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Oberhaupts von dem Maler Essig«26, jenes kulturell aufgeschlossenen und ebenfalls suspendierten Oberbürger-
meisters Emil Schwammberger also, der die Gründung des Ulmer Museums und die Berufung Baums maßgeb-
lich vorangetrieben und letzteren in seinen Bemühungen stets aktiv unterstützt hatte. Das Gemälde wurde nicht
wegen des Künstlers27 oder der Art der Darstellung angeprangert, sondern einzig wegen des Dargestellten. Dahin-
ter stand die Absicht, die Verurteilung der »Zehn Jahre Ulmer Kunstpolitik« auf das »Novembersystem« als Gan-
zes auszudehnen, als dessen Repräsentanten der Bürgermeister und »sein« Museumsleiter angesehen wurden.
Schwammbergers bildliche Vergegenwärtigung im Kontext der Femeschau kam einer Aburteilung in effigie gleich.
Das sozialdemokratische Organ Ulms, Donauwacht, war, wie in den meisten anderen Städten des Landes, bereits
seit März 1933 verboten. Abgesehen von der oben ausführlich dargelegten selbstverständlichen Akklamation der
NS-Presse zur Femeschau, der ein zweifach abgedruckter Leserbrief28 29 bereitwillig Beifall zollte, ist die Stellung-
nahme des bürgerlichen Ulmer Tagblatts zu berücksichtigen. Am 17. August 1933 veröffentlichte die Zeitung
eine Rezension, die der Ausstellung zwar prinzipiell zustimmte, gleichwohl eine durchaus differenzierte und
ambivalente Argumentation verfolgte. Die Besprechung hebt sich von jener im Ulmer Sturm schon dadurch ab,
daß sie sich auf die Ebene der Kunstwerke begibt und sich um eine ernsthafte, abwägende Betrachtung derselben
bemüht. Der Autor zeigt, zumindest was die impressionistischen und expressionistischen Stilrichtungen betrifft,
Verständnis für die Moderne:
Die [...] Ausstellung bietet, einmal an sich betrachtet, einen kleinen, aber bezeichnenden Ausschnitt der stilistischen
Wandlungen der modernen Malerei. Da ist em Pastell von Renoir: typischer französischer Impressionismus - zart, duftig,
voll naiver unbekümmerter Freude an Farbenschönheit und zarten Stimmungstönen. Oder eine Seinelandschaft von Sis-
ley: ein kleines Stück echter Freiluftmalerei, in dem Farbe, Stimmung, Luft und Licht der Landschaft eingegangen sind.
Und dann als Gegenstücke expressionistische Bilder von Führern dieser Richtung: Picasso, Kokoschka, Nolde u. a. Sie
wollen nicht zarte Stimmung, sondern den kraftvollen, brutalen, aufrüttelnden Schrei der Farbe und Linie. Kokoschkas
»Genfer See«, den impressionistischen Landschaften gegenübergehalten, zeigt den Unterschied und die Merkmale der ver-
schiedenen Stile bis ms Kleinste. [...] Von der Darstellung des Wilden (Negerporträts) steigt man weiter hinunter in die
Niederungen des Menschentums. George Grosz [...] zeigt Fleischlichkeit, Gemeinheit, Verkommenheit. [...] Mit sezieren-
der Schärfe, aber mit der Eiseskälte des Arztes wird bei ihm und bei Otto Dix, der bereits der neuen Sachlichkeit ange-
hört, [...] die allerscheußlichste Wirklichkeit dargestellt. Auch aus Hofers flächigen, plakathaften Bildern [...] grinst die
Seelenlosigkeit einer mechanisierten Zeit.2?
Es folgen einige Gedanken über die ausländischen Werke, für die der Rezensent Vokabeln wie »hübsch«, »wirk-
lich gut«, »künstlerisch einwandfrei« findet. Vollends in den Gegensatz zur NS-Presse begibt er sich mit der fol-
genden Position: »Zu den wertvollsten Stücken der Galerie gehört die kleine Studie >Dante und Vergil« von Dela-
croix, der als Klassiker der Malerei sehr wichtig und nicht einfach abzulehnen ist, weil er Franzose ist«. Ihr folgt
ein unverhohlenes Plädoyer für die Anerkennung der Tätigkeit Julius Baums: »Die Um- und Neugestaltung des
Ulmer Museums durch den bisherigen Direktor Prof. Dr. Baum wird ihren hohen, unbestrittenen Wert behal-
ten«.
Wohl absichtlich verbleibt der Autor in der kunstimmanenten Ebene. Seme teilweise positive Beurteilung der
Exponate und der Aktivitäten Baums führt ihn nicht zu der (a priori naheliegenden) Frage, was denn die Kunst-
werke in einem solchen Kontext zu suchen hätten, oder gar zu einer grundsätzlichen Infragestellung der Feme-
schau. Er scheint ihr vielmehr jeglichen politischen Gehalt nehmen zu wollen, als ob es ihr Anliegen wäre, »stili-
26 Ebenda. Vgl. die Abb. des Bildes bei Adams 1993, S. 55, Nr. 44. Das Bildnis Schwammberger hängt heute im Treppenhaus des
Ulmer Museums, gegenüber Hofers Gemälde »Die Trunkene - Die Bacchantin«.
27 Am 30. August 1933 bemühte sich der Leiter der Ulmer Gewerbeschule, Dr. Christof Kiaiber, im Ulmer Tagblatt um eine Ehren-
rettung Gustav Essigs, indem er betonte, daß die Familie des Münchner Portraitisten »mit Judentum nichts zu tun« habe. 1937
war Essig mit einem Bildnis auf der GDK vertreten.
28 Vgl. Ulmer Sturm und Ulmer Tagblatt, 9. August 1933.
29 Ulmer Tagblatt, 17. August 1933.

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