Skriptorium – Buchproduktion im Mittelalter
Die Herstellung eines Buches im Mittelalter differiert von der heutigen Buchproduktion gewaltig, sowohl in Bezug auf die verwendeten Materialien, als auch in den Herstellungstechniken selbst.
Im Früh- und Hochmittelalter war es noch üblich, daß ein Buch, eine Handschrift, in Auftrag gegeben wurde. Das Schreiben, Malen und Binden des Buches fand in der Regel im Skriptorium eines Klosters statt, es existierten aber auch weltliche Werkstätten zum Schreiben von profanen, vor allem juristischen Texten.
Ab dem 14./15. Jahrhundert wurden diese weltlichen Werkstätten immer zahlreicher, da die Nachfrage nach Büchern immer weiter anstieg. Der Auftraggeber bestimmte die Ausführung und Ausstattung der Handschrift und stellte z.T. auch die benötigten, besonders kostbaren und teuren Materialien (Gold, Lapislazuli, u.ä.) zur Verfügung.
An Verbrauchsmaterialien wurden Pergament (ab Ende des 14. Jahrhunderts auch Papier), Tinte und Tusche, sowie Farben benötigt.
Das Layout
Bei den hier vorgestellten Handschriften handelt es sich durchweg um Papierhandschriften. Jede Werkstatt verwendete unterschiedliche Papiere verschiedener Qualität. Insbesondere bei den Bibeln aus der Werkstatt Diebold Laubers (Cod. Pal. germ. 19, 20, 21, 22, 23) fällt auf, daß Papier verwendet wurde, das ursprünglich wohl für eine kleinere Handschrift gedacht war, da es schon mittig gefalzt wurde. Für die Bibeln wurde es wieder aufgefaltet und durch Zusammenhängen zweier Einzelblätter mit Fälzelstreifen wurde jeweils ein Doppelblatt gebildet.
In der Regel wurde jedoch das Doppelblatt durch Falzen, d.h. Falten eines Blattes durch die Blattmitte erreicht. Etwa 4-5 Doppelblätter steckte man ineinander und bildete eine Lage. Zur Aufteilung der Seiten wurden zumeist am Seitenrand Markierungen angebracht, an die anschließend ein Lineal zum Einzeichnen der Zeilenlinierung (Reglierung) und Zeilenbegrenzung (Justifikation) angelegt wurde. Das Einzeichnen der Linierung konnte mit einem Silberstift, mit einem stumpfen Griffel (sogenannte ‘Blindreglierung’) oder mit einer dünnen lasierenden Tinte erfolgen.
Der Text
Nachdem die Seitenaufteilung erfolgt war, konnte der Schreiber seine Arbeit beginnen. Er erstellte den laufenden Text ohne die farbigen Initialen, die später vom Rubrikator (lat. rubrum = rot) nachgetragen wurden. In einigen Fällen schrieb der Schreiber den Buchstaben der Initiale schon klein in Schwarz für den Rubrikator vor. Bei sehr umfangreichen Texten teilten sich oft mehrere Schreiber die Arbeit lagenweise untereinander auf. Es wurde entweder direkt von einer Vorlage abgeschrieben/kopiert, oder jemand las den Vorlagetext laut vor und mehrere Schreiber schrieben mit, so daß der Text sofort mehrfach kopiert wurde.
Eine Darstellung dieses Vorgangs findet sich im Codex Manesse. Natürlich schlichen sich bei beiden Kopierformen Fehler in den abgeschriebenen Text ein, die es den Handschriftenforschern heute ermöglichen, die verschiedenen handschriftlichen Überlieferungen eines Werkes miteinander in Beziehung zu setzen und zu vergleichen, welche Kopie von welcher Vorlage stammt.
Geschrieben wurde mit einer Vogelfeder – in der Regel aus dem Flügel einer Gans –, die mit einem scharfen Messer, dem ‘Federmesser’, dauernd nachgeschnitten werden mußte, da die harte Spitze durch die Tinte mit der Zeit aufweichte und somit zum Schreiben unbrauchbar wurde. Der Rechtshänder benutzte eine Feder des linken Flügels, die aufgrund ihrer natürlichen Krümmung nach dem Entfernen der Fahne (der Häarchen) besonders gut in der Hand liegt.
Als Tinte fand neben der schon erwähnten Dornenrindentinte auch Rußtusche (Pflanzenruß in einer Lösung aus Gummi arabicum) und insbesondere Eisengallustinte Verwendung.
In einer Handschrift können durchaus verschiedene Tinten benutzt worden sein. Für besonders prachtvolle und aufwendig gestaltete Handschriften – meist Evangeliare oder Evangelistare – wurde auch Goldtusche aus fein zermahlenem Goldstaub benutzt. Es entstand ein sogenannter ‘Codex aureus’.
Nicht immer benutzte man allerdings Echtgold, sondern begnügte sich mit einem Ersatzmittel. Ein recht originelles Rezept zur Anfertigung einer solchen modifizierten Goldtusche findet sich in einer Handschrift der Universitätsbibliothek Heidelberg aus dem 16. Jahrhundert (Cod. Pal. germ. 489; Fol. 83v):
Golt aus der Federn zu schreiben.
So nimm Quecksilber, vnd Auripigmentum, vnd thue das in ain Eirschal, vnd stoppf das zue, vnd thue das aus in dem ay ist, vnd leg es vnder ain hennen die do prüdig ist. Vnd wen die henlin außgeen so nimm das ay, vnd thue vff welchs dein ist, vnnd zerreib es mit aim wenig wasser, vnd schrieb damit, so wirt es golt.
[Fülle Quecksilber und Auripigment (Arsentrisulfid, ein gelbes Mineral) in ein ausgeblasenes Ei und verstopfe die Einfüllöffnung. Schiebe das Ei einer brütenden Henne unter. Wenn die Henne ihr Gelege verläßt, so nehme dein Ei, öffne es und zerreib den Inhalt mit etwas Wasser, so daß man damit schreiben kann. Man erhält eine goldene Tusche.]
Aufbewahrt wurden die Tinten und Farben für die Initialen in kleinen Rinderhörnern, die man in Vertiefungen im Schreibpult einsetzen konnte. Der Schreiber konnte nun mit dem Kopieren beginnen.
Initialen und Miniaturen
Sobald der Haupttext geschrieben war, konnten Rubrikator und Illustrator mit ihrer Arbeit beginnen. Der Rubrikator schrieb die oft farbigen Initialen und Textüberschriften und markierte den ersten Buchstaben eines Satzanfanges durch einen roten Strich.
Der llustrator war für die malerische Ausstattung der Handschrift verantwortlich; er zeichnete und malte die Bordüren, Fleuronnés, bildlichen Initialen und Bilder (Miniaturen). An einer Handschrift konnten mehrere Illustratoren beschäftigt sein, die auch je nach ihrer Tätigkeit (Bildinitialen, Hintergründe, Personen, usw.) unterschiedlich entlohnt wurden. Sie begannen ihre Arbeit zumeist mit einer Vorzeichnung auf dem Pergament bzw. Papier mit Silberstift oder dünner lasierender Tinte. Anschließend konnte dann der Farbauftrag und die genaue Konturierung erfolgen. Die Farben wurden in einzelnen Schichten aufgetragen, wobei bis zu zehn Stufen entstehen konnten, um eine feine Modellierung zu erreichen. Je nach Farb- und Bindemittel konnte der Illustrator eine bestimmte Wirkung erzielen. In der karolingischen Buchmalerei wurden z.B. eher opake und ‘stumpf’ wirkende Farben bevorzugt, während sich die ottonische Buchmalerei durch glänzende, transparente und leuchtende Farben auszeichnet, die zudem oft neben auf Hochglanz polierte Goldgründe gesetzt wurden.
Wurde für eine Initiale oder Miniatur auch Gold verwendet, so trug man dieses als erstes auf, um es auf Hochglanz polieren zu können, ohne die anderen Farben zu beschädigen. Um dem Gold eine zusätzliche Leuchtkraft (‘Feuer’) zu verleihen, legte der Maler eine Grundierung aus Bolus (rotem Ocker) an, auf die das Blattgold mit Eiklar als Bindemittel aufgeklebt wurde.
Bei sehr kostbaren Handschriften, besonders aber auch bei Breviaren des Spätmittelalters, wurde vor der Vergoldung ein dicker, gewölbter Kreidegrund angelegt, der das Gold plastisch aus der Miniatur herausragen läßt; man spricht hier von einer Kissen- oder Polimentvergoldung. Goldhintergründe wurden in der Buchmalerei nur selten punziert, wie wir es z.B. in der gotischen Tafelmalerei finden, sondern eher durch einen Farbauftrag oder mit ‘andersfarbigem’ Gold ornamentiert. War das Gold auf die Grundierung (Poliment) aufgeklebt, so wurde es mit einem Keilerzahn oder einem Achatstein auf Hochglanz poliert.
Anschließend konnte der Auftrag der anderen Farben erfolgen. Hierzu stand dem mittelalterlichen Maler eine recht große Palette an Farben zur Verfügung, die sich in zwei Hauptgruppen aufteilen lassen:
- anorganische Farben mineralischen und synthetischen Ursprungs
- organische Farben tierischer und pflanzlicher Herkunft
Eine exakte, naturwissenschaftliche Untersuchung der verwendeten Farben bei den oberrheinischen Bilderhandschriften ist noch nicht vorgenommen worden. Es erfolgte zumeist ein zweimaliger Farbauftrag, der zudem – insbesondere in der Werkstatt von 1418 und in der Lauber-Werkstatt – sehr flüchtig und schnell ausgeführt wurde. Die Konturenlinien wurden nicht sonderlich beachtet. Aufgrund mikroskopischer Untersuchungen und Vergleichen mit Malproben können jedoch folgende Pigmente und Farbstoffe zur Verwendung gekommen sein:
- Werkstatt des Diebold Lauber:
- Grünspan für die Bodenflächen
- Azurit für die blauen Initialen
- Indigo für die blauen Lasuren und Miniaturen
- Krapp für die orange-roten Königsgewänder
- Werkstatt des Ludwig Henfflin:
- gelber Ocker für den Fußboden
Die mineralischen Farben wurden, nachdem sie von den Unreinheiten (nicht farbigem, taubem Gestein) z.B. durch Mörsern und Waschen befreit waren, feinst zermahlen und mit einem Bindemittel angeteigt. In der abendländischen Buchmalerei finden sich als Bindemittel hauptsächlich Eiklar, Gummi arabicum und Hausenblase.
Die pflanzlichen Farben wurden durch Aufkochen der farbgebenden Pflanzenteile (Blüten, Naben, Wurzeln, usw.) gewonnen. Der Sud wurde anschließend filtriert und eingetrocknet oder auf Kreide aufgezogen (Pigmentierung). Teilweise wurde noch Alaun (Kaliumaluminiumsulfat) als Fungizid und Fixativ hinzugegeben.
Buchblock und Bucheinband
Nachdem auch die Miniaturen vollendet waren, konnte der Buchbinder sein Werk beginnen. Die Lagen wurden auf ihre richtige Reihenfolge überprüft (Kollationierung) und mit einem Leinenzwirn auf Hanfkordeln oder Lederstreifen miteinander verbunden (Heftung). Auf diese Weise entsteht der Buchblock, der zum besseren Schutz mit einem Einband versehen wurde.
Bis ins 16. Jahrhundert verwendete man Holzbretter, meist Eiche oder Buche, die als Deckel am Buchblock befestigt wurden. Zur besseren Optik und als Schutz des Rückens wurden die Deckel mit Leder oder Pergament überzogen und oft mit verschiedenen Stempelprägungen verziert. Da besonders Pergamenthandschriften sehr empfindlich auf Schwankungen der relativen Luftfeuchtigkeit reagieren - das Material beginnt sich zu wellen -, muß der Buchblock immer unter einen gewissen Druck stehen.
Diesen Druck erreichte man durch Anbringen von Metallschließen an den Vorderkanten der Deckel, die das geschlossene Buch fest zusammendrücken. Dies ist z.B. sehr schön bei Cod. Pal. germ. 67 (Sigenot), einer Handschrift aus der Henfflin-Werkstatt, zu sehen, die einen Ottheinrich-Einband besitzen.
Der Großteil der Codizes verlor jedoch im 17. Jahrhundert für den Transport der Bücher nach Rom seinen Einband. In der Bibliotheca Vaticana erhielten die Bücher jeweils einen schlichten Einband aus Kalbspergament. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind diese Einbände teilweise ersetzt worden, da die alten Einbände schadhaft waren bzw. die Restaurierung des Buchblocks ein Entfernen des Einbandes erforderlich machte.
Denn bei einigen der Handschriften weist das Papier schwere Schäden auf. Dabei sind Risse und Fehlstellen (Löcher) in den Blattkanten, die durch Benutzung entstanden sind, noch das kleinste Problem. Auch das Papier selbst verursacht eigentlich keine Probleme, da es von guter Qualität ist; lediglich einzelne Seiten oder Lagen sind durch Befall von Mikroorganismen stockfleckig geworden.
Große Schäden werden dagegen von den Farben und der Eisengallustinte hervorgerufen. Viele Farben schlagen durch das Papier durch oder haben auf die gegenüberliegende Seite abgefärbt. Besonders aktiv im Durchschlagen sind hier Braun und Grün.
