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Nur viel Farbe!
(Erzählung im Stile der modernen Scnsationsmalcrei.)
Beinschwarz lag die Nacht ans dem Ocean. Der Sturm-
wind peitschte die Wellen, von deren lasurgrünen Kämmen
cremserweißer Schaum thnrmhoch herniederstürzte.
Der Kapitän riß sein zinnoberrothes Tuch von den Lenden,
schlang es um den Hals und knüpfte sich am Bugspriet auf.
Die Matrosen standen regungslos — kaum kasslerbraun unter-
malten Gestalten ähnlich.
Leonore lehnte am Maste. Ihr Gewand hatte der Sturm
in schleierartige Fetzen zerrissen, so daß der Lichtocker ihres
Körpers überall durchbrach.
Robert hatte sie in Hamburg kennen gelernt — das war
vor Jahren. In rasender Leidenschaft zu ihr entbrannt, er-
mordete er Weib und Kinder, nahm Seedieuste und brachte es
zum Capitän der „Havanna".
Er liebte sie rasend, aber ihre Haare waren falsch —
gebrannte lerra di Siena — nicht Goldocker! Dies war nur
die Farbe des Chignons. Der Sturm dieser Nacht riß ihr
diesen vom Haupte; der Kapitän sah sich betrogen und entzog
sich durch den Strang den Qualen getäuschter Liebe.
Er hing schon eine Weile, als Leonore auf ihn zusprang,
mit ihren falschen, hochaufgesctzten Lichtern ähnlich blendenden
Zähnen den Strang zerbiß, und, den starren Leib Roberts krampf-
haft in ihre Arme faßend, sich in die Tiefe stürzte, welche mit
Krapplack, Umbra, Mumie und Bister untereinander ver-
schlimmert, tiefdunkel emporgähnte.
Die rabenschwarzen Haare Roberts, die zinnoberrothe Binde
und die blendend zinkweißcn Arme Levnorens gaben einen wirk-
samen Gegensatz. Der falsche Chignon war am Maste hängen
geblieben und flatterte, ein Heller Streifen auf der tiefen Tinte
des Hintergrundes, im Sturme — ein hübsches Motiv!
Einige Augenblicke später sank das Schiff und über ihm
schlugen die rasenden Wogen wie Terpentinöl gedankenlos zusammen.
Cs war lampenschwarze Mitternacht.
Da pochte es dreimal an die Pforte des Waldschlosscs
wie der Knöchel eines Gerippes. Der saftgrüne Vorhang sank
von selber herab — einer Ohnmacht nahe läutete der Graf
seiner Dienerschaft, die mit Lichtern eintrat.
Der Doctor fand keinen Grund zur Trepanation; er ver-
ordnete Salicylsäure und ging. —
Leonore und Robert schwammen noch immer — sie hatten
einen Balken ergriffen unb zeigten in verschlungener Haltung, von
dem Indigo der Wellen sich auf's schönste abhebend, jene Körper-
theile, mit denen die moderne Kunst die Vordergründe der
historischen Bilder auszufüllen pflegt. Reizender Ocker! Neapel-
gelb tauchte der Morgen empor! Der Tag mischte sein schönstes
Cadmium Nr. 1 mit Hellem Caput mortuum.
Der Graf konnte kaum die Rückkehr des Doktors erwarten.
„Sie sind's!" rief dieser, mit einem warmen Fleischtone
im Gesicht, wie ihn nur der Reflex einer indischrothen Renaissance-
Tapete im Morgenlicht hervorzubringen vermag. „Erzählen
Sie," rief der Graf ungeduldig, aber sein Geschlecht war alt
— ehe der Doktor seine Erzählung begann, knisterte es im
nußbraunen mit Asphalt lasirten Getäfel des Gemaches, die
Decke barst und das Ahnenschloß stürzte in sich zusammen, daß
die Staubwolken hoch nufwirbelten.
Roderich war etwa zwanzig Jahre älter, aber er war ein
Anhänger Schoppenhauers. In seinem Gesichte lagen tiefe
Schatten von grüner Erde und grünem Zinnober. Hie und da
schaute die bloße Leinwand durch — ein Zeichen tiefer Studien
und krankhaften Geniüthes. Vor ihm stand eine Flasche Neutral-
tinte. Roderich hielt sie für Alizarin — er trank die Flasche
leer — sein Athem wurde kürzer — er war nicht mehr.
Auf dem Kirchhofe herrschte ein düsterer neutraler Lokal-
ton. Da und dort blitzten einzelne indischgelb-venetianerweiße
Lichtstreifcn hervor; es waren die leichtmarkirten Conturen
gothischer Grabsteine — die Inschriften konnte man zum Glück
nicht lesen. Anna lag mit ihren Kindern im Familiengrab —
ein Lichtstrahl fiel von oben herein und beleuchtete die Kinds-
leichen magisch. Anna erwachte, der Helle scharfe Ton weckte
sie; — ohne sich um die Gesetze der Perspective zu kümmern.
Nur viel Farbe!
