Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
6. Die Wanderausstellung Entartete Kunst
6.1 Die Organisation:
Das Institut für Deutsche Kultur- und Wirtschaftspropaganda

Die Ausstellung »Entartete Kunst«, die in München innerhalb weniger Wochen eine Besucherzahl von über zwei Millio-
nen erreichte, wird von der Reichspropagandaleitung der NSDAP übernommen, weiter ausgebaut und durch die größten
Städte des Reiches mit jeweils einer durchschnittlichen Laufzeit von vier Wochen geschickt. Die Voraussetzung für die
Zuteilung der Ausstellung ist em auch durch die Bereitschaft zu finanzieller Unterstützung praktisch erwiesenes Interesse
der einzelnen Städte und der sonst hierfür in Frage kommenden Stellen. Die Gaupropagandaleiter werden angewiesen,
sofort zu ermitteln, in welchen Städten günstige Voraussetzungen zur Unterbringung der Ausstellung gegeben sind. Ter-
mine können von der Reichspropagandaleitung, beginnend mit dem i. Februar 1938, jeweils für einen Monat einschließ-
lich Ab- und Aufbauzeit vergeben werden. Ich ersuche um möglichst schnellen Bericht.
Noch während der Laufzeit der Ausstellung »Entartete Kunst« in München, am 23. November 1937 um 15.15
Uhr, schickte die Reichspropagandaleitung der NSDAP dieses Telegramm »an alle Gaupropagandaleitungen und
ihre Kulturhauptstellen«.1 Bis März 1939 bewarben sich laut einer Zeitungsmeldung 65 Städte.2 3 4 5 Das Telegramm
hatte »Stabsleiter Fischer« gezeichnet. Hugo Fischer war stellvertretender Reichspropagandaleiter der NSDAP
und zugleich Präsident der Institution, die von der Reichspropagandaleitung mit der Durchführung der Wander-
ausstellung betraut worden war: des Instituts für Deutsche Kultur- und Wirtschaftspropaganda in Berlin. Dieses
Institut spielte im NS-Ausstellungswesen eine exponierte Rolle, die hier erstmals eingehend untersucht werden
soll.3 Grundlage ist die Auswertung von Akten4 und Publikationen^ des Instituts. Eine institutseigene Zeitschrift
erschien ab November 1933 unter dem Namen: »Illustrierte Nachrichten aus Industrie, Handel, Handwerk und
Gewerbe. Deutsche Wirtschaftspropaganda in Bild und Schrift. Einziger offizieller Bilderdienst des Instituts für
Deutsche Wirtschaftspropaganda und der Braunen Messen«, und ab September 1934 als: »Illustrierte Wirtschaft.
Einziger offizieller Bilderdienst und Nachrichtenblatt des Instituts für Deutsche Wirtschaftspropaganda [ab
Maijuni 1937 Deutsche Kultur- und Wirtschaftspropaganda] für die Braunen Messen - Deutsche Wochen«6.
Bereits Anfang 1933 wurde in der Reichsführung des »Kampfbundes des gewerblichen Mittelstandes« (Reichslei-
tung der NSDAP, München) em Referat für Ausstellungs- und Messewesen eingerichtet, welches unter Aufsicht
1 ZSTA 50.01-743, Bl. 23.
2 Vgl. Thüringer Gauzeitung, 23. März 1939 (Abb. 104). Da die Aufforderung ausdrücklich an »die größten Städte des Reiches« er-
ging, boten sich vermutlich sämtliche deutschen Großstädte (Gemeinden mit 100.000 und mehr Einwohnern) an, deren es nach
der Volkszählung vom 17. Mai 1939 - d. h. mit besetzten Gebieten - 61 gab (vgl. FZ, 23. Juli 1939). - Nur in einem Fall hat sich
eine (vergebliche) Anfrage erhalten. Am 24. Februar und n. März 1938 suchte das Reichspropagandaamt Kurhessen beim
RMVP um Überlassung der Schau für eine Präsentation im Kasseler Kunstverein nach (vgl. ZSTA 50.01-743, Bl. 60 und Bl. 62).
3 Einige Angaben finden sich bei Roth 1989, S. 6if., Sprengel 1989 und Weißler 1993. Vgl. auch Schimpff 1989, S. 59.
4 Vgl. BA R 55/354 (diverse Schriftwechsel 1935 bis 1940, darunter leider nichts zur Ausstellung »Entartete Kunst«), BA R 55/747,
Bl. 167-172 (Abgrenzung der Zuständigkeiten zu denen des DPA 1941-44) sowie StA München Kulturamt 649/2 (Rechtsstreit
um »Braune Kunstgewerbeschau«, München 1935).
5 Vgl. Institut für Deutsche Wirtschaftspropaganda 1936; Wesenswandel der Ausstellung 1938 (vgl. hierzu die Rezension in der
Kreuz-Zeitung vom 10. Juni 1938). Die Schriften des Instituts erschienen im hauseigenen Verlag für Wirtschaftswerbung bzw.
Verlag für Kultur- und Wirtschaftswerbung, welcher auch den Ausstellungsführer »Entartete Kunst« herausbrachte.
6 Den Hinweis auf diese Zeitschrift (im folgenden IW), die in Deutschland nur in der SBBPK, Haus 1 (Signatur 40 Sa 6812/218,
lückenhaft) vorhanden ist, verdanke ichjeanpaul Goergen.

222
 
Annotationen