j.8.1.12 Wiesbaden, Nassauisches Landesmuseum, 21. bis 29. März 1937
Bevor die Ausstellung »Entartete Kunst« Ende März 1937 in die Räume des Nassauischen Landesmuseums Wies-
baden einzogU?, veranstaltete dort der Nassauische Kunstverein vom 16. Januar bis zum 7. Februar die jährliche
»Gau-Ausstellung bildender Kunst« der Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Hessen-Nas-
sau, MOund vom 14. Februar bis zum 14. März 1937 die Schau »Der italienische Holzschnitt der Gegenwart« N1.
Die Etappe der Femeschau wurde hingegen, wie zuvor in Frankfurt am Main und in Mainz, vom Deutschen
Volksbildungswerk in der NS-Gemeinschaft »Kraft durch Freude« ausgerichtet. Die Eröffnung am Sonntag, den
21. März 1937, um 11.30 Uhr nahm der Referent des Volksbildungswerkes, Fill, vor.
Bis Ostermontag, den 29. März, war die Schau täglich von 10 bis 13 sowie werktags von 15 bis 22 Uhr und sonn-
tags von 15 bis 17 Uhr geöffnet, am Ostersamstag von 18 bis 22 Uhr. Der Eintritt betrug 20 Pfennige, für
Erwerbslose die Hälfte. Das Wiesbadener NSDAP-Organ Nassauer Volksblatt rührte kräftig die Werbetrommel
und veröffentlichte mehrfach Abbildungen von Exponaten: am 23. März 1937 Schwitters’ »Ringbild« und
Grosz’ Zeichnung »Schreiender Pöbel«, am 25. März 1937 Dix’ Radierung »Kriegskrüppel«. Besucherzahlen für
die nur neuntägige Laufzeit der Ausstellung sind nicht überliefert, nach Meldung des Nassauer Volksblattes vom
25. März 1937 erfreute sie sich »lebhaften Besuches«. Das Wiesbadener Tagblatt veröffentlichte nur einen einzi-
gen ausführlichen Bericht, nämlich am 22. März 1937:
Sieht man von einigen »Grenzfällen« ab, wo das Können fast so groß ist, daß man das Werk ernster nehmen könnte, so
ist die Ausstellung »Entartete Kunst« in ihren 80 Bildern und Graphiken und ihren 6 Plastiken eine wahre »Folterkammer
des Geistes«. [...] Die Austeilung, die durch die deutschen Gaue gelaufen ist und von Worms zu uns kam, ist mit Wiesba-
den an ihr Ende gekommen. I42
Was mit dem Ausstellungsgut in den dreieinhalb Monaten zwischen dem 29. März und dem 19. Juli 1937, an
welchem Tag es als Teil der Münchner Ausstellung »Entartete Kunst« wieder aus der Versenkung auftauchte,
geschah, ist nicht bekannt. Möglicherweise wurde die ganze Sammlung im Zusammenhang mit der Berliner Pro-
pagandaschau »Gebt mir vier Jahre Zeit« (30. April bis 20. Juni 1937) nach Berlin transportiert, um nachher von
dort den Weg nach München anzutreten (vgl. Kapitel 4.1).
3.8.2 Zusammenfassung
Es steht außer Frage, daß die Dresdner Ausstellung »Entartete Kunst« als die wichtigste Vorläuferausstellung anzuse-
hen ist. Als einzige trat sie aus dem lokalen Rahmen der »Schreckenskammem« heraus und erreichte durch ihre
mehrjährige Tournee im ganzen Reich (Abb. 2) einen hohen Rezeptions- und Bekanntheitsgrad. Die somit erzielte
Breitenwirkung im Hinblick auf die Ächtung der Protagonisten moderner Kunst in Deutschland (Künstler,
Museumsleute, Galeristen, Verleger) wurde nur durch die Femeschau der Jahre 1937 bis 1941 übertroffen. Zudem
ist die Tatsache bedeutungsvoll, daß es die Dresdner Ausstellung war, aufgrund derer erstmalig eine offizielle
»Schwarze Liste« erstellt wurde. Am 3. Februar 1936 schrieb Oskar Schlemmer an Karl Nierendorf in Berlin:
Dann wollte ich Sie fragen, ob Ihnen eine »Proskriptionsliste« von 20 modernen Künstlern bekannt ist, deren Name in
Deutschland nicht in der Öffentlichkeit genannt werden dürfe. So zu lesen im Werk, dem Organ des Schweizer Werk-
139 Die Akten des Museums Wiesbaden konnten wegen eines bis 1997 dauernden Umbaus nicht eingesehen werden.
140 Vgl. Nassauer Volksblatt vom 16. und 21. Januar sowie vom 1., 3. und 5. Februar 1937. Die Ausstellung kam aus Frankfurt am
Main und reiste weiter nach Darmstadt, Mainz und Gießen.
