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42

Ein Wunder.

Er hatte sich in sein Schicksal gefunden und begegnete den
Sticheleien mit Resignation. Wer den Gerichtsschreiber so sah,
der hätte fast meinen müssen, daß der kleine Mann mit seiner
Körperlänge zufrieden sei und daß er die höher gewachsenen
Erdenbürger nicht im Geringsten beneidete. Im Stillen aber
grämte sich Knopf oft genug, und zumal des Nachts vor dem
Einschlafen malte er es sich recht deutlich aus: wie schön es
doch sein müßte, wenn er nur lumpige zehn bis zwölf Zoll
größer wäre.

Zu verwundern war es nun gerade nicht, daß stets zu
dieser Frist Knopf aus solche Gedanken kam, denn sein Bett
bot ihm dazu hinreichende Veranlassung. Von einer alten Tante
hatte er nämlich bei Gelegenheit seiner Verheirathung als Hoch-
zeitsgeschenk zwei mächtige Bettstellen, ans massivem Eichenholze
gearbeitet, erhalten und erinnerten diese beiden Ungethümer leb-
haft genug an die Schlafbehältnisse der kräftigen Ritter aus
dem Mittelalter, wie man sie jetzt noch hier und da in alten
Schlössern und Burgen als Raritäten zu schauen bekommt.

Wenn also der kleine Gerichtsschreiber Knopf des Abends
in sein gewaltiges Bett kletterte, so mußte er ja immer und
immer wieder an seine mangelhafte Gestalt erinnert werden.
Wie oft, um seine in derselben Kammer schlafende Ehegattin
nicht zu stören, kroch Knopf deßhalb mit dem Kopf unter seine
Bettdecke, um dem gepreßten Herzen durch einige tiefe Seufzer
Erleichterung zu verschaffen. Es dauerte jedoch gewöhnlich nicht
lange, so nahm sich der mitleidige Gott Morpheus des Acrmsten
an und führte ihn sanft hinüber in das Reich der Träume
und des Vergessens.

Eines Abends war Knopf länger als gewöhnlich in einer
heiteren Gesellschaft gewesen. Er wäre sogar vielleicht noch
länger dort geblieben, wenn einige Witzbolde, durch den Wein
noch ausgelassener gemacht, sich nicht schließlich den kleinen Ge-
richtsschreibcr als Ziel ihrer Spöttereien erwählt hätten. An-
fangs ertrug Knopf die Witzeleien mit größter Ruhe, als aber,
nachdem er gebeten, ihn ungeschoren zu lassen, die Spottreden
nur immer ärger wurden, stand er plötzlich auf, nahm seinen
Hut und ging grollend nach Hause.

Seine Fra», welche ruhig schlief, weckte er nicht, denn er
wollte seinen Kummer lieber allein tragen. Dafür aber bekam
die stumme Vertraute seiner Leiden, die Bettdecke, heute so viel
Seufzer anzuhören, wie seit langer Zeit nicht.

„Wie schön muß es doch gewesen sein, als es noch Zau-
berer und mildthätige Feen gab!" seufzte Knopf still vor sich
hi». „Wahrhaftig, zehn Jahre meines Lebens würde ich ohne
Bedenken darum gegeben haben, wenn mir solch' ein übernatür-
liches Wesen dafür zu einer stattlichen Körperlänge vcrholfen
hätte!" Unter solchen Gedanken schlief endlich der Gerichts-
schrciber ein und es dauerte gar nicht lange, so führte ihn der
Traumgott in das vorhin ersehnte Reich des Zaubers und der
Wunder. Knopf sah sich an de» Hof einer Feenkönigi» ver-
setzt. Die strahlende Fürstin saß auf einem goldenen Throne
und Hunderte von Bittstellern drängten sich heran, um ihre
Gesuche der Gütigen vorzutragen. Der bat um Reichthum,
jener um Schönheit, dort erflehte einer den Besitz der Gelieb-

ten, da bat sich wieder ein anderer einen Ordensstern als höch-
stes Ziel seiner Wünsche aus. Alle aber erlangten von der
Feenkönigin die Erfüllung ihrer Bitten.

Jetzt kam auch der Gerichtsschreiber an die Reihe.

„Hohe Fürstin," begann Knopf, sich am Strahlenthrone
auf die Kniee niederlafsend, „erhabene Königin! Ich verlange
nicht Reichthum, Glanz und Schönheit, nur um eine respektable
Körperlänge wollte ich ganz gehorsamst gebeten haben, damit
ich nicht ferner zum Gespött der Welt herumlaufen muß."

„Deine Bitte sei Dir gewährt," lispelte die Königin und
berührte mit ihrem Zauberstab leise den Gerichtsschreiber.

Als sich dieser aber jetzt erhob, bemerkte er mit Entzücken,
daß er gerade so lang war, wie die andern Bittsteller und daß
sein Frack und seine Beinkleider ihm viel zu kurz und zu enge
geworden ivaren.

„Dank, tausend Tank!" jubelte Knopf und stürmte fort.
Als er jedoch beim Thürhüter des Feenpalastes vorbei eilen
wollte, hielt ihm jener seinen langen Spieß entgegen.

„Halt!" donnerte der grobe Kerl den Gerichtsschreiber
an. „Glaubt Er denn etwa, Unsereiner stehe hier für die lange
Weite und man habe keinen Durst? Heraus mit einem ordeul
lichen Trinkgeld, oder ich breche Ihm das Genick!"

„Bitte tausend Mal um Entschuldigung," stotterte zum
Tode erschreckt der Gerichtsschreiber und überreichte dem Thür-
hüter gleich sein ganzes Geldtäschchen.

„Her damit!" schrie der Grobian. „Aber lass' Er erst
sehen, wie viel darin ist. Wie, was? Achtzehn, dreißig, vierzig
— sünfundvierzig Kreuzer! Noch nicht einmal ein Gulden! Und
das wagt er einem königlichen Feenschloßthürhüter anzubieten?"

Knopf wollte sich entschuldigen, daß er just nicht mehr !
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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Ein Wunder"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Oberländer, Adolf
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Mann <Motiv>
Wunsch
Gerichtsschreiber
Bitte
Fee
Zauberkunst
Körpergröße
Karikatur
Krone
Traum
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 53.1870, Nr. 1308, S. 42
 
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