(Erzählung im Stile der modernen Scnsationsmalcrei.)
Beinschwarz lag die Nacht ans dem Ocean. Der Sturm-
wind peitschte die Wellen, von deren lasurgrünen Kämmen
cremserweißer Schaum thnrmhoch herniederstürzte.
Der Kapitän riß sein zinnoberrothes Tuch von den Lenden,
schlang es um den Hals und knüpfte sich am Bugspriet auf.
Die Matrosen standen regungslos — kaum kasslerbraun unter-
malten Gestalten ähnlich.
Leonore lehnte am Maste. Ihr Gewand hatte der Sturm
in schleierartige Fetzen zerrissen, so daß der Lichtocker ihres
Körpers überall durchbrach.
Robert hatte sie in Hamburg kennen gelernt — das war
vor Jahren. In rasender Leidenschaft zu ihr entbrannt, er-
mordete er Weib und Kinder, nahm Seedieuste und brachte es
zum Capitän der „Havanna".
Er liebte sie rasend, aber ihre Haare waren falsch —
gebrannte lerra di Siena — nicht Goldocker! Dies war nur
die Farbe des Chignons. Der Sturm dieser Nacht riß ihr
diesen vom Haupte; der Kapitän sah sich betrogen und entzog
sich durch den Strang den Qualen getäuschter Liebe.
Er hing schon eine Weile, als Leonore auf ihn zusprang,
mit ihren falschen, hochaufgesctzten Lichtern ähnlich blendenden
Zähnen den Strang zerbiß, und, den starren Leib Roberts krampf-
haft in ihre Arme faßend, sich in die Tiefe stürzte, welche mit
Krapplack, Umbra, Mumie und Bister untereinander ver-
schlimmert, tiefdunkel emporgähnte.
Die rabenschwarzen Haare Roberts, die zinnoberrothe Binde
und die blendend zinkweißcn Arme Levnorens gaben einen wirk-
samen Gegensatz. Der falsche Chignon war am Maste hängen
geblieben und flatterte, ein Heller Streifen auf der tiefen Tinte
des Hintergrundes, im Sturme — ein hübsches Motiv!
Einige Augenblicke später sank das Schiff und über ihm
schlugen die rasenden Wogen wie Terpentinöl gedankenlos zusammen.
Cs war lampenschwarze Mitternacht.
Da pochte es dreimal an die Pforte des Waldschlosscs
wie der Knöchel eines Gerippes. Der saftgrüne Vorhang sank
von selber herab — einer Ohnmacht nahe läutete der Graf
seiner Dienerschaft, die mit Lichtern eintrat.
Der Doctor fand keinen Grund zur Trepanation; er ver-
ordnete Salicylsäure und ging. —
Leonore und Robert schwammen noch immer — sie hatten
einen Balken ergriffen unb zeigten in verschlungener Haltung, von
dem Indigo der Wellen sich auf's schönste abhebend, jene Körper-
theile, mit denen die moderne Kunst die Vordergründe der
historischen Bilder auszufüllen pflegt. Reizender Ocker! Neapel-
gelb tauchte der Morgen empor! Der Tag mischte sein schönstes
Cadmium Nr. 1 mit Hellem Caput mortuum.
Der Graf konnte kaum die Rückkehr des Doktors erwarten.
„Sie sind's!" rief dieser, mit einem warmen Fleischtone
im Gesicht, wie ihn nur der Reflex einer indischrothen Renaissance-
Tapete im Morgenlicht hervorzubringen vermag. „Erzählen
Sie," rief der Graf ungeduldig, aber sein Geschlecht war alt
— ehe der Doktor seine Erzählung begann, knisterte es im
nußbraunen mit Asphalt lasirten Getäfel des Gemaches, die
Decke barst und das Ahnenschloß stürzte in sich zusammen, daß
die Staubwolken hoch nufwirbelten.
Roderich war etwa zwanzig Jahre älter, aber er war ein
Anhänger Schoppenhauers. In seinem Gesichte lagen tiefe
Schatten von grüner Erde und grünem Zinnober. Hie und da
schaute die bloße Leinwand durch — ein Zeichen tiefer Studien
und krankhaften Geniüthes. Vor ihm stand eine Flasche Neutral-
tinte. Roderich hielt sie für Alizarin — er trank die Flasche
leer — sein Athem wurde kürzer — er war nicht mehr.
Auf dem Kirchhofe herrschte ein düsterer neutraler Lokal-
ton. Da und dort blitzten einzelne indischgelb-venetianerweiße
Lichtstreifcn hervor; es waren die leichtmarkirten Conturen
gothischer Grabsteine — die Inschriften konnte man zum Glück
nicht lesen. Anna lag mit ihren Kindern im Familiengrab —
ein Lichtstrahl fiel von oben herein und beleuchtete die Kinds-
leichen magisch. Anna erwachte, der Helle scharfe Ton weckte
sie; — ohne sich um die Gesetze der Perspective zu kümmern.
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Nur viel Farbe!"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 68.1878, Nr. 1711, S. 150
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg