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Unter dem Regenschirm.
Ansichten und Wünsche kennst Du nun, Theodor, es wird mir
lieb sein, wenn Du auf sic Rücksicht nehmen willst."
Damit ging er hinaus, und kaum hatte er das Zimmer
j verlassen, als der junge Herr von seinem Sitz aufsprang und
i nun ebenfalls mit großen Schritten das Zimmer durchmaß.
„Der Teufel hole diese Sonntagnachmittage!" brummte
er ärgerlich. „Immer und immer wieder kommt er auf dieses
Kapitel, und ich darf nicht wagen, ihm die Wahrheit zu sagen!
Wenn ich es thäte, würde er sofort und ohne lange zu Prüfen,
Front machen, und dann wäre Alles am Ende. Im Wohl-
wollen, wie in der Abneigung ist er ein Starrkopf, die Ansichten
Anderer läßt er nicht gelten, seine Anschauung ist stets die
allein richtige!"
Er trat an das Fenster und blickte eine Weile auf die
belebte Straße hinunter; die Sonne warf einen falben Licht-
; schein in das Zimmer.
„Ach was," fuhr er nach einer Pause in seinem Selbst-
gespräch fort, „was hilft da alles Grübeln und Pläneschmieden!
Der passive Widerstand muß einstweilen fortgesetzt werden, das
Andere findet sich dann später. Ich will einen Spaziergang
machen, vielleicht finde ich meine gute Laune wieder. Ein
Gewitter scheint heraufzuziehen, na, mir auch recht, etwas
Kühlung wäre in dieser Hundstagshitze erwünscht."
Er trat vor den Spiegel, um seine Toilette zu ordnen,
und nachdem er dieses Geschäft versehen hatte, nahm er seinen
Hut und einen Regenschirm, um den beabsichtigten Spaziergang
anzutreten. —
In derselben Stunde saß in dem sehr geschmackvoll und
elegant eingerichteten Zimmer eines anderen Hauses ein junges,
hübsches Mädchen vor einem zierlichen Schreibtische.
Vor ihr lag ein offener Brief, und es konnte durchaus
keinem Zweifel unterworfen sein, daß die junge Dame beab-
sichtigte, diesen Brief zu beantworten, hatte sie doch schon eine
ganze Zeile niedergeschrieben, dann aber unentschlossen die Feder
wieder hingelegt.
„Was soll ich darauf antworten?" sagte sie rathlos.
„Hatte er den Muth mir seine Liebe zu gestehen, so müßte er
doch auch jetzt den Muth besitzen, die Hindernisse und Schwierig-
keiten zu besiegen."
Sic nahm den Brief und während ihre schönen Augen ans
den Zeilen ruhten, entrang sich ihren Lippen ein leiser Seufzer.
„Herzinnig geliebte Agathe!" las sie mit gedämpfter Stimme.
„Wie gerne möchte ich Dir die frohe Nachricht senden, daß
uns die Erfüllung unseres so oft ausgesprochenen Wunsches
endlich nahe sei! Ich kann es nicht, süßes Lieb, und ich
fürchte, wir werden uns wohl noch länger gedulden müssen.
Mein Vater hält mit zäher Hartnäckigkeit an seinem Projekt
fest; entschiedener Widerspruch würde seinen Starrsinn heraus-
sordern und dann wäre Alles verloren. Er will, daß ich mit
der Dame mich verlobe, die er für mich gewählt hat. Seiner
Philosophie über diesen tief eingewurzelten Entschluß entgegen
zu treten, hieße leeres Stroh dreschen. Was er will, das
steht unerschütterlich fest, und einen anderen Willen duldet er
neben dem scinigen nicht. Ein Anderes wäre es, wenn ein
glücklicher Zufall Dich auf neutralem Boden mit ihm zusammen
führte und Papa Dich kennen lernte. Ich hege die zuversicht-
liche Ueberzcugung, daß er Dich sofort liebgewinnen würde,
dann aber wäre der Weg zu uuscrm heißersehnten Ziele ge-
ebnet. Diesen Zufall herbeizuführen, nmß unsere erste Aufgabe
sein; ich sinne Tag und Nacht darüber nach und weiß nicht,
wie ich es ermöglichen soll. Die Schwierigkeit liegt eben darin,
daß Papa die Absichtlichkeit des scheinbaren Zufalls nicht ahnen
darf. Ich werde weiter darüber Nachdenken und hoffentlich
bald einen guten Gedanken finden, den ich Dir dann sofort
mittheile. Du hast den Wunsch ausgedrückt, ich möge bei
Deinen Eltern um Deine Hand werben; Du willst mich dazu
ermuthigen durch die Versicherung, daß Deine gute Mutter
unser süßes Geheimniß schon kenne und mit herzlicher Freude
ihre Einwilligung gebe. Mein liebes, süßes Herz, was soll
ich Deinem Vater antworten, wenn er mich fragt, ob mein
Papa mit meiner Werbung einverstanden sei? Und was soll
ich meinem Papa sagen, wenn ich das Jawort Deiner Eltern
habe? Soll und darf ich es auf einen Bruch ankommen lassen?
Er hat auf Gottes weiter Erde nur mich, und ich habe ihn
herzlich lieb, trotz seiner mitunter verschrobenen Ansichten.
Und Du wirst ihn auch liebgewinnen, Agathe, den alten
Mann mit dem Regenschirm, wie Du ihn scherzweise nennst.
Ja, wenn cs nur seine einzige, oder seine schlimmste - Eigenheit
wäre, daß er nicht ohne Regenschirm ausgehen kann! Und
abgesehen von diesen Eigenheiten und Ansichten ist er ein edler,
herzensguter Mensch, d'rum bitte ich Dich noch einmal, habe
Geduld, wie werden unser Ziel erreichen. Vielleicht läßt es
sich arrangiren, daß wir auf einer Landparthie so ganz zufällig
zusammentreffcn; Ihr macht ja öfter einen solchen Ausflug.
Aber es müßte an einem Sonntage sein, da Papa an den
Wochentagen gebunden ist."' (Fortsetzung folgt.)
R ä t h s c l h a f t c Inschrift.
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Unter dem Regenschirm.
Ansichten und Wünsche kennst Du nun, Theodor, es wird mir
lieb sein, wenn Du auf sic Rücksicht nehmen willst."
Damit ging er hinaus, und kaum hatte er das Zimmer
j verlassen, als der junge Herr von seinem Sitz aufsprang und
i nun ebenfalls mit großen Schritten das Zimmer durchmaß.
„Der Teufel hole diese Sonntagnachmittage!" brummte
er ärgerlich. „Immer und immer wieder kommt er auf dieses
Kapitel, und ich darf nicht wagen, ihm die Wahrheit zu sagen!
Wenn ich es thäte, würde er sofort und ohne lange zu Prüfen,
Front machen, und dann wäre Alles am Ende. Im Wohl-
wollen, wie in der Abneigung ist er ein Starrkopf, die Ansichten
Anderer läßt er nicht gelten, seine Anschauung ist stets die
allein richtige!"
Er trat an das Fenster und blickte eine Weile auf die
belebte Straße hinunter; die Sonne warf einen falben Licht-
; schein in das Zimmer.
„Ach was," fuhr er nach einer Pause in seinem Selbst-
gespräch fort, „was hilft da alles Grübeln und Pläneschmieden!
Der passive Widerstand muß einstweilen fortgesetzt werden, das
Andere findet sich dann später. Ich will einen Spaziergang
machen, vielleicht finde ich meine gute Laune wieder. Ein
Gewitter scheint heraufzuziehen, na, mir auch recht, etwas
Kühlung wäre in dieser Hundstagshitze erwünscht."
Er trat vor den Spiegel, um seine Toilette zu ordnen,
und nachdem er dieses Geschäft versehen hatte, nahm er seinen
Hut und einen Regenschirm, um den beabsichtigten Spaziergang
anzutreten. —
In derselben Stunde saß in dem sehr geschmackvoll und
elegant eingerichteten Zimmer eines anderen Hauses ein junges,
hübsches Mädchen vor einem zierlichen Schreibtische.
Vor ihr lag ein offener Brief, und es konnte durchaus
keinem Zweifel unterworfen sein, daß die junge Dame beab-
sichtigte, diesen Brief zu beantworten, hatte sie doch schon eine
ganze Zeile niedergeschrieben, dann aber unentschlossen die Feder
wieder hingelegt.
„Was soll ich darauf antworten?" sagte sie rathlos.
„Hatte er den Muth mir seine Liebe zu gestehen, so müßte er
doch auch jetzt den Muth besitzen, die Hindernisse und Schwierig-
keiten zu besiegen."
Sic nahm den Brief und während ihre schönen Augen ans
den Zeilen ruhten, entrang sich ihren Lippen ein leiser Seufzer.
„Herzinnig geliebte Agathe!" las sie mit gedämpfter Stimme.
„Wie gerne möchte ich Dir die frohe Nachricht senden, daß
uns die Erfüllung unseres so oft ausgesprochenen Wunsches
endlich nahe sei! Ich kann es nicht, süßes Lieb, und ich
fürchte, wir werden uns wohl noch länger gedulden müssen.
Mein Vater hält mit zäher Hartnäckigkeit an seinem Projekt
fest; entschiedener Widerspruch würde seinen Starrsinn heraus-
sordern und dann wäre Alles verloren. Er will, daß ich mit
der Dame mich verlobe, die er für mich gewählt hat. Seiner
Philosophie über diesen tief eingewurzelten Entschluß entgegen
zu treten, hieße leeres Stroh dreschen. Was er will, das
steht unerschütterlich fest, und einen anderen Willen duldet er
neben dem scinigen nicht. Ein Anderes wäre es, wenn ein
glücklicher Zufall Dich auf neutralem Boden mit ihm zusammen
führte und Papa Dich kennen lernte. Ich hege die zuversicht-
liche Ueberzcugung, daß er Dich sofort liebgewinnen würde,
dann aber wäre der Weg zu uuscrm heißersehnten Ziele ge-
ebnet. Diesen Zufall herbeizuführen, nmß unsere erste Aufgabe
sein; ich sinne Tag und Nacht darüber nach und weiß nicht,
wie ich es ermöglichen soll. Die Schwierigkeit liegt eben darin,
daß Papa die Absichtlichkeit des scheinbaren Zufalls nicht ahnen
darf. Ich werde weiter darüber Nachdenken und hoffentlich
bald einen guten Gedanken finden, den ich Dir dann sofort
mittheile. Du hast den Wunsch ausgedrückt, ich möge bei
Deinen Eltern um Deine Hand werben; Du willst mich dazu
ermuthigen durch die Versicherung, daß Deine gute Mutter
unser süßes Geheimniß schon kenne und mit herzlicher Freude
ihre Einwilligung gebe. Mein liebes, süßes Herz, was soll
ich Deinem Vater antworten, wenn er mich fragt, ob mein
Papa mit meiner Werbung einverstanden sei? Und was soll
ich meinem Papa sagen, wenn ich das Jawort Deiner Eltern
habe? Soll und darf ich es auf einen Bruch ankommen lassen?
Er hat auf Gottes weiter Erde nur mich, und ich habe ihn
herzlich lieb, trotz seiner mitunter verschrobenen Ansichten.
Und Du wirst ihn auch liebgewinnen, Agathe, den alten
Mann mit dem Regenschirm, wie Du ihn scherzweise nennst.
Ja, wenn cs nur seine einzige, oder seine schlimmste - Eigenheit
wäre, daß er nicht ohne Regenschirm ausgehen kann! Und
abgesehen von diesen Eigenheiten und Ansichten ist er ein edler,
herzensguter Mensch, d'rum bitte ich Dich noch einmal, habe
Geduld, wie werden unser Ziel erreichen. Vielleicht läßt es
sich arrangiren, daß wir auf einer Landparthie so ganz zufällig
zusammentreffcn; Ihr macht ja öfter einen solchen Ausflug.
Aber es müßte an einem Sonntage sein, da Papa an den
Wochentagen gebunden ist."' (Fortsetzung folgt.)
R ä t h s c l h a f t c Inschrift.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Räthselhafte Inschrift"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 60.1874, Nr. 1486, S. 11
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg