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Ein verfehlt
zu. „Schonen Sie die Wand nicht", sagte er. „Ich lasse
sie nächster Tage ausbessern. Machen Sie nur, daß nichts mehr
zu sehen ist!"
Daraus entfernte er sich und schloß die Thüre ab.
Kreiling arbeitete immer fort; die Thränen rannen ihm
dabei in zahlloser Menge an den Backen herunter; Schmerz und
Beschämung regten ihn derartig auf, daß seine Hände zitterten.
Er hörte vor der Thüre die helle Stimme Röschens, aber
er wagte nicht sie anzurufen. Er fühlte sich zu hart gedemüthigt;
er hätte gewünscht, daß er umsinken und sterben könne.
Mehrere Stunden waren verronnen. Große Haufen von
Kalkstücken lagen auf dem Fußboden, und von den Farben
war wenig mehr zu erblicken. Der Metzger trat wieder herein.
„Seh'n Sie", sagte er, „nun ist's bald gescheh'n."
Jener strengte sich auf das Aeußerste an. Aber plötzlich
wankte er auf der Leiter. Der Fleischer mußte ihn beim
Heruntersteigen unterstützen.
„Sie zittern ja?!" sagte er mitleidig.
Aber der arme Kreiling vermochte nicht zu antworten.
Mit todtenbleichem Gesichte starrte er nach seinem Gegner einen
Augenblick hin, dann sank er zu Boden.
Der Metzger eilte schnell zur Thüre und öffnete sie.
Röschen stand gerade vor derselben und erblickte nun den Ge-
liebten auf der Erde liegend.
Mit einem entsetzlichen Schrei stürzte sie zu ihm hin.
Der Unglückliche war auf dem Kalk gebettet, den Trümmern
seiner mühsamen Arbeit.
Es bedurfte für sie keiner Erklärung; sie verstand sogleich
was sich zugetragen hatte. Der Vater kehrte mit einem Glase
es Gemälde.
Wasser zurück, um das Antlitz des Kranken damit zu übergießen.
Röschen ließ es nicht zu; ruhig kniete sie neben ihm und hielt
seinen Kopf in ihren Armen, bis er wieder zur Besinnung kam.
Dann führte sie ihn langsam nach dem Wohnzimmer und ver-
riegelte es. Selbst der Mutter gestattete sie den Eintritt nicht.
Einige Stunden darauf, nachdem er einigermaßen sich
erholt, ging der Maler mit gesenktem Haupte hinweg. Röschen
wendete sich zu ihren häuslichen Arbeiten. Sie sprach nicht
von dem Vorfälle mit ihrer Mutter, sie war äußerst schweigsam
und ernst. Den Vater hatte die Folge seines Verfahrens gegen den
Maler einigermaßen verlegen gemacht. Es war ihm selbst sehr
unlieb, daß er die Erkrankung desselben veranlaßt hatte. Er
zeigte sich sehr zurückhaltend. Noch nie hatte solche Stille im
Hause des Fleischermeisters geherrscht, als an diesem Tage.
Vater und Tochter vermieden, mit einander zu sprechen.
Gleich am nächsten Morgen ließ er durch einen seiner Burschen
auskundschaften, ob der Maler im Schlosse au der Arbeit sich
befinde. Es beruhigte ihn, als er erfuhr, daß dies der Fall
sei, und er schickte sogleich nach dem Tüncher, um die beschä-
digte Stelle im Laden ausbessern zu lassen; cs sollte ihn
nichts mehr an die üble Angelegenheit erinnern.
Aber zwischen Vater und Tochter hatte es einen Riß
gegeben, und diesen konnten keine Bemühungen, weder des Vaters
noch der Mutter, ausbessern. Die frischen Farben waren von
Röschens Gesicht geschwunden; sic lachte und sang nicht mehr
und ihre Augen blickten müde in den Tag hinein. Sie vermied
es, wenn es irgend anging, mit jemand zu reden; am aller-
wenigsten mochte sie mit dem Vater sich unterhalten.
Dieser ließ sie eine Zeit lang gewähren. Er beobachtete
sie aber scharf und spähte danach, ob sie noch Zusammenkünfte
mit dem Maler habe. Jedoch nicht die geringste Spur war
mehr zu entdecken. Sie entfernte sich nicht aus dem Hause;
alle Vorstellungen der Mutter halfen nichts, sie erschrack förmlich
vor der Zumuthung, nach dem Garten zu gehen. Und die
Gestalt des Malers war und blieb verschwunden. Nicht ein
einziges Mal mehr flatterten die langen Haare in der Schloßgasse.
„Es wird sich schon mit der Zeit geben", tröstete die
Mutter den höchst mißmuthigen Gatten, dem das Aufblühen
seiner Tochter bisher zu nicht geringem Stolze gereicht hatte.
Aber es gab sich nicht mit der Zeit. Es wurde im
Gcgentheil nur noch schlimmer.
„Sprich doch einmal mit ihr, ob sie mit dem Maler
zusammenkommen wolle", meinte er. „Vielleicht heitert es sic auf."
Die Mutter versuchte cs.
„Bist Du in der letzten Zeit manchmal dem Herrn Kreiling
begegnet?" fragte sie.
„Nein", antwortete Röschen ruhig.
* „Wie wäre es, wenn wir ihn wieder einmal in den
Garten einlüden?"
„Es geht nicht an", erwiderte jene, eifrig weiter nähend.
„Warum denn nicht?"
„Wir haben Abschied von einander genommen."
„So, so, Abschied habt Ihr genommen?"
Röschen legte ihre Arbeit weg.
