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Lunstverein in München.
Februar, März 1835.
W. Gail, das Kloster S. Juan de los Rcyes in
Toledo, von den Franzosen im Jahr 1810 gestürmt und
von den Guerillas unter Anführung der Mönche verthei-
digt, 2%‘ doch, 3l/a' breit. Wir sehen uns im Innern
eines Kirchenschiffes im altdeutschen Styl, dessen Wöl-
bungen Zusammenstürzen. Durch die weite Oeffnung sieht
man den lichten Himmel und den Thurm der Kirche, der
im gleichen Baustyle aufgeführt ist. Schutt und rauchende
Trümmer bedecken den Mittelgrund, in welchem ver-
schiedene kriegerische Gruppen angebracht sind. Der Vor-
dergrund ist im reflektirlcn Licht gehalten. Wir sind von
W. Gail gewohnt, daß er uns Interessantes aus dem
Gebiete der Architektur, und zwar meistentheils auf in-
teressante Weise darstcllt; wir erinnern uns aber kaum
eines Bildes von ihm, dessen Eindruck so überraschend
und ergreifend gewesen, als des gegenwärtigen. Abgesehen
davon, daß cö mit großer Ausführlichkeit (obgleich breit)
behandelt, daß es vortrefflich gezeichnet und in richtiger
Luft- und Linienperspektive gehalten, daß die Verschie-
bungen die befriedigendsten Formen bilden, daß die Fär-
bung saftig, klar und warm ist, so liegt noch immer die
Hauptwirkung im Motiv, das wir etwa so bezeichnen
möchten, daß der Organismus der mittelalterlichen Bau-
kunst nicht zu zerstören und daß ihre Merke selbst in
Trümmern, ja in jedem einzelnen Theil alS ein festes
und erhabenes Ganze dastehen. Damit steht nun die
Staffage (bei der vorzüglich die Gruppe des edlen Mönchs
und verwundeten Franzosen die Aufmerksamkeit fesselt),
die für ihren Klauben fechtenden und sterbenden Spanier,
in genauer Verbindung, wiewohl ihr Interesse bei der
entschiedenen, erhabenen Bedeutsamkeit deü Ganzen, nur
ein sekundäres seyn kann. Vernehmlicher schon sprechen
die steinernen Heiligen an den Säulen des Schiffs, mit
ihren verstümmelten und doch noch immer zum Gebet
oder zum Segen aufgehobenen Armen mit. — Dieses —
auch um der Kenntniß des spanischen Kirchenbaustyls
willen - höchst schätzbare Bild ist im Besitz deö Herrn
Baron v- Lotzbcck in München.
Neri» (in Rom?), Büffel ziehen einen mit einem
großen Marmorblock belasteten Frachtkarrcn durch die
Campagna bei Carrara, 5' breit, 4' hoch. Regengewölk
überdeckt den größten Theil des Himmels, links in der
Ferne ist das Meer sichtbar, rechts schließen zwei hohe
Gebirgsabtheilungen den Hintergrund; den Mittelgrund
bildet die Ebene der Campagna, in der nichts sichtbar
ist, als ein verfallener Thurm und eine Heerde Büffel,
die desselben Weges mit dem Frachtwagen kommen. Eine
ganz ungebahnte und scheinbar unbefahrbare Straße zieht
sich nach dem Vordergrund, in welchem cbengenanute
Scene vorgeht. Sechs Büffel ziehen an dem Niesenblock
mit größter Anstrengung; auf der Höhe desselben sizt einer
der Führer und treibt sie mit einer langen spitzigen Lanze
an; ein anderer zur Linken leistet mit einem Hebebanm
Dienste, die nicht deutlich sind, da gerade der Hebepunkt
nicht zu sehen ist; auf der andern Seite erblickt man
einen dritten zu Pferd, wie der erste mit einer Lanze
bewaffnet, in die leere Campagna zurückblickend, einen
vierten daneben mit einem Hebebaum herbeieilend, und
und endlich einen fünften, das vordere Büffclpaar an
Stricken führend, die an eiserne, in den Nasenlöchern
befestigte, Ringe geknüpft sind. Die Form der ganzen
Zusammenstellung, die oben in die Spitze des von dem
Marmorblock herab leitenden Führers ausgeht, bat etwas
sehr Eindrucksvolles, das durch das richtige Verhältniß
der Figuren zum Raum erhöht wird. Inzwischen erkennt
man ans den ersten Blick, daß es dem Künstler haupt-
sächlich um die Büffel zu thun gewesen, deren Natur er
mit besonderer Vorliebe und Ausdauer studirt, und die
uns hier auch mehr als der Nebelhimmel und die blau-
grünen Berge daran erinnern, daß wir uns jenseits der
Alpen befinden. Mit außerordentlicher Meisterschaft sind
die Physiognomien, der Körperbau und die Bewegungen
dieser seltsamen Sumpfgeschöpfe wiedergegeben, und in
dieser Beziehung hat daö Bild gewiß nicht seines Glei-
chen. Dagegen leidet die ganze Darstellung an einem
Nebel, das den Beschauer in einen durchaus unbehag-
lichen Zustand versezt, an dem der unentwickelten Anla-
gen, wovon Unklarheit und Widersprüche die nothwendige
Folge sind. Bei der Last der Ladung und dem gräulichen
Weg ist cs kein Wunder, daß ein paar der Thiere stür-
zen. Daß eS gerade das mittlere Paar ist, muß man
sich gefallen lassen; aber daß kein Mensch beschäftigt ist,
sie aufzutreiben, daß das vordere Paar zum Weiterziehen
gezogen, das Hintere mit der Lanze gespornt wird, was
alles ganz erfolglose Bemühungen seyn müssen, daß der
Mann mit dem rechtwinkligeingesezten Hebebaum viel-
leicht gar den Wagen aufbält, gibt das erwähnte unan-
genehme Gefühl. Der Reiter wäre vielleicht ein Freund
in der Noth, aber er sieht gar nicht hin, wo es fehlt;
sondern in die leere Campagna. — Die technische Aus-
führung dieses Bildes geht nicht ganz gleichen Schritt
mit derjenigen, an die man durch hiesige Genregcmälde
gewöhnt ist, sowohl in Bezug auf Bestimmtheit in der
Zeichnung, als vorzüglich auf Kraft, Klarheit und Frische
der Färbung. Eine besondere Thcilnahme hat ihm aber
der Künstler für alle künftige Zeiten gesichert, indem er
Thorwaldsens Namen an den Marmorblock schrieb und
diese» somit zu einem bestimmten, einzelnen machte, von
dem wir immer zu wissen gespannt bleiben, welcher schö-
nen Bestimmung er entgegengefahren wird.
Lunstverein in München.
Februar, März 1835.
W. Gail, das Kloster S. Juan de los Rcyes in
Toledo, von den Franzosen im Jahr 1810 gestürmt und
von den Guerillas unter Anführung der Mönche verthei-
digt, 2%‘ doch, 3l/a' breit. Wir sehen uns im Innern
eines Kirchenschiffes im altdeutschen Styl, dessen Wöl-
bungen Zusammenstürzen. Durch die weite Oeffnung sieht
man den lichten Himmel und den Thurm der Kirche, der
im gleichen Baustyle aufgeführt ist. Schutt und rauchende
Trümmer bedecken den Mittelgrund, in welchem ver-
schiedene kriegerische Gruppen angebracht sind. Der Vor-
dergrund ist im reflektirlcn Licht gehalten. Wir sind von
W. Gail gewohnt, daß er uns Interessantes aus dem
Gebiete der Architektur, und zwar meistentheils auf in-
teressante Weise darstcllt; wir erinnern uns aber kaum
eines Bildes von ihm, dessen Eindruck so überraschend
und ergreifend gewesen, als des gegenwärtigen. Abgesehen
davon, daß cö mit großer Ausführlichkeit (obgleich breit)
behandelt, daß es vortrefflich gezeichnet und in richtiger
Luft- und Linienperspektive gehalten, daß die Verschie-
bungen die befriedigendsten Formen bilden, daß die Fär-
bung saftig, klar und warm ist, so liegt noch immer die
Hauptwirkung im Motiv, das wir etwa so bezeichnen
möchten, daß der Organismus der mittelalterlichen Bau-
kunst nicht zu zerstören und daß ihre Merke selbst in
Trümmern, ja in jedem einzelnen Theil alS ein festes
und erhabenes Ganze dastehen. Damit steht nun die
Staffage (bei der vorzüglich die Gruppe des edlen Mönchs
und verwundeten Franzosen die Aufmerksamkeit fesselt),
die für ihren Klauben fechtenden und sterbenden Spanier,
in genauer Verbindung, wiewohl ihr Interesse bei der
entschiedenen, erhabenen Bedeutsamkeit deü Ganzen, nur
ein sekundäres seyn kann. Vernehmlicher schon sprechen
die steinernen Heiligen an den Säulen des Schiffs, mit
ihren verstümmelten und doch noch immer zum Gebet
oder zum Segen aufgehobenen Armen mit. — Dieses —
auch um der Kenntniß des spanischen Kirchenbaustyls
willen - höchst schätzbare Bild ist im Besitz deö Herrn
Baron v- Lotzbcck in München.
