Probat um est.
Das kam ihr gelegen; das gab ihr einen Anknüpfungs-
punkt, direkt ans ihr Ziel los zu gehen.
„Aber heule, Christoph, wirst du doch nicht verlangen,
daß wir zu Hause bleiben? — Ich habe es der Marie, dem
Gleichen und der Frau Schulzen draußen in Bergdorf ver-
sprochen, sie heute zum -Vogelschießen zu besuchen, und sie
würden's übel nehmen, wenn ich nicht Wort hielte." —
„Aber ich," begann Christoph, „habe dem Herrn Bür-
germeister versprochen, ihm heut noch die Stiefeln fertig zu
machen, und wir würden seine und seiner Verwandten Kund-
schaft verlieren, wenn ich ihn vergeblich warten ließe. Und ich
fürchte seine rothe Nase, die im Zorne noch mehr erglüht." —
„Freilich, Du bist immer so unterwürfig gegen die gro-
ßen Herren, Christoph, und thust ihnen Alles zu Gefallen;
aber gegen dein Weib, gegen die arme Susanne"-....
Ein heftiges Schluchzen unterbrach ihre Rede. Sie setzte
sich auf eine Bank, drückte die Hände vor die Augen und weinte.
Das war für den Christoph recht traurig anzusehn und
er wurde ganz weich; er mußte sich gestehen, daß er die
zornerglühte Nase des Bürgermeisters anzusehn eher ertragen
könne, als die Thränen in den Augen seines Weibes, das
er trotz alledem recht herzlich lieb hatte.
„Nun, sei nur ruhig, Susanne, wir werden ja sehen." —
Und sie ward ruhig, vollendete ihre Haartour und ging auf
ihre Kammer hinauf, um ihren Anzug zu ordnen. — Ter kluge
Meister kratzte sich hinter den Ohren, er war in peinlicher Ver-
legenheit. Schlug er ihr s ab, dann hatte er die ganze Woche
ein schmollendes Gesicht mit sauren Mienen um sich, einen un-
163
freundlichen Poltergeist; — gab er nach, dann hatte er den
Unwillen seines hohenKundenzu fürchten und außerdem, mußte
er sich gestehen, beweise er sich als ein schwacher Mann, der nie
seiner Frau gegeniiber eine Autorität haben werde und diese
kostspieligen und ihm langweiligen Sonntagsbelustignngen wür-
den nie ein Ende nehmen. — Da kam auch noch sein kleiner
Bube, der Hans, hereingetrollt, schon ganz im Feierkleide, stellte
sich neben den sinnenden Papa und lallte allerhand schöne Dinge
von dem Vogelschießen in Bergdorf, und heulte und jammerte
alsdann, als der Papa nichts davon wissen wollte. Dieser
Hans war unstreitig von Susannen als Parlamentär abge-
schickt, daß er des Papas Herz vollends gründlich erweiche. —
Da saß er, der gute Meister Staps auf seinem Schemel
und wußte sich keinen Rath. Sein Weib und sein Bube
Opposition machend gegen seine Autorität; diese beiden In-
dividuen die Majorität — und doch soll's auch in der Fa-
milie heißen: Autorität, nicht Majorität.
Indessen war Susanne wieder herabgekommen, stellte
dem Meister frisches Waschwasser hin, legte ihm Handtuch
und Kamm daneben und sah ihn fragend an. Der aber
krabbelte sich noch immer unschlüssig hinter den Ohren.
„So mach' doch, lieber Christoph; sonst wird's so spät
und lvir kommen gerade in die größte Mittagshitze. Soll
ich Dir den grauen oder den schwarzen Hut holen?"
Meister Staps dachte in sich hinein: „Ei, ich wollte, daß
? Dich der Teufel holte!" — Aber das war ihm doch gar nicht
so ernst gemeint. Er sah indessen ein, daß hier nicht lange
zu wählen sei. Er faßte einen heroischen Entschluß; sein
Feldzugsplan gegen sein vergnügungssüchtiges Weib war ent-
worfen — heute oder niemals wirst Du siegen, dachte er.
Er schleuderte Pfrieme und Knieriemen in die Ecke, trat
auf Susanne zu und sprach mit etwas schadenfroher Miene:
„Gut, wir werden gehen. Aber Du mußt es auf Dich neh-
men, den Bürgermeister wegen der Verzögerung zu beschwich-
tigen und nöthigenfalls seinem Zorne Rede stehen."
„Laß mich nur machen," erwiderte Susanne mit erhei-
tertem Gesicht, „ich will's dem Herrn schon deutlich machen,
daß wir armen Leute auch unfern Sonntag haben wollen."
Eine halbe Stunde später wallten sie die lange Pappel-
allce hinaus nach Bergdorf, den kleinen Hans in einem Kinder-
wagen hinter sich herziehend; er schon vor Hitze keuchend, den
braunen Sonntagsrock auf dem Arm und den grauen Hut auf
seinen erhobenen Stock gestülpt; — sie, obwohl auch nicht
ohne Schweiß, aber wie ein junges hitziges Pferd immer in
einen raschern Trab gerathend, so daß Meister Staps gar
nicht nach konnte und immer um einen Schritt zurück war.
HI.
Das Vogelschießen in Bergdorf war ein gar lustiges Fest,
— den Dirnen der Umgegend eine willkommene Gelegenheit,
alle verhaltene Tanzlust los zu lassen, den Burschen eine un- 1
crschöpfliche Quelle, allen seit Wochen aufgesparten Durst an
einem Tage zu vergeuden. Doch auch die älteren Menschen-
! kinder gingen hier nicht leer aus. Tie jüngern Weiber durften
21«
Das kam ihr gelegen; das gab ihr einen Anknüpfungs-
punkt, direkt ans ihr Ziel los zu gehen.
„Aber heule, Christoph, wirst du doch nicht verlangen,
daß wir zu Hause bleiben? — Ich habe es der Marie, dem
Gleichen und der Frau Schulzen draußen in Bergdorf ver-
sprochen, sie heute zum -Vogelschießen zu besuchen, und sie
würden's übel nehmen, wenn ich nicht Wort hielte." —
„Aber ich," begann Christoph, „habe dem Herrn Bür-
germeister versprochen, ihm heut noch die Stiefeln fertig zu
machen, und wir würden seine und seiner Verwandten Kund-
schaft verlieren, wenn ich ihn vergeblich warten ließe. Und ich
fürchte seine rothe Nase, die im Zorne noch mehr erglüht." —
„Freilich, Du bist immer so unterwürfig gegen die gro-
ßen Herren, Christoph, und thust ihnen Alles zu Gefallen;
aber gegen dein Weib, gegen die arme Susanne"-....
Ein heftiges Schluchzen unterbrach ihre Rede. Sie setzte
sich auf eine Bank, drückte die Hände vor die Augen und weinte.
Das war für den Christoph recht traurig anzusehn und
er wurde ganz weich; er mußte sich gestehen, daß er die
zornerglühte Nase des Bürgermeisters anzusehn eher ertragen
könne, als die Thränen in den Augen seines Weibes, das
er trotz alledem recht herzlich lieb hatte.
„Nun, sei nur ruhig, Susanne, wir werden ja sehen." —
Und sie ward ruhig, vollendete ihre Haartour und ging auf
ihre Kammer hinauf, um ihren Anzug zu ordnen. — Ter kluge
Meister kratzte sich hinter den Ohren, er war in peinlicher Ver-
legenheit. Schlug er ihr s ab, dann hatte er die ganze Woche
ein schmollendes Gesicht mit sauren Mienen um sich, einen un-
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freundlichen Poltergeist; — gab er nach, dann hatte er den
Unwillen seines hohenKundenzu fürchten und außerdem, mußte
er sich gestehen, beweise er sich als ein schwacher Mann, der nie
seiner Frau gegeniiber eine Autorität haben werde und diese
kostspieligen und ihm langweiligen Sonntagsbelustignngen wür-
den nie ein Ende nehmen. — Da kam auch noch sein kleiner
Bube, der Hans, hereingetrollt, schon ganz im Feierkleide, stellte
sich neben den sinnenden Papa und lallte allerhand schöne Dinge
von dem Vogelschießen in Bergdorf, und heulte und jammerte
alsdann, als der Papa nichts davon wissen wollte. Dieser
Hans war unstreitig von Susannen als Parlamentär abge-
schickt, daß er des Papas Herz vollends gründlich erweiche. —
Da saß er, der gute Meister Staps auf seinem Schemel
und wußte sich keinen Rath. Sein Weib und sein Bube
Opposition machend gegen seine Autorität; diese beiden In-
dividuen die Majorität — und doch soll's auch in der Fa-
milie heißen: Autorität, nicht Majorität.
Indessen war Susanne wieder herabgekommen, stellte
dem Meister frisches Waschwasser hin, legte ihm Handtuch
und Kamm daneben und sah ihn fragend an. Der aber
krabbelte sich noch immer unschlüssig hinter den Ohren.
„So mach' doch, lieber Christoph; sonst wird's so spät
und lvir kommen gerade in die größte Mittagshitze. Soll
ich Dir den grauen oder den schwarzen Hut holen?"
Meister Staps dachte in sich hinein: „Ei, ich wollte, daß
? Dich der Teufel holte!" — Aber das war ihm doch gar nicht
so ernst gemeint. Er sah indessen ein, daß hier nicht lange
zu wählen sei. Er faßte einen heroischen Entschluß; sein
Feldzugsplan gegen sein vergnügungssüchtiges Weib war ent-
worfen — heute oder niemals wirst Du siegen, dachte er.
Er schleuderte Pfrieme und Knieriemen in die Ecke, trat
auf Susanne zu und sprach mit etwas schadenfroher Miene:
„Gut, wir werden gehen. Aber Du mußt es auf Dich neh-
men, den Bürgermeister wegen der Verzögerung zu beschwich-
tigen und nöthigenfalls seinem Zorne Rede stehen."
„Laß mich nur machen," erwiderte Susanne mit erhei-
tertem Gesicht, „ich will's dem Herrn schon deutlich machen,
daß wir armen Leute auch unfern Sonntag haben wollen."
Eine halbe Stunde später wallten sie die lange Pappel-
allce hinaus nach Bergdorf, den kleinen Hans in einem Kinder-
wagen hinter sich herziehend; er schon vor Hitze keuchend, den
braunen Sonntagsrock auf dem Arm und den grauen Hut auf
seinen erhobenen Stock gestülpt; — sie, obwohl auch nicht
ohne Schweiß, aber wie ein junges hitziges Pferd immer in
einen raschern Trab gerathend, so daß Meister Staps gar
nicht nach konnte und immer um einen Schritt zurück war.
HI.
Das Vogelschießen in Bergdorf war ein gar lustiges Fest,
— den Dirnen der Umgegend eine willkommene Gelegenheit,
alle verhaltene Tanzlust los zu lassen, den Burschen eine un- 1
crschöpfliche Quelle, allen seit Wochen aufgesparten Durst an
einem Tage zu vergeuden. Doch auch die älteren Menschen-
! kinder gingen hier nicht leer aus. Tie jüngern Weiber durften
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Probatum est"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 18.1853, Nr. 429, S. 163
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg