlagnahme-
welle wurden in den deutschen Museen circa 16.500 Kunstwerke »sichergestellt« und nach Berlin verbracht -
eine in der Geschichte beispiellose Enteignungsaktion.2 3 4 5 Wieder ist es Goebbels, der die Initiative ergreift. Fünf
Tage nach Eröffnung der Münchner Schau, am 24. Juli 1937, notiert er:
Die Ausstellung »Entartete Kunst« ist ein Riesenerfolg und ein schwerer Schlag. [...] So muß man es machen. Durch
große Aktionen das Interesse des Volkes wachrufen. [...] Die alte Kommission soll nun alle entarteten Bilder in den
Museen beschlagnahmen. Führer gibt mir Vollmacht dazu.3
Doch auch in diesem Fall kommt es zwischen Erziehungsminister Rust, der sich die Bekämpfung der »Entarte-
ten Kunst« nicht vollends aus der Hand nehmen lassen will, und Propagandaminister Goebbels zu einem Kon-
kurrenzkampf. Die einschlägigen Passagen in Goebbels’ Tagebuch lesen sich wie em Kriminalroman.4 Sie geben
auch einen Einblick in das »Führungschaos« im sogenannten Führerstaat:
25. Juli 1937. (So.) Ich gebe Ziegler telephonisch Auftrag, die Museen zu säubern. Das dauert jetzt 3 Monate, dann ist
alles klar.
28. Juli 1937. (Mi.) Ziegler bekommt vom Führer ganze Vollmacht, alle Museen auszuräumen. Ich werde das Material
dann sammeln.
4. August 1937. (Mi.) Rust gibt einen Erlaß Görings bekannt, der ihn, ausgerechnet ihn, beauftragt, die Museen in Preu-
ßen zu reinigen. Der Führer ist wütend. Er hält seinen Erlaß an Ziegler vollkommen aufrecht. [...] Ziegler soll sich augen-
blicklich in Marsch setzen, um den Auftrag des Führers auszuführen. Dieser Schlag Rusts ist also danebengegangen. Der
Führer ist ganz außer sich. Dabei hat Rust unter Umgehung unseres Amtes den Erlaß direkt an die Presse gegeben. So ein
Dreckstück! Aber hat sich damit selbst wahnsinnig geschadet. Ich schicke nochmal Hanke zum Führer, der ihm ausdrück-
lich seinen Auftrag an Ziegler bestätigt. [...] Ziegler weiß nicht mehr aus noch ein. Er ist ganz konfus. Ich wiederhole ihm
nochmal den Auftrag des Führers. Dann Rundschreiben an die Landesstellen, ihn zu unterstützen und sicherzustellen,
daß keine Bilder mehr verschoben werden.
4. August 1937. (Mi.) Er [Hitler] ist wütend auf Rust. Der hat mit seinem Göring-Erlaß direkt den Willen des Führers tor-
pediert. Führer will nun seine Entlassung fordern. Jetzt wird’s ernst.
5. August 1937. (Do.) Der Auftrag an Rust wird annulliert. Auftrag an Ziegler bleibt allem bestehen.
Am 2. August 1937 hatte Rust den vom 28. Juli datierenden Erlaß Görings und einige Durchführungsrichtlinien
auf einer Tagung der Museumsleiter im Berliner Erziehungsministerium bekanntgegeben J Die Tagespresse veröf-
fentlichte ihn in den darauffolgenden Tagen.6 Unter dem 4. August erhielten die Museen in Preußen - sowie die
1 Aus der Rede zur Eröffnung der GDK am 18. Juli 1937, zitiert nach Schuster 1987, S. 252.
2 Zum Problemkreis dieses Kapitels vgl. die Arbeiten von Hüneke 1985a, S. 35-37; 1988b, S. 33-35; 1988c, S. 16-18; 19886, S.
48-52 sowie Janda 1988, S. 80-84 und Lott $• 292-298.
3 Zitiert nach Fröhlich 1987a, Teil 1, Bd. 3, S. 211.
4 Die folgenden Zitate nach ebenda, S. 212, S. 215 und S. 224-226.
5 Vgl. hierzu Barbara Lepper 1983, S. 36-38, Dok. 6 und von Lüttichau 1987, S. 117, Anm. 84.
6 Z. B. am 4. August 1937: Der Führer; Westdeutscher Beobachter (abgedruckt bei Hildegard Brenner 1963, S. 205); Hakenkreuz-
banner (abgedruckt bei Emst Piper 1987, S. 204, Dok. 156); FZ (abgedruckt bei Janda/Grabowski 1992, S. 59) oder am 15. Au-
gust 1937: Weltkunst 11, 1937, Nr. 32/33, S. 6.

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