Cod. Pal. germ. 345: „Lohengrin“; „Friedrich von Schwaben“

Ein Sammelband

Titeleintrag des 16. Jahrhunderts (Cpg 345, fol. 1r)

Der Cod. Pal. germ. 345 ist um 1470 in der Werkstatt des Ludwig Henfflin entstanden. Er enthält zwei Werke: den "Lohengrin" und den "Friedrich von Schwaben". Beide wurden von Zeichner A illustriert, jedoch von unterschiedlichen Händen geschrieben. Vermutlich wurden zwei gleichzeitig entstandene, ursprünglich jedoch selbständige Werke hier zu einem Manuskript zusammengebunden. Wann dies geschah, läßt sich jedoch nicht mehr sicher feststellen. Die Foliierung wurde erst im 17. Jahrhundert in Rom angebracht und liefert somit keinen eindeutigen Beweis für die ursrpüngliche Zusammengehörigkeit der beiden Texte. Dennoch dürften beide bereits relativ früh in einem Band vereint gewesen sein. Die unter Kurfürst Ottheinrich zwischen 1556 und 1559 durchgeführte Inventarisierung der älteren Heidelberger Schloßbibliothek verzeichnet sie bereits als Lorangrin Auoch Parcifals Sohn. Item hertzog Firderichs von Schwaben Historia, reymen weiß auf Papir gschrieben (Cod. Pal. lat. 1937, fol. 61v). Auch ein Eintrag des 16. Jahrhunderts auf fol. 1r belegt dies.

Der "Lohengrin"

Lohengrins Ankunft in Brabant (Cpg 345, fol. 18v)

Das Versepos "Lohengrin" ist vermutlich zwischen 1283 und 1289 in Bayern entstanden. Es wird in drei vollständigen Handschriften (Cod. Pal. germ. 364, Cod. Pal. germ. 345, München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 4871) und zwei zusammengehörenden Fragmenten (Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz; Ms. germ. fol. 724) überliefert. Die ersten Strophen des "Lohengrin" aus dem "Wartburgkrieg" lassen Wolfram von Eschenbach zum angeblichen Autoren des Werks avancieren. Aber sein wahrer Verfasser ist unbekannt. In einem Akrostichon der Strophen 763-765 nennt er sich selbst zwar Nouhuwius bzw. Nouhusius, aber eine historische, schiftstellerisch tätige Persönlichkeit dieses Namens ist bisher nicht nachweisbar. Auch seine unmittelbare Vorlage kennt man nicht. Als Quellen scheint der Autor Werke wie das "Buch der Könige alter ê und niuwer ê", die "Sächsische Weltchronik" und den "Schwabenspiegel" benutzt zu haben. Vermutlich verfügte er über juristische Kenntnisse und unterhielt Verbindungen zu einer Augsburger Kanzlei und zum Hof König Rudolfs von Habsburg.

Elsas Frage (Cpg 345, fol. 165r)

Der Stoff, der sich hinter dem Werk verbirgt, verbindet Motive aus dem Sagenkreis um König Artus mit solchen aus der keltischen Mythologie und Märchenmotiven. Die Geschichte bezieht sich auf die Genealogie des lothringischen Hauses Boulogne (Bouillon bzw. Brabant), deren Mitglieder – insbesondere Gottfried von Bouillon (1060-1100), der erste König Jerusalems, und sein Bruder Balduin – vom Schwanenritter Lohengrin abstammen sollen. Tatsächlich ist der vom altfranzösischen „Loherangrin“ kommende Name der eines alten lothringischen Recken. Den beiden Teilnehmer des ersten Kreuzzuges aus der Familie Bouillon wird damit die Abstammung von einem legendären, von Gott gesandten Helden zugeschrieben.