141 Vgl. Nassauer Volksblatt vom 12., 14. und 16. Februar 1937.
142 Auch im Nassauer Volksblatt vom 22. März 1937 ist von 80 Bildern und sechs Plastiken die Rede.
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Bevor die Ausstellung »Entartete Kunst« Ende März 1937 in die Räume des Nassauischen Landesmuseums Wies-
baden einzogU?, veranstaltete dort der Nassauische Kunstverein vom 16. Januar bis zum 7. Februar die jährliche
»Gau-Ausstellung bildender Kunst« der Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Hessen-Nas-
sau, MOund vom 14. Februar bis zum 14. März 1937 die Schau »Der italienische Holzschnitt der Gegenwart« N1.
Die Etappe der Femeschau wurde hingegen, wie zuvor in Frankfurt am Main und in Mainz, vom Deutschen
Volksbildungswerk in der NS-Gemeinschaft »Kraft durch Freude« ausgerichtet. Die Eröffnung am Sonntag, den
21. März 1937, um 11.30 Uhr nahm der Referent des Volksbildungswerkes, Fill, vor.
Bis Ostermontag, den 29. März, war die Schau täglich von 10 bis 13 sowie werktags von 15 bis 22 Uhr und sonn-
tags von 15 bis 17 Uhr geöffnet, am Ostersamstag von 18 bis 22 Uhr. Der Eintritt betrug 20 Pfennige, für
Erwerbslose die Hälfte. Das Wiesbadener NSDAP-Organ Nassauer Volksblatt rührte kräftig die Werbetrommel
und veröffentlichte mehrfach Abbildungen von Exponaten: am 23. März 1937 Schwitters’ »Ringbild« und
Grosz’ Zeichnung »Schreiender Pöbel«, am 25. März 1937 Dix’ Radierung »Kriegskrüppel«. Besucherzahlen für
die nur neuntägige Laufzeit der Ausstellung sind nicht überliefert, nach Meldung des Nassauer Volksblattes vom
25. März 1937 erfreute sie sich »lebhaften Besuches«. Das Wiesbadener Tagblatt veröffentlichte nur einen einzi-
gen ausführlichen Bericht, nämlich am 22. März 1937:
Sieht man von einigen »Grenzfällen« ab, wo das Können fast so groß ist, daß man das Werk ernster nehmen könnte, so
ist die Ausstellung »Entartete Kunst« in ihren 80 Bildern und Graphiken und ihren 6 Plastiken eine wahre »Folterkammer
des Geistes«. [...] Die Austeilung, die durch die deutschen Gaue gelaufen ist und von Worms zu uns kam, ist mit Wiesba-
den an ihr Ende gekommen. I42
Was mit dem Ausstellungsgut in den dreieinhalb Monaten zwischen dem 29. März und dem 19. Juli 1937, an
welchem Tag es als Teil der Münchner Ausstellung »Entartete Kunst« wieder aus der Versenkung auftauchte,
geschah, ist nicht bekannt. Möglicherweise wurde die ganze Sammlung im Zusammenhang mit der Berliner Pro-
pagandaschau »Gebt mir vier Jahre Zeit« (30. April bis 20. Juni 1937) nach Berlin transportiert, um nachher von
dort den Weg nach München anzutreten (vgl. Kapitel 4.1).
3.8.2 Zusammenfassung
Es steht außer Frage, daß die Dresdner Ausstellung »Entartete Kunst« als die wichtigste Vorläuferausstellung anzuse-
hen ist. Als einzige trat sie aus dem lokalen Rahmen der »Schreckenskammem« heraus und erreichte durch ihre
mehrjährige Tournee im ganzen Reich (Abb. 2) einen hohen Rezeptions- und Bekanntheitsgrad. Die somit erzielte
Breitenwirkung im Hinblick auf die Ächtung der Protagonisten moderner Kunst in Deutschland (Künstler,
Museumsleute, Galeristen, Verleger) wurde nur durch die Femeschau der Jahre 1937 bis 1941 übertroffen. Zudem
ist die Tatsache bedeutungsvoll, daß es die Dresdner Ausstellung war, aufgrund derer erstmalig eine offizielle
»Schwarze Liste« erstellt wurde. Am 3. Februar 1936 schrieb Oskar Schlemmer an Karl Nierendorf in Berlin:
Dann wollte ich Sie fragen, ob Ihnen eine »Proskriptionsliste« von 20 modernen Künstlern bekannt ist, deren Name in
Deutschland nicht in der Öffentlichkeit genannt werden dürfe. So zu lesen im Werk, dem Organ des Schweizer Werk-
139 Die Akten des Museums Wiesbaden konnten wegen eines bis 1997 dauernden Umbaus nicht eingesehen werden.
140 Vgl. Nassauer Volksblatt vom 16. und 21. Januar sowie vom 1., 3. und 5. Februar 1937. Die Ausstellung kam aus Frankfurt am
Main und reiste weiter nach Darmstadt, Mainz und Gießen.
141 Vgl. Nassauer Volksblatt vom 12., 14. und 16. Februar 1937.
142 Auch im Nassauer Volksblatt vom 22. März 1937 ist von 80 Bildern und sechs Plastiken die Rede.
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