Die pfälzischen Kurfürsten als Sammler medizinischer Handschriften

Mediziner bei der Harnschau

Mit knapp 300 Manuskripten machen die Handschriften mit medizinischem Inhalt ein gutes Drittel des Gesamtbestandes der 848 Signaturen der deutschsprachigen Handschriften der „Bibliotheca Palatina“ (Cod. Pal. germ.) aus. Die Universitätsbibliothek Heidelberg dürfte damit weltweit eine der größten deutschsprachigen medizinischen Rezeptbuchsammlungen besitzen. Der Bestand hat seinen Ursprung im Interesse der Heidelberger Kurfürsten an medizinischer Literatur, für das zahlreiche Autographe von ihrer Hand ein beredtes Zeugnis sind. Formal handelt es sich in der Hauptsache um reine Rezeptsammlungen, teilweise allerdings auch versetzt mit Texten aus angrenzenden Gebieten wie der Alchemie. Inhaltlich steht überwiegend eine von Laien tradierte und praktizierte Volksmedizin im Vordergrund, die auf eigene Erfahrungen und konkrete Problemstellungen zurückgeht. Mit der an der Universität gelehrten, eher theoretischen lateinischen Medizin steht diese nur zu geringen Teilen in Zusammenhang. Die Art der Sammlung, in der Zusammenhänge oft noch genau nachvollzogen werden können, macht es unter anderem möglich, an ihr dem Werden und Entstehen einer frühneuzeitlichen Fachbibliothek bis in das kleinste Detail nachzugehen. Daneben bietet die Zahl der überlieferten Einzelrezepte – hochgerechnet kommt man auf ca. 175.000 – eine ausgesprochen breite Materialbasis für weitere fachspezifische Forschungen.

An erster Stelle sind die insgesamt 13 Bände des durch Kurfürst Ludwig V. von der Pfalz selbst geschriebenen ’Buchs der Medizin‘ zu nennen. Das in zwölf Codices überlieferte Hauptcorpus (Cod. Pal. germ. 261-272) enthält gleichsam als Universalkompendium das medizinische Wissen der Zeit. Neben den üblichen Standardwerken wie dem „Gart der Gesundheit“ und dem „Arzneibuch“ Ortolfs von Baierland überliefert es eine Vielzahl von Einzelrezepten, die nach Indikationen, nicht jedoch „a capite ad calcem“ (von Kopf bis Fuß) geordnet sind. Insgesamt enthalten allein diese 13 Bände etwa 18.750 Rezepte. Das unvollendet gebliebene Werk wurde nach Ludwigs Tod geordnet und 1554 in einheitlich gestalteten Bänden gebunden.

Auch auf den Pfalzgrafen und späteren Kurfürsten Ludwig VI. von der Pfalz gehen zahlreiche medizinische Sammlungen zurück. Ludwig, selbst unter Asthma (Keuchen) leidend, verwendete viel Zeit und Energie darauf, Rezepte zu sammeln, abschreiben zu lassen oder gar selbst abzuschreiben, um sie dann in weiteren Handschriften neu zu ordnen und zusammenzustellen. Das Ergebnis bilden kalligraphisch auf Pergament geschriebene Rezeptsammlungen, die meist „a capite ad calcem“ geordnet sind, und die in Einbände gebunden sind, die Ludwig persönlich zugeschrieben werden können. Die auf ihn zurückgehenden Sammlungen lassen durch seine exakten Zuschreibungen der Rezepte an verschiedene Zuträger Einblicke in seine Sammeltätigkeit zu, die der Pfalzgraf schon in den späten 1550er Jahren begonnen haben muss. Zwischen 1566 und 1572 wagte sich Ludwig dann an seine größte Kompilation (Cod. Pal. germ 192), für die er aus mindestens 15 Quellen Rezepte zusammentrug und eigene Vorlagen benutzte. Er exzerpierte Sammlungen seiner nächsten Verwandten, darunter die seiner Mutter, Kurfürstin Maria (1519-1576), seiner Tante, Pfalzgräfin Katharina (1510-1572), seines Onkels, Pfalzgraf Richard von Pfalz-Simmern (1521-1598), und schließlich die der Mutter seiner Schwägerin Elisabeth von Pfalz Lautern, Kurfürstin Anna von Sachsen (1532-1585).

Ähnlichen Sammeleifer wie Ludwig VI. entwickelte dessen Schwägerin Elisabeth aus der Linie Pfalz-Lautern (1552-1590), eine geborene Herzogin von Sachsen, die seit 1570 mit Ludwigs jüngerem Bruder Johann Kasimir (1543-1592; reg. als Administrator 1583-1591) verheiratet war. Elisabeth war auf medizinischem Gebiet vorgebildet, ihre Mutter, Kurfürstin Anna von Sachsen (1532-1585), gilt für den sächsischen Raum als eine der wichtigsten Rezeptkompilatorinnen des 16. Jahrhunderts. Elisabeth scheint selbst eine kleine Apotheke besessen zu haben, die ihr vermutlich durch den kurpfälzischen Leibarzt Wilhelm Rascalon (1525/1526 - nach 1591) eingerichtet worden war.

Digitalisierung und Online-Präsentation

Durch die Digitalisierung und Bereitstellung via Internet können diese nicht nur für die medizin- und personengeschichtliche Forschung einzigartigen Quellen nun orts- und zeitunabhängig und ohne Belastung für die Originale eingesehen werden.

Online-Präsentation der Handschriften

PDF-Dateien mit ausführlichen Beschreibungen der medizinischen Handschriften inklusive aller Rezeptüberschriften finden Sie auf dem Heidelberger Dokumentenserver HeiDOK:

© Karin Zimmermann, Universitätsbibliothek Heidelberg, 12/2013

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