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sprach erhob, kam es in der Diffamierungsausstellung zu heftigen Auseinandersetzungen, an denen sich auch Direktor
Braune beteiligte, der sich glaubte ganz auf die Seite von Baudissin stellen zu müssen.24
In Muspers Darstellung stellt sich die »Novembergeist«-Ausstellung in erster Linie als persönliche Profilierungsak-
tion Baudissins dar, der sich beeilte, seine »richtige Überzeugung« vor seinen Parteigenossen zu bekunden, um
sich einen Vorteil für seine Karriere zu sichern. Sollte diese Sicht, nach der Baudissin die Ausstellung als »Beweis
seiner Nazigesinnung« (Musper) inszeniert hat, zutreffen, so würde sich ihr Charakter als dezidiert politische
Musterschau im Sinne antimarxistischer NS-Propaganda erklären. Allerdings muß hier die extreme Parteilichkeit
und Voreingenommenheit Muspers betont werden, dessen Gegnerschaft zu Baudissin aus dem Text ja auch expli-
zit hervorgeht. Auch irrte sich Musper in der Einschätzung der Chronologie. Die Ausstellung »Von Krieg zu
Krieg« eröffnete Ende September 1933 in der Staatsgalerie und mithin erst nach der »Greuelausstellung«.25
Ganz anders schildert Baudissin den Sachverhalt:
In Mannheim und Karlsruhe spielten sich inzwischen die bekannten Vorgänge ab. Was war zu tun? Hilfe von Berlin?
Kam nicht. Die Hände in den Schoß legen und kommen lassen, was man kommen sah? Gab es eine Möglichkeit, der
Sache einen Schubs zu geben, um sie abzulenken? Konnte man versuchen, das Heft in der eigenen Hand zu halten,
wenn nicht das Schlimme, doch das Schlimmste zu verhüten; wie verhält sich der Kustode, der Schatzwächter, wenn die
Bilderstürme losbrechen, und er allein steht auf weiter Flur? Wollte man das Heft in der Hand behalten, dann stand nur
ein Weg offen. Man mußte wie ein Feuerwerker verfahren, den aufgehäuften Zündstoff der aufgepeitschten öffentlichen
Meinung so zur Entzündung zu bringen, daß es möglichst puffte, knatterte und knallte und dabei so wenig wie möglich
zu Schaden kam. Das Museum wagte es, das Steuer selbst in die Hand zu nehmen. Es wurde eine Ausstellung gestartet
»Novembergeist - Kunst im Dienste der Zersetzung« auf folgender Grundlage: Keine Gemälde - die des Museums selbst
hätten ja zur Verfügung gestanden - sondern Graphik und Photos. Keine Namen. Nicht ein Name wurde genannt. Unter
den Ausgestellten beispielsweise kein Nolde, Barlach, Rohlfs, Schlemmer, - wie hätte ich dazu kommen sollen - kein
Baumeister usw. Abgestimmt auf den Bildinhalt. Beiseitesetzung gerade dessen und derjenigen, gegen die sich der Angriff
richtete. Der damals noch vorhandene Teil der nicht nationalsozialistischen Presse begriff die Absicht und ging mit. Die
NS-Presse war mit der Attrappe befriedigt. Nach 14 Tagen wurde abgebaut. Die Feuerwerker hatten ihre Arbeit wie beab-
sichtigt durchgeführt. Das, was sich in Mannheim und Karlsruhe ereignet hatte, blieb aus.2^
Die Widersprüche der Aussagen Baudissins zu denen Muspers sind evident. Bei der Einschätzung des Quellen-
werts muß jedoch berücksichtigt werden, daß beide Darlegungen aus der Retrospektive und wohl auch als Recht-
fertigungsberichte verfaßt wurden. Baudissin schickte seine Ausführungen 1949 an Braune und Musper mit der
Bitte um Bestätigung. Braune schrieb am 1. Oktober 1949 unter das Manuskript: »Ich bestätige die Richtigkeit
dieser Angaben im allgemeinen. In geringfügigen Einzelheiten habe ich in beiliegender Sondererklärung einige
Ergänzungen und Retuschen vorgenommen«. In dieser mehrere Punkte umfassenden Erklärung bezieht sich
Braune mit keinem Wort konkret auf die »Novembergeist«-Ausstellung. In Punkt drei heißt es lediglich: »Graf
Baudissin hat in selbstloser und aufopfernder Weise den Kampf gegen die Parteihetze für Museum u. meine Per-
son durchgeführt, obwohl er sich leicht an meine Stelle setzen konnte«. Musper hingegen verweigerte eine Bestä-
tigung am 22. September 1949. In seiner eineinhalbseitigen Begründung heißt es:
Außerdem müßte ich hinzusetzen, daß Ihre Schilderung, wenn auch möglicherweise in Einzelheiten zutreffend, ein ganz
falsches Bild ergibt, weil sie nur Fragmente, Ausschnitte, aber nicht das Ganze bietet. Und daß das Ganze nun leider ganz
wesentlich anders war, werden Sie doch wohl selbst nicht bestreiten wollen. [...] Ich könnte nur einen Text unterschrei-
ben, der die ganze Wahrheit enthält. Leider bin ich nämlich nicht so glücklich veranlagt, daß ich die gräßlichsten Ereig-
24 »Beilage zu dem Fragebogen Musper, Heinrich Theodor«; vom August 1945 datierendes Typoskript von Heinrich Theodor Mus-
per im Besitz von Hildegard Musper (Stuttgart). Auszüge des Textes wurden erstmals veröffentlicht und ausgewertet von Kann
von Maur (1987, S. D 3 mit Anm. 3). Ihr verdanke ich eine Kopie und Frau Musper die Erlaubnis, die Textpassage zu zitieren. -
Musper war nach 1945 Direktor der Staatsgalerie Stuttgart.
25 Vgl. Weitz 1984, S. 154.
26 Unveröffentlichtes, 1949 [?] von Baudissin verfaßtes Typoskript mit dem Titel »Die Vorgänge in Stuttgart 1933« im Besitz der
Nachkommen Baudissins, denen ich für die Erlaubnis, den Text zu zitieren, danke.

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