Von Schwänen, Gralsrittern und Heidenkämpfen

Lohengrins Abschied (Cpg 345, fol. 173r)

Zu Beginn klagt Friedrich von Telramunt Elsa von Brabant wegen eines nicht eingehaltenen Eheversprechens an. Im Gralsreich erfährt man von ihrer Not und sendet Parzivals Sohn Lohengrin zur ihrer Rettung aus. Ein von einem Schwan gezogener Nachen bringt ihn nach Brabant. In einem Turnier vor Heinrich I., dessen Ausgang als Gottesurteil gilt, gelingt es Lohengrin Friedrich von Telramunt zu besiegen. Letzterer wird wegen seiner Verleumdung enthauptet. Elsa heiratet Lohengrin, muß ihm jedoch zuvor versprechen, nie nach seinem Namen und seiner Herkunft zu fragen. Lohengrin kämpft anschließend im Dienste Kaiser Heinrichs I. gegen die Ungarn, später dann auf Bitte des Papstes gegen die Sarazenen. Nach dem Sieg der christlichen Truppen wird Heinrich I. in Rom zum Kaiser gekrönt. Die Helden kehren im Triumph nach Deutschland zurück, wo Heinrichs Sohn Brun zum Bischof von Köln geweiht und Heinrichs Tochter mit Giselbrecht von Lutringen verheiratet wird. Während der Hochzeitsfestlichkeiten rächt sich die Herzogin von Kleve für die Niederlage, die ihr Ehemann im Turnier gegen Lohengrin erlitten hat, indem sie den Schwanenritter wegen seiner unbekannten Herkunft schmäht. Elsa bricht deshalb ihr Versprechen und fragt ihn nach Namen und Herkunft. Lohengrin muß daraufhin Familie und Kaiserhof verlassen. Er verschwindet in dem vom Schwan gezogenen Nachen. Den Abschluß bildet ein kurzer Abriß der deutschen Kaisergeschichte von Heinrich I. bis zu Heinrich II.

Der „Lohengrin“ wurde im Cod. Pal. germ. 345 mit 98 Illustrationen ausgestattet, unter denen die vielen Kampfszenen auffallen. Häufig werden den Kämpfen gleich mehrere Darstellungen gewidmet, so daß regelrechte zyklische, an Zeichentrickfilme erinnernde Illustrationssequenzen entstehen. Als Beispiel sei der Gerichtskampf Lohengrins mit Friedrich von Telramunt genannt. Vom Aufbau der Turnierschranken und des Turniergestühls bis zur Hinrichtung Friedrichs sind diesem Ereignis alleine acht Federzeichnungen gewidmet.

Die christlichen Heerscharen (Cpg. 345, fol. 126r)

Die Figuren lassen sich – wie auch sonst in den Miniaturen der Werkstatt üblich – anhand der Farben ihrer Kleidung oder an ihrem Banner bzw. Wappen erkennen. Lohengrin z. B. trägt entweder die Farben Weiß-Gelb-Rot als Triparti, oder er ist an dem Schwanenbanner bzw. der Schwanenhelmzier zu erkennen. Analog zum Text, der in dem von Gott gesandten Helden eine Figuration Christi sieht, erscheint Lohengrin auch in den Bildern des Cod. Pal. germ. 345 z. B. auf fol. 126r. Die Darstellung zeigt, wie Lohengrin als Miles christianus die christlichen Ritter zum Kampf gegen die Sarazenen versammelt. Sein Schwanenbanner, unter dem sich die Ritter scharen, wirkt wie das Labarum, die Siegesfahne Christi.

Die Krönung Heinrichs I. (Cpg 345, fol. 153v)

Dem Text entsprechend erfährt in den Darstellung auch Kaiser Heinrich I. eine Idealisierung. Die vom Verfasser komplett erfundene Italienepisode, an deren Ende die Kaiserkrönung steht, wird alleine in sechs Illustrationen dargestellt. Signifikant ist auch die Form der Krönung Heinrichs I. auf fol. 153v. Man würde die Darstellung einer Krönungsmesse erwarten, bei welcher der künftige Kaiser demütig betend vor dem ihn krönenden Papst kniet. Aber Heinrich I. und der Papst sitzen gemeinsam auf derselben, erhöht stehenden Bank, während der Papst dem Kaiser die Krone aufs Haupt setzt und ihn segnet. Den „Lohengrin“ schrieb eine Hand, deren Schrift große Ähnlichkeit mit den Händen der Schreiber A und D aufweist. Von ihnen stammen die Codices Pal. germ. 16, Pal. germ. 17, Pal. germ. 18 sowie Pal. germ. 142 und Pal. germ. 152.

