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1. Einleitung

1.1 Gegenstand und Methode der Untersuchung

Der große Maler Raphael,
Der war ein Hauptgenie!
Käm’ der mal ’runter, ging’ er gleich
Zur Bilder-Galerie.
Dort wär’ er aber gleich perplex
Und spräche voller Hohn:
»Ich nenn’ so’n Bild ’nen Farbenklex,
Die nennen’s Secession.
Die Maler, das sieht jedes Kind -
Sind heutzutage farbenblind.«
Am besten wär’s, so scheint es mir,
Spräch’ Raphael darauf:
»Man hinge statt der Bilder hier
Den Maler selber auf!«
Otto Reutter1

Ob nicht Otto Reutter (1870 bis 1931), dem für seine witzig-ironischen Couplets berühmt gewordenen Berliner
Humoristen, der Gesang buchstäblich im Halse steckengebheben wäre, wenn er die bald nach seinem Tode ein-
setzenden Ereignisse noch erlebt hätte?
Thema der vorliegenden Untersuchung ist die systematische »Verwertung« der künstlerischen Moderne durch
die Nationalsozialisten. Am Beispiel der sogenannten »Schreckenskammem« (1933 bis 1937) und der Wanderaus-
stellung »Entartete Kunst« (1937 bis 1941) wird analysiert, auf welche Weise Kunst- und Ausstellungspolitik im
Hitler-Deutschland als Instrumente der politischen Propaganda und Massenmanipulation eingesetzt wurden.
Dabei verstehe ich mit Hildegard Brenner Kunstpolitik im doppelten Sinne als »Politik, die sich auf Kunst rich-
tet«, und als »Politik, die mit Kunst gemacht wird«.2
Die Studie versteht sich als Beitrag zu einem komplexen Thema mit folgenden Bezugspunkten und Bedeutungs-
schichten:
1. Rezeptionsgeschichte der Moderne
2. Geschichte des Ausstellungswesens
3. Funktionen und Wirkungsweisen der NS-Propaganda
4. Kunst und Staat: Zensur als gesellschaftlich-politisches Phänomen.
Für das Verständnis und die kritische Beurteilung des Gegenstandes ist zweierlei grundlegend: Zum einen müs-
sen die politisch-sozialen und geistes- wie ideologiegeschichtlichen Voraussetzungen berücksichtigt, zum ande-
ren die Kunstpolitik im allgemeinen und die Ausstellungen im besonderen in den zeithistorischen Kontext einge-
1 Strophe aus dem Couplet »Wiederkehr«, erschienen in: Unsterbliche Reutter-Vorträge o. J., S. 43.
2 Hildegard Brenner 1963, S. 275.
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