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Ein verfehlt
zu. „Schonen Sie die Wand nicht", sagte er. „Ich lasse
sie nächster Tage ausbessern. Machen Sie nur, daß nichts mehr
zu sehen ist!"
Daraus entfernte er sich und schloß die Thüre ab.
Kreiling arbeitete immer fort; die Thränen rannen ihm
dabei in zahlloser Menge an den Backen herunter; Schmerz und
Beschämung regten ihn derartig auf, daß seine Hände zitterten.
Er hörte vor der Thüre die helle Stimme Röschens, aber
er wagte nicht sie anzurufen. Er fühlte sich zu hart gedemüthigt;
er hätte gewünscht, daß er umsinken und sterben könne.
Mehrere Stunden waren verronnen. Große Haufen von
Kalkstücken lagen auf dem Fußboden, und von den Farben
war wenig mehr zu erblicken. Der Metzger trat wieder herein.
„Seh'n Sie", sagte er, „nun ist's bald gescheh'n."
Jener strengte sich auf das Aeußerste an. Aber plötzlich
wankte er auf der Leiter. Der Fleischer mußte ihn beim
Heruntersteigen unterstützen.
„Sie zittern ja?!" sagte er mitleidig.
Aber der arme Kreiling vermochte nicht zu antworten.
Mit todtenbleichem Gesichte starrte er nach seinem Gegner einen
Augenblick hin, dann sank er zu Boden.
Der Metzger eilte schnell zur Thüre und öffnete sie.
Röschen stand gerade vor derselben und erblickte nun den Ge-
liebten auf der Erde liegend.
Mit einem entsetzlichen Schrei stürzte sie zu ihm hin.
Der Unglückliche war auf dem Kalk gebettet, den Trümmern
seiner mühsamen Arbeit.
Es bedurfte für sie keiner Erklärung; sie verstand sogleich
was sich zugetragen hatte. Der Vater kehrte mit einem Glase
es Gemälde.
Wasser zurück, um das Antlitz des Kranken damit zu übergießen.
Röschen ließ es nicht zu; ruhig kniete sie neben ihm und hielt
seinen Kopf in ihren Armen, bis er wieder zur Besinnung kam.
Dann führte sie ihn langsam nach dem Wohnzimmer und ver-
riegelte es. Selbst der Mutter gestattete sie den Eintritt nicht.
Einige Stunden darauf, nachdem er einigermaßen sich
erholt, ging der Maler mit gesenktem Haupte hinweg. Röschen
wendete sich zu ihren häuslichen Arbeiten. Sie sprach nicht
von dem Vorfälle mit ihrer Mutter, sie war äußerst schweigsam
und ernst. Den Vater hatte die Folge seines Verfahrens gegen den
Maler einigermaßen verlegen gemacht. Es war ihm selbst sehr
unlieb, daß er die Erkrankung desselben veranlaßt hatte. Er
zeigte sich sehr zurückhaltend. Noch nie hatte solche Stille im
Hause des Fleischermeisters geherrscht, als an diesem Tage.
Vater und Tochter vermieden, mit einander zu sprechen.
Gleich am nächsten Morgen ließ er durch einen seiner Burschen
auskundschaften, ob der Maler im Schlosse au der Arbeit sich
befinde. Es beruhigte ihn, als er erfuhr, daß dies der Fall
sei, und er schickte sogleich nach dem Tüncher, um die beschä-
digte Stelle im Laden ausbessern zu lassen; cs sollte ihn
nichts mehr an die üble Angelegenheit erinnern.
Aber zwischen Vater und Tochter hatte es einen Riß
gegeben, und diesen konnten keine Bemühungen, weder des Vaters
noch der Mutter, ausbessern. Die frischen Farben waren von
Röschens Gesicht geschwunden; sic lachte und sang nicht mehr
und ihre Augen blickten müde in den Tag hinein. Sie vermied
es, wenn es irgend anging, mit jemand zu reden; am aller-
wenigsten mochte sie mit dem Vater sich unterhalten.
Dieser ließ sie eine Zeit lang gewähren. Er beobachtete
sie aber scharf und spähte danach, ob sie noch Zusammenkünfte
mit dem Maler habe. Jedoch nicht die geringste Spur war
mehr zu entdecken. Sie entfernte sich nicht aus dem Hause;
alle Vorstellungen der Mutter halfen nichts, sie erschrack förmlich
vor der Zumuthung, nach dem Garten zu gehen. Und die
Gestalt des Malers war und blieb verschwunden. Nicht ein
einziges Mal mehr flatterten die langen Haare in der Schloßgasse.
„Es wird sich schon mit der Zeit geben", tröstete die
Mutter den höchst mißmuthigen Gatten, dem das Aufblühen
seiner Tochter bisher zu nicht geringem Stolze gereicht hatte.
Aber es gab sich nicht mit der Zeit. Es wurde im
Gcgentheil nur noch schlimmer.
„Sprich doch einmal mit ihr, ob sie mit dem Maler
zusammenkommen wolle", meinte er. „Vielleicht heitert es sic auf."
Die Mutter versuchte cs.
„Bist Du in der letzten Zeit manchmal dem Herrn Kreiling
begegnet?" fragte sie.
„Nein", antwortete Röschen ruhig.
* „Wie wäre es, wenn wir ihn wieder einmal in den
Garten einlüden?"
„Es geht nicht an", erwiderte jene, eifrig weiter nähend.
„Warum denn nicht?"
„Wir haben Abschied von einander genommen."
„So, so, Abschied habt Ihr genommen?"
Röschen legte ihre Arbeit weg.
10*
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Ein verfehltes Gemälde"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 60.1874, Nr. 1494, S. 75
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg