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Die beiden Landwehrmänner.
er Nachts in das Lager kam und die Bivouak-Fmer um ihn
kannten. konnte er nicht schlafen, während doch die Kameraden
Uln ihn her so laut schnarchten, daß es klang, wie ferner Kanonen-
donner. Er hatte allerlei sonderbare Vorstellungen, die ihm
>°nst fremd gewesen. Ihm träumte nämlich bei offenen Augen,
ei ln ein Schreiner, der seine Gesellen und Lehrburschen daheim
hatte lassen müssen, um in den Krieg zu ziehen, und sah sich
9an3 deutlich, wie er daheim mit dem Metermaß, dem Winkel
"ud dem Leintopf hantirt, hatte auch allerlei Handwerksausdrücke
Kopf, die er sonst nie gekannt, und machte sich Gedanken
darüber, ob wohl die Arbeiten daheim alle richtig von den
Gesellen besorgt würden.
Johann Grothe drehte sich auf dem Stroh herum, und da
^gann sein Herz, sich nach seinem Weibe und seinen Kindern zu
sehnen: er freute sich, sie bald wieder an sich drücken zu können,
^ud dabei ward ihm das herz müde und schlief mit ihm ein.
„Gott sei Dank!" sagte Johann Grothe einige Tage später,
»der Friede ist geschlossen und wir können heim!" Und so
Teschah es. In Compagnien und Bataillonen wurden die Truppen
^uch Hause geschasst, bis jeder seine Heimath wieder erreichte,
^ls auch Johann Grothe auf dem Bahnhof der kleinen Stadt
"usgeladen wurde, wohin er seinen Reiseschein erhalten, kam
%n Alles ganz anders vor; aber das Herz zog ihn doch freudig
Und mächtig zu den Scinigen, die er jetzt wieder haben sollte,
^ie Straßen und die Menschen waren ihm fremd geworden,
ober das Herz führte ihn richtig, und da sah er vor einem
°>ause drei Kinder spielen. Auf die eilte er zu; er nahm sie
°ws nach dem andern auf den Arm und herzte und küßte sie.
^ohl kamen sie ihm sehr verändert vor, doch hatte er sie deß-
^ulb nicht minder lieb. Aber die Kinder erkannten auch ihn
sucht mehr, sic wollten nichts von ihm wissen und das Kleinste
f^g an zu weinen; es wehrte sich gegen ihn und schrie laut
»ach der Mama. Die an-
f>cren retteten sich in den
Offenen Krämerladen und
^uch das Kleinste lief ihnen
Uuch, als er es wieder auf
°en Boden gesetzt.
Ihm war es recht weh-
^thig. „Ja, ja!" sagte
Cr- »So wird es vielen von
"uinen Kameraden ergehen.
Krieg hat so lange gc-
Uttert. Die eigenen Kinder
^kennen uns nicht mehr;
über vielleicht macht das die
^oldatenjacke!"
^ So trat er denn auch in den Laden und da sah er seine
Uuau, wie sie eben gebrannten Kaffee in kleine Düten füllte.
trat vor sie an den Tisch, um sic zu überraschen, streckte
"uch ihr die Arme ans und lächelte sie an. Sie aber that
'Uchts dergleichen. Sic fragte ihn kalt, ob er aus dem Kriege
tame und was er wünsche, ob er auch aus dem Orte sei und
ub er ihren Mann nicht gesehen.
Johann Grothe war schon eingetretcn mit der Vorstellung,
er gehe in ein Unrechtes Haus, aber sein Herz fühlte sich zu
Hause, und mochte ihm auch die Frau sehr verändert erscheinen,
er war glücklich, sie so frisch und gesund wieder zu haben. Er
packte sie also über den Tisch hinweg und rief: „Ich bin's
ja. Dein Johann! Kennst Du mich denn nicht wieder?"
Aber die Frau wehrte sich, sie schrie, nannte ihn einen
Unverschämten und eilte fort, um Hilfe zu holen. Johann
Grothe schüttelte den Kopf, er wunderte sich jetzt erst, daß seine
Frau während des Krieges ans die Idee gekommen sei, einen
Kramladen anznlegen. Er trat hinter den Ladentisch, las auf
den Schubladen: Pfeffer. Salz, Pimpernell. Zimmet rc., und
auf den Gläsern las er:
Zwetschgenmus, Latwerge,
Honig, Kamillen rc. Und
da trat eben ein Nachbars-
kind ein und verlangte für
fünf Pfennig' Gewürznelken.
