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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 16.1918

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NEUE BUCHER

Heinrich Tessenow: Hausbau und der-
gleichen. Bruno Cassirer Verlag, Berlin, 1916.
Wenn man die Summe der störenden und zerstören-
den Eingriffe des Krieges in das Leben der schaffenden
Menschheit überschaut, ist man versucht zu glauben,
dass unsere Generation von der Geschichte dazu ver-
dammt wurde, zermahlen und als Dünger einer kom-
menden Ernte in die aufgepflügte Erde gestreut zu
werden. Auch unserer vielbeschrieenen Kultur ist nichts
anderes beschieden, wofern wir nicht selbst eine neue
Ernte zeitigen.

Man könnte nun vorschnell die Art dieser Ernte
konstruieren und postulieren, und man hat es insbe-
sondere für unsere „Kunst" und „Kultur" mannig-
fach gethan. Es ist nutzlos. Was auf dem Gebiet
des Schaffens kommen muss, das kommt, ob postuliert
oder nicht. Wohl aber kann man beobachten, was in
der eignen Brust und der der Freunde still sich regt,
und kann behutsam mitteilen, was man am eigenen
Zeichentisch erfahren, wenn man weiss, dem gleichen
Erleben anderer dadurch Worte zu geben.

Die Wucht der ersten Kriegsmonate Hess alles
nicht kriegerische Thun und Denken so sinnwidrig er-
scheinen, dass jeder den Griffel, Meissel oder Pinsel
hinwarf und nach einem Schwert oder doch etwas
Schwertähnlichem suchte. Und viele fanden ihren
rechten Platz. In den übrigen regte sich allmählich
die Erkenntnis, dass jeder an seiner Stelle treu zu sein
habe; dass es dem Kriege nichts nütze, mit seinen Ge-
danken ums Ganze herum zu irrlichtelieren. Und so

ergriff man seine Arbeit, auch seine künstlerische Arbeit
wieder mit einer ganz neuen Kraft und Sammlung, ge-
wissermassen auf Leben und Tod. Denn, das fühlte man,
wer jetzt wertlos arbeitete, war selber doppelt wertlos.

Für die Arbeit des Architekten, auf die sich meine Er-
fahrung bezieht, kamen zwei äussere Umstände zu Hilfe:

Erstens: man hatte wieder Zeit. Angesichts der
Unlust und später der Unmöglichkeit zur Bauausführung
konnte man jene Müsse aufs Projekt verwenden, jene
Arbeitspausen einschalten, die zur Reife unerlässlich
sind. Wohl gelingt eine Skizze, ein Einfall in der Hitze
und dem Gedränge des Werktages. Jene Augenblick-
skizzen auf einem Fetzen Papier behalten ihren Intui-
tions-Wert. Aber planen heisst nicht skizzieren, planen
heisst reifen, und reifen braucht Zeit, braucht Tag und
Nacht, Tau und Sonne. Fast alle Sünden unsrer Bau-
kunst, dies unfehlbare Versagen auch tüchtiger Bau-
meister und guter Bauabsichten beruht auf dem Mangel
an Reife.

Als zweiter Umstand kam der Mangel an Hilfs-
kräften zustatten. Das heisst: die Maschinerie war so
gestört und zerstückt, dass man wieder selber Strich um
Strich ziehen musste. Und siehe da, Arbeiten, die man
als mechanische auf andere abgeladen und nur korrigie-
rend beaufsichtigt hatte, die bekamen unter dem
eigenen Stift, unter der eigenen Feder unheimliches
Leben, ja von ihnen ging geradezu das Leben aus.
Jede Linie, jede Form, jede Proportion wurde wesent-
lich, das scheinbar Unwichtige wurde wichtig, wurde
Wesen, und alles Unwesentliche löste sich auf in

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