Der "Friedrich von Schwaben

Schreiberspruch des zweiten Schreibers (Cpg 345, fol. 379v)

Den zweiten Teil der Handschrift schrieb jedoch eine andere Person. Deren Hand wahrscheinlich noch in einer weiteren Handschrift der Werkstatt, dem Cod. Pal. germ. 76, nachweisbar ist. In beiden Manuskripten, die übrigens auch ähnliche Wasserzeichen aufweisen, hatte der Schreiber die Angewohnheit, Sentenzen oder Monogramme in die äußeren Buchstaben und auf den Rand der Blätter zu notieren. In beiden Codices brachte er außerdem einen beinahe identischen Schreiberspruch an, der lautet: Hab gott lieb von allen dingen/ (Vnd den nagsten alls dich selbs/) so mag die nit missgelingen. Ähnlichkeiten bestehen auch zur Schrift des Cod. Pal. germ. 353. Im Cod. Pal. germ. 345 war der Schreiber mit dem Kopieren des 8000 Verse umfassenden "Friedrich von Schwaben" beschäftigt. Auch von diesem nach 1314 im niederalemannisch-schwäbischen Sprachraum entstandenen Werk kennt man den Autor nicht. Es muß sich jedoch um eine literarisch gebildete Persönlichkeit gehandelt haben, denn die Literatur über König Artus war ihr ebenso vertraut wie die mittelhochdeutsche Dichtung. Der anonyme Autor kompilierte seinen Minneroman offensichtlich aus unzähligen Versatzstücken der unterschiedlichsten Werke. Dementsprechend fehlt eine direkte Quelle oder Vorlage.

Das Werk ist in acht Handschriften überliefert, von denen die meisten aus dem schwäbischen Raum stammen. Thema ist die Suche nach der wahren Liebe bzw. nach der Geliebten und die damit verknüpfte Wahl zwischen Liebe und Herrschaft. Eigentlich ist es ein mit Elementen der ritterlichen Epik angereicherter Abenteuerroman. Nur der Name des Protagonisten scheint ein historisches Vorbild zu besitzen, denn er erinnert an die staufischen Herzöge und Kaiser.

Von Herzögen, Hirschen, Zauberern und Zwergen

Friedrich jagt die verzauberte Angelburg (Cpg 345, fol. 183r)

Die Geschichte selbst jedoch führt in eine fiktive Märchenwelt: Herzog Friedrich von Schwaben verirrt sich bei der Verfolgung einer Hirschkuh im Wald und gelangt zu einem einsamen Schloß. Dort entdeckt er im Dunkeln Angelburg und ihre Gefährtinnen Salme und Malmeton. Die drei Jungfrauen wurden von Angelburgs Stiefmutter Flanea und deren Liebhaber Jeroparg verzaubert. Tagsüber müssen sie in Gestalt von Hirschen den Wald durchstreifen. Nur Nachts dürfen sie sich als Menschen zeigen. Sie können nur von ains rechten fursten kind erlöst werden. Aber die Erlösung ist an zwei Bedingungen geknüpft: Der Held muß innerhalb eines Jahres an 30 bestimmten Tagen keusches Beilager mit Angelburg halten, bei dem er sie nicht ansehen darf. Friedrich erklärt sich bereit, diese Aufgabe zu übernehmen. 

Friedrich verläßt Jerome und seine Tochter (Cpg 345, fol. 263v)

Aber schließlich kann der inzwischen Liebeskranke der Versuchung doch nicht widerstehen und riskiert es, einen Blick auf die schlafende Angelburg zu werfen. Die drei Mädchen werden daraufhin in Tauben verwandelt und an einen geheimen Ort, den aller liechtesten Brunnen verbannt. Zum Abschied schenken sie Friedrich noch drei Zauberringe. Um seine Geliebte zu suchen, läßt er sich von seinen zunächst zögernden Brüdern sein väterliches Erbteil auszahlen. Auf seiner Suche gelangt er nach Prafant, befreit dort die Fürstin Osann von dem schurkischen Arminolt von Norwegen. Seine Weiterreise führt ihn in das im Inneren der Berge liegende Zwergenreich der Königin Jerome, die sich in den Helden verliebt. Friedrich geht eine Scheinehe mit der Zwergin ein und zeugt mit ihr eine Tochter, Zipproner genannt. Aber er sehnt sich immer noch nach Angelburg, und es gelingt ihm doch noch das Zwergenreich zu verlassen.

