6.3.8 Wien, Künstlerhaus, 6. Mai bis 18. Juni 1939
Nach Salzburg war Wien die zweite Stadt der annektierten »Ostmark«, in der die Wanderausstellung Station
machte. In Berlin maß man dem offensichtlich exzeptionelle Bedeutung bei, da die Wiener Etappe als einzige in
den offiziellen Ausstellungskalender der Reichskammer der bildenden Künste aufgenommen wurde.1
Seit dem »Anschluß« im März 1938 war Wien in den Kreis der großen für Propagandaausstellungen vorgesehe-
nen Städte aufgenommen worden. Bereits am 9. April 1938 konnten die Wiener in der Neuen Freien Presse
lesen, daß die Ausstellung »Entartete Kunst« auch in die Donaustadt kommen würde.2 3 4 5 Im Sommer 1938
gastierte hier die Schau »Der ewige Jude« (vgl. Kapitel 7.2). Auf deren große Resonanz beim Publikum verwies
Ratsherr Tavs bei der Eröffnung der Ausstellung »Entartete Kunst«, die am Samstag, den 6. Mai 1939, um 17 Uhr
im Künstlerhaus am Karlsplatz stattfand. Zuvor hatte der Präsident des Künstlerhauses und spätere Landesleiter
der Reichskammer der bildenden Künste, der Maler Leopold Blauensteiner3, die Anwesenden begrüßt und Hans
Severus Ziegler eine Ansprache über die Abteilung »Entartete Musik« gehalten. Zum Abschluß der Zeremonie
erklärte Gaupropagandaleiter Fridolin Glaß »nach einem >Sieg-Heil< auf den Führer«4 die Ausstellung für eröffnet.
Während die »Entartete Kunst« die Parterreräume des Künstlerhauses füllte, war die Musikabteilung im Oberge-
schoß untergebracht. Denn in einem zeitgenössischen Bericht heißt es: »In den Parterreräumen ist diese fürchter-
liche Ausstellung [...] untergebracht, und zwar Malerei, Graphik und Plastik, während im ersten Stockwerk die
entartete Musik ihr Unwesen treibt«^. Hingegen waren die Kunstwerke nach dem Artikel in der Volks-Zeitung
vom 6. Mai 1939 über beide Stockwerke verteilt: »Ein Kapitel für sich ist die im ersten Stock untergebrachte
Schau aus der Zeit des Surrealismus (überwirkliche Kunst) und des Dadaismus (zu deutsch Holzpferdchen)«.
Vorerst offenbleiben muß die Frage, was es mit den Meldungen auf sich hat, das Ausstellungsgut sei »um vieles -
vor allem > Wienerisches« - bereichert«6 7 worden bzw. es nehme »auch auf frühere Verhältnisse in der Ostmark
Bezug«/. Konkrete Anhaltspunkte für speziell im Hinblick auf die Wiener Etappe vorgenommene Modifikatio-
nen liegen nicht vor. Als einziges Werk eines Wiener Künstlers und aus Wiener Besitz bildete Die Pause
Kokoschkas bemalte Tonbüste »Selbstbildnis (Krieger)« ab (Abb. 106a), von der in der Femeschau jedoch vermut-
lich nur eine Photographie gezeigt wurde (vgl. Kapitel 6.3.6, Abb. 98). Die einzige durch Quellen gesicherte Ver-
änderung betrifft die Rücksendung einiger Buchleihgaben an die Graphische Sammlung München am 7. Juni
1939.8
Indessen ist durch den Augenzeugen Ferdinand Eckhardt überliefert, auf welche Weise ein Exponat in Wien aus
der Ausstellung entschwand:
Was die Wiener Ausstellung betrifft [...], war ich oft verleitet, bei Vorträgen zu sagen, daß ich em Museumsdirektor bin,
der einmal em Bild aus einer Ausstellung »gestohlen« hat. Es war eine Gramatte-Graphik. Als meine Frau (Witwe von Gra-
matte) und ich sie entdeckten, war unser erster Gedanke, daß wir sie nicht in der Ausstellung lassen würden, um sie even-
1 Vgl. MittRbK 4, 1939, Heft 6, S. 11.
2 Vgl. Tabor 1994, Bd. 2, S. 938.
3 Vgl. Vollmer, Bd. 1, S. 229. Zu den kulturpolitischen Funktionen Blauensteiners vgl. Rathkolb 1991, besonders S. 55.
4 VB, Wiener Ausgabe, 7. Mai 1939. Vgl. auch den Bericht über die Eröffnung in: Neues Wiener Tagblatt, 7. Mai 1939. Zur
NS-Kulturpolitik in Österreich vgl.: Hochschule für angewandte Kunst Wien 1985 und Koller 1993. Zum Künstlerhaus und zur
Wiener Sezession: Aichelburg 1986 (erwähnt die Ausstellung »Entartete Kunst« mit keinem Wort) und Nierhaus 1986, besonders
S. 89-99. Des weiteren sei hingewiesen auf die Dokumentarserie Österreich 1 des Österreichischen Rundfunks, dessen Folge 8
Bildmaterial zu dem hier behandelten Thema enthält, sowie auf eine im Sommer 1987 in der Wiener Zeitung Volksstimme er-
schienene Artikelserie des Journalisten Oskar Wiesflecker.
5 Kunst dem Volk 10, 1939, Folge 5, S. 36. Vgl. zur »Entarteten Musik« ausführlich: VB, Wiener Ausgabe, 6. Mai 1939.
6 Neues Wiener Tagblatt, 7. Mai 1939.
7 Illustrierte Kronenzeitung, 5. Mai 1939.
8 Vgl. das Schreiben Wangs an die Staatliche Graphische Sammlung München vom 7. Juni 1939 im Archiv der Staatlichen Graphi-
schen Sammlung München.
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Nach Salzburg war Wien die zweite Stadt der annektierten »Ostmark«, in der die Wanderausstellung Station
machte. In Berlin maß man dem offensichtlich exzeptionelle Bedeutung bei, da die Wiener Etappe als einzige in
den offiziellen Ausstellungskalender der Reichskammer der bildenden Künste aufgenommen wurde.1
Seit dem »Anschluß« im März 1938 war Wien in den Kreis der großen für Propagandaausstellungen vorgesehe-
nen Städte aufgenommen worden. Bereits am 9. April 1938 konnten die Wiener in der Neuen Freien Presse
lesen, daß die Ausstellung »Entartete Kunst« auch in die Donaustadt kommen würde.2 3 4 5 Im Sommer 1938
gastierte hier die Schau »Der ewige Jude« (vgl. Kapitel 7.2). Auf deren große Resonanz beim Publikum verwies
Ratsherr Tavs bei der Eröffnung der Ausstellung »Entartete Kunst«, die am Samstag, den 6. Mai 1939, um 17 Uhr
im Künstlerhaus am Karlsplatz stattfand. Zuvor hatte der Präsident des Künstlerhauses und spätere Landesleiter
der Reichskammer der bildenden Künste, der Maler Leopold Blauensteiner3, die Anwesenden begrüßt und Hans
Severus Ziegler eine Ansprache über die Abteilung »Entartete Musik« gehalten. Zum Abschluß der Zeremonie
erklärte Gaupropagandaleiter Fridolin Glaß »nach einem >Sieg-Heil< auf den Führer«4 die Ausstellung für eröffnet.
Während die »Entartete Kunst« die Parterreräume des Künstlerhauses füllte, war die Musikabteilung im Oberge-
schoß untergebracht. Denn in einem zeitgenössischen Bericht heißt es: »In den Parterreräumen ist diese fürchter-
liche Ausstellung [...] untergebracht, und zwar Malerei, Graphik und Plastik, während im ersten Stockwerk die
entartete Musik ihr Unwesen treibt«^. Hingegen waren die Kunstwerke nach dem Artikel in der Volks-Zeitung
vom 6. Mai 1939 über beide Stockwerke verteilt: »Ein Kapitel für sich ist die im ersten Stock untergebrachte
Schau aus der Zeit des Surrealismus (überwirkliche Kunst) und des Dadaismus (zu deutsch Holzpferdchen)«.
Vorerst offenbleiben muß die Frage, was es mit den Meldungen auf sich hat, das Ausstellungsgut sei »um vieles -
vor allem > Wienerisches« - bereichert«6 7 worden bzw. es nehme »auch auf frühere Verhältnisse in der Ostmark
Bezug«/. Konkrete Anhaltspunkte für speziell im Hinblick auf die Wiener Etappe vorgenommene Modifikatio-
nen liegen nicht vor. Als einziges Werk eines Wiener Künstlers und aus Wiener Besitz bildete Die Pause
Kokoschkas bemalte Tonbüste »Selbstbildnis (Krieger)« ab (Abb. 106a), von der in der Femeschau jedoch vermut-
lich nur eine Photographie gezeigt wurde (vgl. Kapitel 6.3.6, Abb. 98). Die einzige durch Quellen gesicherte Ver-
änderung betrifft die Rücksendung einiger Buchleihgaben an die Graphische Sammlung München am 7. Juni
1939.8
Indessen ist durch den Augenzeugen Ferdinand Eckhardt überliefert, auf welche Weise ein Exponat in Wien aus
der Ausstellung entschwand:
Was die Wiener Ausstellung betrifft [...], war ich oft verleitet, bei Vorträgen zu sagen, daß ich em Museumsdirektor bin,
der einmal em Bild aus einer Ausstellung »gestohlen« hat. Es war eine Gramatte-Graphik. Als meine Frau (Witwe von Gra-
matte) und ich sie entdeckten, war unser erster Gedanke, daß wir sie nicht in der Ausstellung lassen würden, um sie even-
1 Vgl. MittRbK 4, 1939, Heft 6, S. 11.
2 Vgl. Tabor 1994, Bd. 2, S. 938.
3 Vgl. Vollmer, Bd. 1, S. 229. Zu den kulturpolitischen Funktionen Blauensteiners vgl. Rathkolb 1991, besonders S. 55.
4 VB, Wiener Ausgabe, 7. Mai 1939. Vgl. auch den Bericht über die Eröffnung in: Neues Wiener Tagblatt, 7. Mai 1939. Zur
NS-Kulturpolitik in Österreich vgl.: Hochschule für angewandte Kunst Wien 1985 und Koller 1993. Zum Künstlerhaus und zur
Wiener Sezession: Aichelburg 1986 (erwähnt die Ausstellung »Entartete Kunst« mit keinem Wort) und Nierhaus 1986, besonders
S. 89-99. Des weiteren sei hingewiesen auf die Dokumentarserie Österreich 1 des Österreichischen Rundfunks, dessen Folge 8
Bildmaterial zu dem hier behandelten Thema enthält, sowie auf eine im Sommer 1987 in der Wiener Zeitung Volksstimme er-
schienene Artikelserie des Journalisten Oskar Wiesflecker.
5 Kunst dem Volk 10, 1939, Folge 5, S. 36. Vgl. zur »Entarteten Musik« ausführlich: VB, Wiener Ausgabe, 6. Mai 1939.
6 Neues Wiener Tagblatt, 7. Mai 1939.
7 Illustrierte Kronenzeitung, 5. Mai 1939.
8 Vgl. das Schreiben Wangs an die Staatliche Graphische Sammlung München vom 7. Juni 1939 im Archiv der Staatlichen Graphi-
schen Sammlung München.
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