Während Braun jedoch keine weiteren Schäden zu verursachen scheint, entstehen bei den kupferhaltigen Pigmenten - insbesondere bei Grünspan - durch chemische Alterungsprozesse u.a. Säuren, die die Celluloseketten, die Grundsubstanz des Papiers, abbauen. Komplizierte chemische Reaktionsabläufe führen dazu, daß das Papier in diesen Bereichen sehr spröde wird, der mechanischen Belastung beim Blättern der Handschrift nicht mehr standhält und reißt bzw. sogar kleine Teile (von mm²- bis cm²-Größe) herausgesprengt werden.
In ähnlicher Weise kann auch die Eisengallustinte auf das Papier wirken; man spricht vom Kupfer- und Tintenfraß. Je nach Mischungsverhältnissen der einzelnen Zutaten in der Tinte wirkt diese mehr oder weniger aggressiv auf das Papier. Besonders in der Werkstatt Diebold Laubers wurde mit einer sehr aggresiven Tinte geschrieben, die im Laufe der Jahrhunderte z.T. schwerste Schäden verursacht hat.
Eine negative Berühmtheit hat hier der Cod. Pal. germ. 20, ein Band der Lauber-Bibel, erreicht. Auf einigen Seiten sind große Textpartien herausgebrochen, die heute - soweit überhaupt noch vorhanden - extra aufbewahrt werden.
Nicht ganz so schön ist der Zustand der Farben; an vielen Stellen - besonders an den äußeren Blatträndern und an den Ecken - sieht man der Kolorierung ihr Alter an. Durch die häufige historische und moderne Nutzung der Handschrift (wissenschaftliche Bearbeitungen, Präsentationen in Seminaren, Ausstellungen und den damit verbundenen Transporten) weisen einige Farbflächen deutliche Malschichtverluste auf. Durch den z.T. sehr bindemittelarmen Farbauftrag kommt es zudem zu sogenannten pulvernden Malschichten, d.h. schon geringe Bewegungen der Seiten können dazu führen, daß sich Farbpartikel von der Papieroberfläche ablösen.
Literatur (Auswahl)
- Bischoff, Frank M.: Pergamentdicke und Lagenordnung. Beobachtungen zur Herstellungstechnik Helmarshausener Evangeliare des 11. und 12. Jahrhunderts. In: Rück, Peter (Hrsg.): Pergament . Geschichte – Struktur – Restaurierung – Herstellung. Sigmaringen 1991, S. 97-144.
- Dannehl, Jens: Tintenfraß auf Papier – verursacht durch Eisengallustinte - und die Wirksamkeit verschiedener Konservierungsmethoden. Semesterarbeit 1992/93 bei Prof. Dr. E. Jägers, Fachhochschule Köln, Fachbereich Konservierung und Restaurierung von Kunst- und Kulturgut.
- Emrath, Volkert: "Einige alte Pigmente und Farbstoffe, deren Herkunft u. Verwendungszeiten in der Tafel-, Buch- und Miniaturmalerei vor ca. 1780".
- Kirmeier, Josef u.a. (Hrsg.): Schreibkunst. Mittelalterliche Buchmalerei aus dem Kloster Seeon. Katalog zur Ausstellung im Kloster Seeon 28. Juni bis 3. Oktober 1994. Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur 28/94. Augsburg 1994.
- Roosen-Runge, Heinz: Die Tinte des Theophilus. In: Festschrift Luitpold Dussler. 1972, S. 87-112.
- Roosen-Runge, Heinz: Buchmalerei. In: Reclams Handbuch der künstlerischen Techniken. Band 1, S. 55-123.
- Schramm, Hans-Peter und Bernd Hering: Historische Malmaterialien und ihre Identifizierung. Berlin 1989.
- Scott, David A. u.a.: Technical examination of a fiftteenth-century german illuminated manuscript on paper: a case study in the identification of materials. In: Studies in Conservation 46, 2001, S. 93-108.
- Thiel, Viktor: Papiererzeugung und Papierhandel vornehmlich in den deutschen Landen von den ältesten Zeiten bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Ein Entwurf. In: Archivalische Zeitschrift 41/Dritte Folge 8, 1932, S. 106-151
- Trost, Vera: „Wer nicht schreiben kann, glaubt es sei keine Arbeit...“ Zur Buchherstellung im Mittelalter. In: Fansa, Mamoun (Hrsg.): Der sassenspeyghel. Sachsenspiegel - Recht - Alltag; Band 1. Oldenburg 1995.
- Trost, Vera: Skriptorium. Stuttgart 1991.
- Video: "Buchproduktion im Mittelalter" – Lehrfilm aus dem multimedialen Buchprojekt "Handschriften des Mittelalters" (ISBN 978-3-7995-0577-2), der u.a. in Kooperation mit der UB Heidelberg entstanden ist. Zugriff über Vimeo oder YouTube