Friedrich erlöst Angelburg (Cpg 345, fol. 287r)

Er tritt für mehrere Jahre in die Dienste des Königs Turneas, eines Vetters der betrügerischen Flanea, der ihm jedoch die ihm zustehende Entlohnung verweigert. Mit Hilfe der ebenfalls verzauberten und von ihm erlösten Pragnet gelangt Friedrich schließlich an den liechtesten Brunnen. Durch eine Zauberwurzel unsichtbar, kann er die drei badenden Jungfrauen an der Flucht hindern, indem er ihre Gewänder entwendet. Der unsichtbare und dadurch unerkannte Friedrich nötigt Angelburg ein Eheversprechen ab und kann so nach 20 Jahren endlich seine Geliebte und deren Gefährtinnen erlösen. Die Liebenden kehren in das Reich von Angelburgs Mutter zurück.

Friedrichs Rückkehr zu Jerome (Cpg 345, fol. 368v)

Doch ihre Stiefmutter Flanea und der Zauberer Jeroparg intrigieren weiter und lassen Angelburgs Vater mit seinen Truppen gegen Friedrich ziehen. Aber dieser kann die Feinde mit Hilfe seiner Brüder und Freunde besiegen. Schließlich trifft auch noch Jeromes Tochter Zipproner ein und wird von Angelburg freudig begrüßt. Doch Angelburg stirbt nach neunjähriger Ehe. Auf ihren letzten Wunsch hin heiratet Friedrich die von ihm verlassene und von Minne kranke Jerome, die daraufhin wieder gesund wird.

Schwaben, Staufern und Württembergern

Allianzwappen Württemberg-Savoyen (Cpg 345, fol. 379r)

Entstehung, Überlieferung und Inhalt dieses Romans verweisen mehrmals auf das schwäbische Sprachgebiet und Herzogtum, was immer wieder im Hinblick auf schwäbische bzw. staufische Herrschaftsinteressen und Machtansprüche interpretiert wude . Es wurde sogar vermutet das Werk sei im Umkreis der Württemberger entstanden, welche die Nachfolge der Staufer in dieser Region angetreten hatten. Ob dies zutreffend ist oder nicht, sei dahingestellt. Der Text des Cod. Pal. germ. 345 befand sich jedenfalls im Besitz eines Mitglieds dieser Familie. Mehrere württembergisch-savoyische Allianzwappen belegen, daß die Handschrift im Auftrag der mit Ulrich V. von Württemberg verheirateten Margarete von Savoyen entstanden ist. Sie ließ die Geschichte von dem Zeichner A der Henfflin-Werkstatt mit 109 Illustrationen ausstatten, die im Unterschied zum "Lohengrin" allerdings kaum Kämpfe zeigen. Stattdessen überwiegen höfische Szenen, die den rechten Umgang der Personen miteinander – insbesonderer den Umgang der Geschlechter untereinander – zum Thema haben. Und natürlich werden auch die märchenhaften Motive des Texts – wie die Erlösung Angelburgs – in Bilder umgesetzt. Die Handschrift, die sich zunächst in der älteren Schloßbibliothek und dann in der Bibliothek der Heiliggeistkirche befunden hat (s.o.), erfreute sich anscheinend großer Beliebtheit. Die Griffspuren, welche zahlreiche Benutzer der vergangenen 500 Jahre hinterlassen haben, sind noch heute deutlich an Vorder- und Fußschnitt des Manuskripts zu erkennen.

Literatur

© Ulrike Spyra, Maria Effinger, Universitätsbibliothek Heidelberg, 9/2008