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6.3.5 Hamburg, Schulausstellungsgebäude, 11. November bis 30. Dezember 1938
Bereits sechs Wochen vor der Eröffnung der Femeausstellung in Berlin berichtete die Hamburger Presse:
Wie wir erfahren, kommt die im vergangenen Sommer in München [...] gezeigte Ausstellung »Entartete Kunst« auch
nach Hamburg, und zwar voraussichtlich im April dieses Jahres, nachdem ihre Wiedereröffnung in einer grundlegend
neuen Zusammenstellung und Sichtung im März für Berlin geplant ist.1
Doch ganz so schnell ging es nicht. Obzwar allem Anschein nach Hamburg tatsächlich die nächste Etappe nach
Berlin hätte sein sollen2, mußte die Stadt an der Elbe aus unbekannten Gründen Leipzig, Düsseldorf und Salz-
burg den Vortritt lassen. Erst im November 1938 war es dann soweit. Bereits Anfang September 1938 stand fest,
daß das städtische Ausstellungshaus der Schulverwaltung und des NS-Lehrerbundes in der Spitalerstraße 6 der
Ort des Geschehens sein sollte (Dok. 52). Nach Hans-Wemer Schmidt mußten die Veranstalter der Femeschau
in das Schulausstellungsgebäude ausweichen, weil ihnen die Kunsthalle von Werner Kloos, SS-Untersturmbann-
führer, Kustos und später kurzzeitig Direktor der Kunsthalle, verweigert worden war. Schmidt sieht darin ein Zei-
chen von Courage, Hans-Emst Mittig hingegen eher eine Konsequenz aus dem Ausstellungskonzept, in wel-
chem »Kunsttempel« und »Lehrschau« gegenübergestellt werden sollten.3 Das unweit des Hauptbahnhofs gele-
gene Gebäude diente seit Ostern 1934 als Ort für Propagandaausstellungen von Lehrer- und Schülerarbeiten
sowie für Lehrschauen größeren Maßstabs. Kurz vor der »Entarteten Kunst« wurden dort die Expositionen »Die
deutsche Ostmark« (1. September bis 4. Oktober 1938) und »Volksgemeinschaft-Schicksalsgemeinschaft« (18.
Oktober bis 5. November 1938) eingerichtet.4 Als Fortsetzung dieser politischen Volksbildungsveranstaltungen
kündigte sich die Femeschau den Bürgern schon allein durch die Wahl des Gebäudes an.
Die Eröffnung fand am Freitag, den 11. November 1938, um n Uhr in der Turnhalle hinter dem Schulausstel-
lungsgebäude statt. Noch 30 bis 40 Stunden zuvor hatten im Zuge der landesweiten Massenprogrome, der soge-
nannten »Reichskristallnacht«, auch in Hamburg die Synagogen gebrannt. Nach einer Begrüßung durch den Ver-
treter der Gaupropagandaleitung, Wilhelm Dietz, hielt der Leiter der Hamburgischen Kulturverwaltung, Gauin-
spekteur und Staatsrat Dr. Becker in Vertretung von Gauleiter Karl Kaufmann die Eröffnungsansprache:
Der Redner betonte, daß er sich besonders darüber freue, die Ausstellung in Hamburg zu haben, da Hamburg auf diesem
Gebiete sich besonders hervorgetan habe. Da es die Kreise, in denen die Anhänger dieser entarteten Kunst zu suchen
sind, auch heute noch gäbe, lege er besonderen Wert darauf, daß die ganze Hamburger Bevölkerung die Ausstellung
sähe. Ihr Zweck sei allerdings nicht nur, jemanden mit Abscheu hinausgehen zu lassen, sie solle vielmehr die Menschen
veranlassen, nun auch die Hamburger Kunststätten aufzusuchen, um zu sehen, was früher Gutes geschaffen wurde und
heute bereits wieder geschaffen wird.3
Der Hinweis auf die »Zerfallserscheinungen« am Ort sollte die Sensationslust der Bevölkerung stimulieren und
zugleich suggerieren, welch »drohende Gefahr« der Nationalsozialismus von ihr abgewendet habe. Dem schon
häufig konstatierten antithetischen Prinzip folgend und in der Absicht, die Funktion der Femeschau als eine posi-
tive zu deklarieren, bezog Becker die hamburgischen Kunstsammlungen in seine Rede mit em. Sie waren 1937
im Zuge der Beschlagnahmeaktionen »gesäubert«, etliche der betroffenen Kunstwerke in die Femeschau einge-
gliedert worden. Den Besuch der Kunsthalle, in der gerade eine Dürer-Ausstellung präsentiert wurde, empfahl
nachdrücklich ein noch zu erläuternder Handzettel (Dok. 56). Nach Meinung von Sigrun Paas wurde die Dürer-
1 Hamburger Tageblatt (NSDAP-Organ), 12. Januar 1938; fast gleichlautend im Hamburger Fremdenblatt selbigen Tages.
2 Vgl. Leipziger Tageszeitung, 14. Mai 1938.
3 Vgl. Hans-Wemer Schmidt 1983a, S. 61 und Mittig 1990b, S. 40 mit Anm. 32.
4 Zu Geschichte und Funktion des Schulausstellungsgebäudes vgl. die Akte »Ausstellungswesen 1935-1945« im Best. Oberschulbe-
hörde VI des STA Hamburg (361-2 VI 838) sowie die Akte »Monatliche Kurzberichte der Schulverwaltung 1934-1938« (361-2 VI
33). Nach Mitteilung Mittigs (1988, S. 78 und S. 86, Anm. 19) zeigte das Schulausstellungsgebäude - heute Kurze Mühren 1,
neubebaut - vor und nach der Ausstellung »Entartete Kunst« Lehrschauen gegen Alkoholmißbrauch.
5 Hamburger Nachrichten, 11. November 1938.

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