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II n st

l a t t.

Dienstag, 1. Januar 1853.

Adonis,

Statue von Thorwaldsen in der Glyptothek Sr.

Majestät des Königs von Bayern.

Der Platz für diese Bildsäule war seit der Eröff-
nung der Glyptothek zubereitet, aber erst vor wenigen
Monaten traf dieselbe in München ein und ist nun als
die größte Zierde des Saals der Neuern in der Mitte
desselben aufgestellt.

Der Jüngling steht, den rechten Arm auf einen
Baumstamm gestützt, über den die Zagerchlamys gewor-
fen ist, in der Rechten einen gesenkten Speer haltend,
die Linke in die Hüfte gestemmt. Ein Hase, der an
dem Baumstamm hangt, deutet die eben geendigte Jagd
an. Der völlig unbekleidete Körper ruht auf dem linken
Fuß, denn der rechte ist leicht zurückgezogen und auf
die Zehen gestellt. Sein Angesicht ist etwas nach der
rechten Seite gesenkt und er scheint in Gedanken verlo-
ren. Ueber alle feine Glieder ist die Schönheit blühen-
der Jugend ergriffen; die männliche Kraft des Jagers
vereint sich in ihnen mit jener knabenhaften Anmutb,
welche dem Liebling der Göttinnen zukommt. Sein
Haar ist weich mit einer Binde umschlungen; die schön-
sten natürlichen Locken quellen unter ihr hervor und um-
geben sein Antlitz. Stille Betrachtung, Sehnsucht, ja
eine trübe Ahnung drückt sich in den schönen Zügen aus,
und die mit einiger Spannung eingebogenen Finger der
in die Höhe gestemmten linken Hand scheinen anzudeu-
ten, daß er in tiefster Seele beschäftigt, vielleicht in
Erwartung der kommenden Geliebten sey.

An dieser Statue fühlt man, was dazu gehört, daß
der Beschauer eines Kunstwerkes recht froh werde. So
innerlich und äußerlich vollendet sind nur wenige Werke
der neueren Zeit. Wahrheit des Gedankens, Schönheit
der Auffassung und die größte Meisterschaft über Natur
und Technik sind hier in gleichem Maaße vereinigt. Die
höchste Aufgabe der Plastik ist hier gelöst, einen' abge-
schlossenen Charakter in edelster Schönheit lebenvoll dar-
zustellen.

Mer freilich in diesem Adonis nur einen reizenden
Knaben sieht, mag immerhin an den schönen Gliedern
seine Blicke weiden, mag die zarte, lebenvolle Ausbil-
dung der Formen bewundern, die in Weichheit, Beweg-
lichkeit und reizender Fülle mit der Natur zu wetteifern
scheinen. Er wird nicht danach fragen, warum diese
Gestalt ein Adonis sey, und es bleibt ihm gleichgültig,
daß der Künstler traf, was uns verständig und passend
dünkt.

Zu jenem sinnlichen Zweck wäre freilich Lebendigkeit
sinnlicher Auffassung hinreichend gewesen. Aber die
Gabe, mit Schärfe des Blicks und lebhafter Empfin-
dung die Natur zu sehen und nachzubilden, macht noch
keinen schaffenden Künstler. Du allein, Tochter des
Himmels, die du Übersinnliches in schaubare, tastbare,
hörbare Formen kleidest, du allein, freie selbstschaffende
Phantasie, bist es, die nie Gesehenes hervorruft, mit
Empfindung durchdringt, mit Leben durchhaucht und als
vollendetes Bild vor uns hinstellt.

Als Thorwaldsen diesen Adonis entwarf, formte er
nicht einen schönen Knaben und nannte ihn Adonis; er
hatte den Adonis gedacht, im Geiste gesehen, seine Phan-
tasie hatte ihn erzeugt, noch eh' er den Thon dazu auf-
baute.

Daß Adonis als Kind schon von Aphrodite geliebt,
feiner Schönheit wegen von Proserpina geraubt, auf
Befehl des Zeus ein Drittheil des Jahres der Unter-
welt ein zweites Drittheil der Aphrodite verblieb, und
das dritte, was ihm eigen gehörte, freiwillig der
Aphrodite schenkte; daß er ein Jager war und in früher
Zugend, ein Bild.der schnellverwelkenden Schönheit, starb
— dies; Alles war Thorwaldsen nicht gleichgültig bei
dem Entwurf seiner Figur. Seine Gedanken weilten
auf diesen Umständen und feine Phantasie bildete ih-
nen nach.

Daher diese schwellenden, sinnliche Lust verkündenden
Formen, diese Gedanken der Liebe auf dem üppigen Mund
und in den schwärmerischen Augen; daher aber auch,
in wunderbarer Verbindung mit so knabenhafter Weich-
lichkeit, das Robuste, Durchgebikdete, Männlich-Edle
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