Als cs ihn sah, blickte cs
ihn erschreckt an und stotter-
te, es wolle wiederkommen,
wenn die Frau Grothe da sei.
Inzwischen ging er seiner
Frau durch die Glasthür nach
und fand sie, wie sie furchtsam mitten im Zimmer stand. Er
war recht verstimmt durch diesen Empfang und sagte ihr, er
sei ermüdet von der Reise, setzte sich an den Tisch und stützte
den Kops in die Hand. Als sie aber noch immer dastand und
nichts redete, fragte er nach allerlei, ob sic sich eigentlich den
bösen Backzahn habe ausreißen lassen, der ihr so weh gethan,
ob sie noch lange geweint um den Tod ihres armen Bruders,
ob der kleine Franz noch öfters an dem bösen Husten gelitten
und nach Anderem, woran das Herz eines Familienvaters
hängt. Dann trat er in das Schlafzimmer, sah die Kiste öffen
stehen, in welcher das Geld verwahrt wurde und die Briefe
und Papiere lagen, die nicht Jeder sehen sollte, und suchte
gerade das heraus, was ihm das Wichtigste war, um sich zu
überzeugen, daß noch Alles in Ordnung. Die Frau schaute
ihm ängstlich durch die hintere Glasthür zu.
„Jesus, Jesus! Was ist dies nur! Er thut wirklich,
als wäre er mein Mann; er weiß und kennt Alles, was kein
Anderer wissen kann! Es ist doch aber unmöglich, daß zwei
Jahre ihn so verändert haben könnten! Seine Augen sind
ganz anders, sein Bart war sonst braun und jetzt ist er blond,
>md seine Stimme ist auch eine andere, gar nicht zu reden
von der Nase, die länger geworden ist als sie sonst war!"
Johann Grothe kehrte zu ihr zurück; er war sehr zerstreut
und begehrte zu essen. Halt! dachte die Frau, jetzt wirst du
ihn auf die Probe stellen! Wenn ich seinem Magen kalte
Bratwurst zum Frühstück vorsetzte, dann war er den ganzen
Tag freundlich gegen mich! Sie fragte also, was er am
liebsten esse.
„Kalte Bratwurst, Du weißt es ja!" sagte er, und das
war ein sicheres Zeichen. Aber sie wußte noch ein anderes:
Die beiden Landwehrmänner.
er Nachts in das Lager kam und die Bivouak-Fmer um ihn
kannten. konnte er nicht schlafen, während doch die Kameraden
Uln ihn her so laut schnarchten, daß es klang, wie ferner Kanonen-
donner. Er hatte allerlei sonderbare Vorstellungen, die ihm
>°nst fremd gewesen. Ihm träumte nämlich bei offenen Augen,
ei ln ein Schreiner, der seine Gesellen und Lehrburschen daheim
hatte lassen müssen, um in den Krieg zu ziehen, und sah sich
9an3 deutlich, wie er daheim mit dem Metermaß, dem Winkel
"ud dem Leintopf hantirt, hatte auch allerlei Handwerksausdrücke
Kopf, die er sonst nie gekannt, und machte sich Gedanken
darüber, ob wohl die Arbeiten daheim alle richtig von den
Gesellen besorgt würden.
Johann Grothe drehte sich auf dem Stroh herum, und da
^gann sein Herz, sich nach seinem Weibe und seinen Kindern zu
sehnen: er freute sich, sie bald wieder an sich drücken zu können,
^ud dabei ward ihm das herz müde und schlief mit ihm ein.
„Gott sei Dank!" sagte Johann Grothe einige Tage später,
»der Friede ist geschlossen und wir können heim!" Und so
Teschah es. In Compagnien und Bataillonen wurden die Truppen
^uch Hause geschasst, bis jeder seine Heimath wieder erreichte,
^ls auch Johann Grothe auf dem Bahnhof der kleinen Stadt
"usgeladen wurde, wohin er seinen Reiseschein erhalten, kam
%n Alles ganz anders vor; aber das Herz zog ihn doch freudig
Und mächtig zu den Scinigen, die er jetzt wieder haben sollte,
^ie Straßen und die Menschen waren ihm fremd geworden,
ober das Herz führte ihn richtig, und da sah er vor einem
°>ause drei Kinder spielen. Auf die eilte er zu; er nahm sie
°ws nach dem andern auf den Arm und herzte und küßte sie.
^ohl kamen sie ihm sehr verändert vor, doch hatte er sie deß-
^ulb nicht minder lieb. Aber die Kinder erkannten auch ihn
sucht mehr, sic wollten nichts von ihm wissen und das Kleinste
f^g an zu weinen; es wehrte sich gegen ihn und schrie laut
»ach der Mama. Die an-
f>cren retteten sich in den
Offenen Krämerladen und
^uch das Kleinste lief ihnen
Uuch, als er es wieder auf
°en Boden gesetzt.
Ihm war es recht weh-
^thig. „Ja, ja!" sagte
Cr- »So wird es vielen von
"uinen Kameraden ergehen.
Krieg hat so lange gc-
Uttert. Die eigenen Kinder
^kennen uns nicht mehr;
über vielleicht macht das die
^oldatenjacke!"
^ So trat er denn auch in den Laden und da sah er seine
Uuau, wie sie eben gebrannten Kaffee in kleine Düten füllte.
trat vor sie an den Tisch, um sic zu überraschen, streckte
"uch ihr die Arme ans und lächelte sie an. Sie aber that
'Uchts dergleichen. Sic fragte ihn kalt, ob er aus dem Kriege
tame und was er wünsche, ob er auch aus dem Orte sei und
ub er ihren Mann nicht gesehen.
Johann Grothe war schon eingetretcn mit der Vorstellung,
er gehe in ein Unrechtes Haus, aber sein Herz fühlte sich zu
Hause, und mochte ihm auch die Frau sehr verändert erscheinen,
er war glücklich, sie so frisch und gesund wieder zu haben. Er
packte sie also über den Tisch hinweg und rief: „Ich bin's
ja. Dein Johann! Kennst Du mich denn nicht wieder?"
Aber die Frau wehrte sich, sie schrie, nannte ihn einen
Unverschämten und eilte fort, um Hilfe zu holen. Johann
Grothe schüttelte den Kopf, er wunderte sich jetzt erst, daß seine
Frau während des Krieges ans die Idee gekommen sei, einen
Kramladen anznlegen. Er trat hinter den Ladentisch, las auf
den Schubladen: Pfeffer. Salz, Pimpernell. Zimmet rc., und
auf den Gläsern las er:
Zwetschgenmus, Latwerge,
Honig, Kamillen rc. Und
da trat eben ein Nachbars-
kind ein und verlangte für
fünf Pfennig' Gewürznelken.
Als cs ihn sah, blickte cs
ihn erschreckt an und stotter-
te, es wolle wiederkommen,
wenn die Frau Grothe da sei.
Inzwischen ging er seiner
Frau durch die Glasthür nach
und fand sie, wie sie furchtsam mitten im Zimmer stand. Er
war recht verstimmt durch diesen Empfang und sagte ihr, er
sei ermüdet von der Reise, setzte sich an den Tisch und stützte
den Kops in die Hand. Als sie aber noch immer dastand und
nichts redete, fragte er nach allerlei, ob sic sich eigentlich den
bösen Backzahn habe ausreißen lassen, der ihr so weh gethan,
ob sie noch lange geweint um den Tod ihres armen Bruders,
ob der kleine Franz noch öfters an dem bösen Husten gelitten
und nach Anderem, woran das Herz eines Familienvaters
hängt. Dann trat er in das Schlafzimmer, sah die Kiste öffen
stehen, in welcher das Geld verwahrt wurde und die Briefe
und Papiere lagen, die nicht Jeder sehen sollte, und suchte
gerade das heraus, was ihm das Wichtigste war, um sich zu
überzeugen, daß noch Alles in Ordnung. Die Frau schaute
ihm ängstlich durch die hintere Glasthür zu.
„Jesus, Jesus! Was ist dies nur! Er thut wirklich,
als wäre er mein Mann; er weiß und kennt Alles, was kein
Anderer wissen kann! Es ist doch aber unmöglich, daß zwei
Jahre ihn so verändert haben könnten! Seine Augen sind
ganz anders, sein Bart war sonst braun und jetzt ist er blond,
>md seine Stimme ist auch eine andere, gar nicht zu reden
von der Nase, die länger geworden ist als sie sonst war!"
Johann Grothe kehrte zu ihr zurück; er war sehr zerstreut
und begehrte zu essen. Halt! dachte die Frau, jetzt wirst du
ihn auf die Probe stellen! Wenn ich seinem Magen kalte
Bratwurst zum Frühstück vorsetzte, dann war er den ganzen
Tag freundlich gegen mich! Sie fragte also, was er am
liebsten esse.
„Kalte Bratwurst, Du weißt es ja!" sagte er, und das
war ein sicheres Zeichen. Aber sie wußte noch ein anderes:
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die beiden Landwehrmänner"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 87.1887, Nr. 2197, S. 87
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CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg