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tete Kunst wieder aufzurollen.45 Da ich den Auftrag vom Propagandaminister bekommen hatte und nicht von der Kunst-
kammer [...], ließ ich mich in der Auswahl nicht beirren. Dann erschien Ministerialrat Haegert und erklärte, daß
bestimmte Künstler wie Schmidt-Rottluff, Nolde, Pechstein und Ludwig Gies nicht gezeigt werden dürften. Ich war dar-
über einigermaßen erstaunt, weil gerade diese Namen führend im kunstbolschewistischen System zutage getreten waren
[...]. Es kam Herr Vizepräsident der Reichsschrifttumskammer WissmamH6 hinzu, sah sich den von mir aufgebauten
Schaukasten an und fand ihn ausgezeichnet. Er meinte auch, daß auf diese Weise sich das System eindrucksvoller zeigen
ließe als nur mit literarischen Broschüren und Schriften. Es gab dann em Hin und Her zwischen den verschiedenen Her-
ren, was nun werden sollte. Schließlich wurde entschieden, mann wolle abwarten, was der Minister [Goebbels] selber
dazu sagte. [...] der Minister war bereits in der Halle, als Herr Richter »Hals über Kopf« auf Befehl Haegerts den ganzen
Aufbau ändern sollte. [...] Ich erklärte, daß ich nunmehr keine Verantwortung für die Sache übernehmen könnte und
mein Material zurückziehen müßte. Zu gleicher Zeit wies ich daraufhin, daß z. B. ein Werk Noldes an einer anderen
Stelle der Ausstellung angeprangert worden ist [!]. [...] [Ich halte] es für unbedingt erforderlich, daß diese Angelegenheit
einer richterlichen Untersuchung unterworfen wird.47
Im selben Text spricht Willrich über »das inzwischen herbeigeholte Merzbild von Schwitters, dieses dadaistische
Schauerstück«48. Wenn es sich dabei um das originale »Merzbild« aus dem Besitz des Dresdner Stadtmuseums
handelt, welches später zu den »Hauptattraktionen« der Wanderschau »Entartete Kunst« gehören sollte, so ist die
Information von großer Wichtigkeit. Denn das »Merzbild« befand sich seit 1933 auf der Tournee der Dresdner
Vorläuferausstellung »Entartete Kunst«, deren Spur sich Ende März 1937, nach der letzten bekannten Etappe,
verliert (vgl. Kapitel 3.8.1.12). Hier könnte ein Hinweis darauf vorliegen, daß die Dresdner Werke im Zusammen-
hang mit den Vorbereitungen zur Ausstellung »Gebt mir vier Jahre Zeit« nach Berlin transportiert wurden. Dafür
sprechen könnte auch, daß Willrich zu Beginn seines Berichts die Dresdner Exposition erwähnt.
Welches Bild sich letztlich den Besuchern der Halle zwei der Vierjahresschau in der Abteilung »Kultur«49 darbot,
ob der von Goebbels geforderte »schwarz-weiß Gegensatz« mit originalen Kunstwerken oder Photographien kon-
struiert wurde, muß einstweilen dahingestellt bleiben. Der Kommentar in der zitierten Ausstellungsbroschüre hilft
leider nicht weiter: »Einst jüdische Überschwemmung und Verschüttung aller nationalen Kulturwerte, heute auf
allen kulturellen Gebieten höchstes Verantwortungsgefühl und freier Weg für das Schöpfertum deutscher Kunst«.
Wenngleich Willrichs Bericht gewiß nicht geeignet ist, em objektives Bild von den Vorbereitungen zur Ausstel-
lung zu entwerfen, steht doch folgendes fest: Anläßlich dieses Ereignisses brechen die zwischen der Reichskam-
mer der bildenden Künste und dem Propagandaministerium bestehenden unvereinbaren Auffassungen über die
Frage der Abrechnung mit der »entarteten Kunst« offen hervor. Willrich gerät zwischen die Fronten und muß -
sichtlich erbost - den Hut nehmen. Am 26. Mai 1937 wendet er sich nochmals an Darre, um seiner Empörung
über die »Kapitulation der Kunstkammer und des Propagandaministeriums vor den Kunstbolschewistengünstlin-
gen, die anläßlich der Ausstellung >Gebt mir vier Jahre Zeit< zutage trat«5°, Luft zu machen. Er beklagt die zu
laxe und unentschiedene offizielle Kunstpolitik und endet mit der pathetischen Aufforderung: »Dem muß abge-
holfen werden!«.
Dieser Meinung war auch der Propagandaminister selbst. Durch das Debakel in der Vierjahresschau - und viel-
leicht durch Eingaben Willrichs, auf jeden Fall aber durch die Lektüre seines Buches - aktiviert, faßte er den
Plan einer endgültigen und vor allem eindeutigen Abrechnung großen Maßstabs mit dem »Kunstbolschewis-
mus«. Denn daß es dafür höchste Zeit war, hatten die internen Kontroversen um die Berliner Exposition dra-
45 Es ist sehr wohl denkbar, kann aber vorerst nicht bewiesen werden, daß Ziegler sich anfänglich gegen das »Wiederaufrollen der
Streitfrage um die entartete Kunst« gestellt hat. Vgl. die nächsten Zitate aus den Goebbels-Tagebüchern, welche die Kontroversen
innerhalb der NS-Führungsriege belegen.
46 Zu Heinz Wissmann vgl. Wulf 1983a, S. 354, Anm. 1.
47 Zitiert nach Wulf 1983a, S. 353h
48 Zitiert nach ebenda, S. 353.
49 Daß die Schau auch als »kulturelles« Ereignis verstanden werden sollte, geht aus ihrer Aufnahme in den offiziellen Ausstellungs-
kalender der RbK hervor (vgl. MittRbK 2, 1937, Heft 4, S. 11).
50 BDC, PA Darre im Best. Reichsnährstand.
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