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3.9 Kunst der Geistesrichtung 1918-1933
Breslau, Schlesisches Museum der bildenden Künste,
ab 17. Dezember 1933
Die letzte 1933 eröffnete Vorläuferausstellung fand in Breslau (heute Wroclaw in Polen) statt.1 Sie kam, wie zu
zeigen sein wird, als unmittelbare Reaktion auf die DresdnerWanderschau »Entartete Kunst« zustande.
Die einzelnen Etappen der Vorgeschichte weisen deutliche Parallelen zu den Vorgängen in anderen Städten auf.
Am 9. Juni 1933 richtet der Direktor des Schlesischen Museums der bildenden Künste, Erich Wiese, em privates
Schreiben an Alfred Hentzen, Nationalgalerie Berlin. In dem Brief heißt es:
Kürzlich bin ich im Provinziallandtag wegen unserer Ankäufe lebender Kunst angegriffen worden. Das veranlaßt mich,
bei Ihnen anzufragen, wie in Berlin die Dinge sich hinsichtlich dieses Themas entwickelt haben. Vor allem interessiert
mich zu wissen, ob vom Kampfbund oder einer amtlichen Stelle Richtlinien oder Listen über noch zu duldende Künstler
herausgekommen sind. Was hängt noch bei Ihnen im Kronprinzenpalais bzw. was haben Sie weggehängt? M. E. liegt es,
nach den bisherigen Verlautbarungen zu schließen, nicht im Sinne der Berliner Zentralstellen, wenn örtliche Stellen auf
den Rat verärgerter Künstler hin Maßnahmen treffen, die geeignet sind, das Qualitätsniveau der Museen zum Schaden
unseres kulturellen Ansehens herabzusetzen.2 3 4
Besondere Beachtung verdient Wieses Einschätzung, daß bei den provinziellen »Maßnahmen« - damit meint er
wohl die Neuordnungen in vielen Museen, die Entlassungen und die »Schreckenskammem« - »verärgerte Künst-
ler« eine maßgebliche Rolle gespielt hätten. Überdies veranschaulicht das Schreiben zweierlei: einerseits die
gerade in der Provinz sich verschärfenden Angriffe auf die Sammeltätigkeit progressiver Museumsleiter, anderer-
seits die wachsende Verunsicherung der Museumsbeamten ob des zukünftigen kunstpolitischen Kurses der Regie-
rung und die daraus resultierende Unklarheit über noch zugelassene bzw. nicht mehr geduldete Künstler. Hent-
zens Antwort vom 12. Juni 1933 ist in einem sachlich-konstatierenden und abwartenden, aber keinesfalls pessimi-
stischen Ton gehalten:
Die Stellung der Regierung zur neuen deutschen Kunst ist noch keineswegs geklärt. Sie wissen, daß man in Karlsruhe,
Mannheim, Nürnberg, Chemnitz sogenannte »Schand-Ausstellungen« gemacht hat (in Dresden wird etwas Ähnliches
geplant), in denen Bilder fast aller bedeutender lebender Maler verächtlich gemacht werden sollen. Sie wissen auch sicher,
daß unsere Kollegen Swarzenski, Hartlaub, Sauerlandt, Baum, Cohen, Kaesbach, Wichert, With, Frl. Fischei, Schreiber-
Weigand, Grote, F. T. Schulz [und] Riezler beurlaubt oder entlassen sind und daß man an den Akademien die Mehrzahl
der modernen Künstler entließ wie: Hofer, Scharff, Klee, Moll, Mareks, Crodel, Schlemmer, Scheibe usw. An der Natio-
nal-Galerie hat man bisher weder personell noch sonst etwas geändert, nur die Kommission ist aufgelöst, eine neue noch
nicht ernannt. Das ist aber wohl nur vorläufig so. Ich habe von mir aus nichts weggehängt, das Kronprinzenpalais ist
unverändert [...].3
Erich Wieses Erkundigungen in der Hauptstadt konnten ihn nicht davor bewahren, das Schicksal vieler
Museumskollegen zu teilen. Er wurde Ende Juni 1933 entlassen^ und durch den kommissarischen DirektorWolf
Marx ersetzt, über den nichts Weiteres bekannt ist. Marx unterzog die Abteilungen 19. und 20. Jahrhundert des
1 Die Breslauer »Schreckenskammer« ist bislang weitgehend unbekannt geblieben. Sie wird hier erstmals eingehend untersucht.
Für die Übersendung von Photokopien archivalischer Quellen und Presserezensionen danke ich dem Nationalmuseum (Mu-
zeum Narodowe) und dem Stadtarchiv in Breslau sowie dem Staatsarchiv Warschau.
2 Zitiert nach dem Abdruck des Briefes bei Janda/Grabowski 1992, S. 34.
3 Zitiert nach dem Abdruck des Briefes ebenda.
4 Wiese schrieb am 10. Juli 1933 an Max Sauerlandt: »Seit 14 Tagen teile ich Ihr Schicksal« (Staats- und Universitätsbibliothek
Hamburg, NL Sauerlandt; freundliche Mitteilung von Andreas Hüneke). Von 1950/51 bis 1960/61 war Erich Wiese dann Direk-
tor des Hessischen Landesmuseums Darmstadt.

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