Forschungsstand

Die Nutzung der Bestände im Vatikan während des 17. und 18. Jahrhunderts

Schon kurz nach der Wegführung der Bibliotheca Palatina nach Rom im Jahr 1623 gab es Versuche, sie für Heidelberg zurückzugewinnen, Versuche, die jedoch anfangs erfolglos blieben. Bis auf Weiteres war der gesamte Bestand im Vatikan der Benutzung – vor allem durch ausländische Forscher – entzogen. Eine Tatsache, die nicht zuletzt den Germanisten und Historikern, die den Wert der in der Sammlung für ihre Forschungen enthaltenen Texte kannten, schmerzlich bewusst war. Friedrich Adelung, einer der wenigen, denen es Ende des 18. Jahrhunderts gelungen war, Teile der Bibliotheca Palatina im Vatikan einzusehen, schreibt über die Schwierigkeiten dieses Unterfangens: „Ueberhaupt sollte man fast glauben, der römische Hof habe es sich absichtlich vorgenommen, den Gebrauch der Vatikanischen Bibliothek zu erschweren, wenigstens lässt sich, ausser dem Verbot sie anzusehen, kaum noch ein Hinderniss denken, das man bey der Benutzung derselben nicht zu besiegen hätte“ (Friedrich Adelung, Nachrichten von altdeutschen Gedichten, welche aus der Heidelbergischen Bibliothek in die Vatikanische gekommen sind. Nebst einem Verzeichnisse derselben und Auszügen, Königsberg 1796, S. 8) So sind auch Benutzungsspuren in den Büchern – wie etwa Anmerkungen oder Glossen – aus der Zeit ihrer Unterbringung in der Vatikanischen Bibliothek eher selten. In wenigen Fällen lässt sich die Ausleihe von Texten aus dem Bestand in den Akten des Vatikan nachweisen.

Anfänge der wissenschaftlichen Erschließung der nach Heidelberg zurückgekehrten Palatini germanici

Als die Codices Palatini germanici, die deutschsprachigen Handschriften der ehemaligen Bibliotheca Palatina, 1816 nach Heidelberg zurückkehrten, war dies daher ein Ereignis von höchstem, auch überregional bedeutendem Rang. Per Rundschreiben vom 2. August 1816 lud der Prorektor der Universität die Professoren ein, die aus Rom zurückgekehrten Manuskripte am Folgetag in Augenschein zu nehmen. Aus der Liste der Unterzeichneten geht hervor, dass viele dieses Angebot annahmen, um sich einen ersten Eindruck von den Handschriften zu verschaffen.

Endlich war es nun wieder möglich, die Texte vor Ort zu benutzen. In der Folge entstanden vor allem zu den etwa 100 Codices, die mittel- und frühneuhochdeutsche Literatur überliefern, zahlreiche Veröffentlichungen und Editionen.

Bereits unmittelbar nach der Rückkehr der 847 Codices Palatini germanici veröffentlichte der damalige Direktor der Bibliothek, der Historiker Friedrich Wilken, ein erstes Kurzverzeichnis der Handschriften. Zum 500jährigen Universitätsjubiläum im Jahr 1886 sollte dann ein erster wissenschaftlich erarbeiteter Katalog zu den vor 1500 geschriebenen deutschsprachigen Handschriften erscheinen. Wegen einer Erkrankung des Autors Karl Bartsch, wurde der Band jedoch erst 1887 veröffentlicht. 1903 gab der spätere Leiter der Heidelberger Universitätsbibliothek Jakob Wille dann die Beschreibungen zu den Manuskripten des 16. und 17. Jahrhunderts heraus.

Wissenschaftliche Erschließung der Bestände im Vatikan

Die Bearbeitung der lateinischen Codices im Vatikan hatte ebenfalls in der 80er Jahren des 19. Jahrhunderts begonnen. Der 1886 erschienene Katalog von Enrico Stevenson blieb allerdings Stückwerk und verzeichnet nur die Signaturen Cod. Pal. lat 1-921. Eine Beschreibung der griechischen Manuskripte stammt aus der Feder von Stevensons Vater, Enrico Stevenson Senior.

Stevenson konnte hier auf die Vorarbeiten Friedrich Sylburgs zurückgreifen. Der Gräzist hatte bereits im 16. Jahrhundert einen handschriftlichen Katalog der griechischen Manuskripte erarbeitet, der sich unter den Palatini latini erhalten hat (Vatikan, BAV; Pal. lat. 429bis). Erstmals im Druck veröffentlicht wurde das Sylburgsche Verzeichnis von dem reformierten Theologen Ludwig Christian Mieg in seinen „Monumenta pietatis et literaria virorum in re publica & literaria illustrium selecta” von 1702.

Erschließung heute

Erst in den 1960er Jahren konnte die Erschließungsarbeit – nun mit Hilfe der Stiftung Kulturgut Baden-Württemberg und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) – erfolgreich fortgesetzt werden. Von diesen Institutionen finanziell unterstützt erschienen seit 1981 vier Kataloge zu den lateinischen Palatinahandschriften und fünf zu den deutschsprachigen. Ludwig Schuba verfasste die Verzeichnisse zu den medizinischen und den Quadriviums-Handschriften unter den Palatini latini. Dorothea Walz bearbeitete den Katalog der historischen und philosophischen Palatini latini, Wolfgang Metzger schließlich den zu den humanistischen, Triviums- und Reformationshandschriften. Aktuell werden die restlichen, hauptsächlich bei Stevenson beschriebenen Handschriften in einem vorerst auf drei Jahre geförderten DFG-Projekt erfasst.

Die Palatini germanici wurden in der Folge ihrer Signaturen erschlossen: Band 1 umfasst die Nummern 1-181, Band 2 die Nummern 182-303 und Band 3 die Nummern 304-495. Band 4 die Nummern 496-670 und Band 5 die Nummern 671-848. Mit dem letzten Band ist die Erschließung der Codices Palatini germanici abgeschlossen. Seit 2014 wird in dem von der DFG für sechs Jahre geförderten Projekt „Erschließung von 876 mittelalterlichen und frühneuzeitlichen lateinischen Handschriften der Heidelberger Bibliotheca Palatina in der Vatikanischen Bibliothek in Rom” die zuvor noch nicht erschlossenen 876 mittelalterlichen und frühneuzeitlichen lateinische Codices der Bibliotheca Palatina eine wissenschaftliche Tiefenerschließung vorgenommen.

Die Druckschriften der ehemaligen Bibliotheca Palatina wurden in einem eigenen Projekt erschlossen und sind über eine Mikrofiche-Edition und vier Katalogbände recherchierbar.

Neben diesen Gesamtverzeichnissen zu den Beständen entstanden in den vergangenen Jahrzehnten auch unzählige Untersuchungen zu einzelnen Handschriften der Bibliotheca Palatina. Außer in Aufsätzen wurden ausgewählte Stücke beispielsweise Gegenstand von Monographien oder fanden im Rahmen kunsthistorischer und kodikologischer Studien oder in modernen Texteditionen Berücksichtigung. Zu einigen Zimelien der Sammlung wurden auch Faksimilebände herausgegeben.

© Karin Zimmermann, Universitätsbibliothek Heidelberg, 02/2017