Oberdeutsche Bilderhandschriften

Im Besitz der Universitätsbibliothek Heidelberg befinden sich unter anderem 27 zwischen 1417 und 1477 entstandene, reich illustrierte Bilderhandschriften aus drei der bekanntesten deutschen Schreibwerkstätten des 15. Jahrhunderts. Unter diesen Ateliers, die alle im deutschsprachigen Südwesten liegen, ist die vermutlich in Straßburg anzusiedelnde sogenannte „Elsässische Werkstatt von 1418” mit sieben Codices vertreten. Eine zweite Gruppe von elf Manuskripten wurde von Diebold Lauber und seinen Mitarbeitern im elsässischen Hagenau gefertigt. Die sogenannte Werkstatt des Diebold Lauber repräsentiert das berühmteste und mit über 80 erhaltenen Codices wohl auch produktivste Skriptorium dieser Zeit. In der wahrscheinlich in Stuttgart gelegenen schwäbischen Werkstatt des Ludwig Henfflin sind insgesamt neun Manuskripte entstanden. Von dieser letzten Gruppe haben sich außerhalb Heidelbergs nach heutigem Kenntnisstand keine weiteren Erzeugnisse erhalten. Vielmehr konnte im Zusammenhang mit der Neukatalogisierung der deutschsprachigen Handschriften der ehemaligen Bibliotheca Palatina eine weitere Handschrift der Werkstatt des Ludwig Henfflin zugeordnet werden. Es handelt sich hierbei um Cod. Pal. germ. 76, der mit seinen 35 kolorierten Federzeichnungen zu den beiden einzigen illustrierten Handschriften des „Ackermanns aus Böhmen” von Johannes von Tepl gehört.

Alle drei Werkstätten waren kommerzielle Unternehmen, die sowohl Auftragsarbeiten durch angestellte Schreiber und Illustratoren ausführen ließen als auch ihre Erzeugnisse im Handel anboten. Typisch für die so entstandenen Handschriften ist ihr angeblich "volkstümlicher" Charakter: Deutlich wird dies z.B. durch den vorherrschenden Gebrauch der deutschen Sprache. Geschrieben wurde dabei meist in der Mundart der jeweiligen Schreiber oder, auf Wunsch, auch im Dialekt der späteren Leser. Als Schrift wurde ferner eine gut lesbare Buchkursive oder Bastarda, eine Gebrauchsschrift, verwendet. Hinzu kamen formelhafte Illustrationen, die weniger der Dekoration als der Erläuterung des Textes dienen sollten. Als Schreibmaterial diente das im Vergleich zum kostbaren Pergament billigere Papier.

Thematisch wurde fast die gesamte Literatur des Mittelalters verarbeitet. Religiöse Abhandlungen und Erbauungsschriften, Chroniken, Kalender, höfische Epen, naturkundliche Werke, sogar Rechtsbücher wurden von diesen Werkstätten abgeschrieben. Als Abnehmer trat neben weltlichen und kirchlichen Fürsten, dem hohen und niederen Adel auch das wohlhabende Bürgertum im Erscheinung.

Dass die Bilderhandschriften der drei oberdeutschen Schreibwerkstätten heute in der Universitätsbibliothek Heidelberg aufbewahrt werden, ist dem Sammeleifer der pfälzischen Kurfürsten zu verdanken. Die Manuskripte gelangten so in die Bibliotheca Palatina, die in Teilen in der Heidelberger Universitätsbibliothek aufging. Die drei Handschriften-Gruppen stellen Heidelberger Besonderheiten dar: In keiner anderen Bibliothek haben sich vergleichbare Handschriftenkomplexe dieser Werkstätten erhalten.

Das von der DFG geförderte Projekt zur Digitalisierung und Erschließung der 27 Handschriften wurde in Kooperation mit dem Institut für Europäische Kunstgeschichte der Universität Heidelberg durchgeführt. Für die fachwissenschaftliche Betreuung konnte Frau Prof. Dr. L. E. Saurma gewonnen werden.

Die Digitalisierung wurde in der Abteilung Sondersammlungen der Universitätsbibliothek Graz durchgeführt. Die Digitalisiate und Erschließungsdaten wurden sowohl über die WWW-Seiten der UB Heidelberg angeboten, als auch in die Handschriftendatenbank „Manuscripta Mediaevalia“ eingespielt.