Neri» (in Rom?), Büffel ziehen einen mit einem
großen Marmorblock belasteten Frachtkarrcn durch die
Campagna bei Carrara, 5' breit, 4' hoch. Regengewölk
überdeckt den größten Theil des Himmels, links in der
Ferne ist das Meer sichtbar, rechts schließen zwei hohe
Gebirgsabtheilungen den Hintergrund; den Mittelgrund
bildet die Ebene der Campagna, in der nichts sichtbar
ist, als ein verfallener Thurm und eine Heerde Büffel,
die desselben Weges mit dem Frachtwagen kommen. Eine
ganz ungebahnte und scheinbar unbefahrbare Straße zieht
sich nach dem Vordergrund, in welchem cbengenanute
Scene vorgeht. Sechs Büffel ziehen an dem Niesenblock
mit größter Anstrengung; auf der Höhe desselben sizt einer
der Führer und treibt sie mit einer langen spitzigen Lanze
an; ein anderer zur Linken leistet mit einem Hebebanm
Dienste, die nicht deutlich sind, da gerade der Hebepunkt
nicht zu sehen ist; auf der andern Seite erblickt man
einen dritten zu Pferd, wie der erste mit einer Lanze
bewaffnet, in die leere Campagna zurückblickend, einen
vierten daneben mit einem Hebebaum herbeieilend, und
und endlich einen fünften, das vordere Büffclpaar an
Stricken führend, die an eiserne, in den Nasenlöchern
befestigte, Ringe geknüpft sind. Die Form der ganzen
Zusammenstellung, die oben in die Spitze des von dem
Marmorblock herab leitenden Führers ausgeht, bat etwas
sehr Eindrucksvolles, das durch das richtige Verhältniß
der Figuren zum Raum erhöht wird. Inzwischen erkennt
man ans den ersten Blick, daß es dem Künstler haupt-
sächlich um die Büffel zu thun gewesen, deren Natur er
mit besonderer Vorliebe und Ausdauer studirt, und die
uns hier auch mehr als der Nebelhimmel und die blau-
grünen Berge daran erinnern, daß wir uns jenseits der
Alpen befinden. Mit außerordentlicher Meisterschaft sind
die Physiognomien, der Körperbau und die Bewegungen
dieser seltsamen Sumpfgeschöpfe wiedergegeben, und in
dieser Beziehung hat daö Bild gewiß nicht seines Glei-
chen. Dagegen leidet die ganze Darstellung an einem
Nebel, das den Beschauer in einen durchaus unbehag-
lichen Zustand versezt, an dem der unentwickelten Anla-
gen, wovon Unklarheit und Widersprüche die nothwendige
Folge sind. Bei der Last der Ladung und dem gräulichen
Weg ist cs kein Wunder, daß ein paar der Thiere stür-
zen. Daß eS gerade das mittlere Paar ist, muß man
sich gefallen lassen; aber daß kein Mensch beschäftigt ist,
sie aufzutreiben, daß das vordere Paar zum Weiterziehen
gezogen, das Hintere mit der Lanze gespornt wird, was
alles ganz erfolglose Bemühungen seyn müssen, daß der
Mann mit dem rechtwinkligeingesezten Hebebaum viel-
leicht gar den Wagen aufbält, gibt das erwähnte unan-
genehme Gefühl. Der Reiter wäre vielleicht ein Freund
in der Noth, aber er sieht gar nicht hin, wo es fehlt;
sondern in die leere Campagna. — Die technische Aus-
führung dieses Bildes geht nicht ganz gleichen Schritt
mit derjenigen, an die man durch hiesige Genregcmälde
gewöhnt ist, sowohl in Bezug auf Bestimmtheit in der
Zeichnung, als vorzüglich auf Kraft, Klarheit und Frische
der Färbung. Eine besondere Thcilnahme hat ihm aber
der Künstler für alle künftige Zeiten gesichert, indem er
Thorwaldsens Namen an den Marmorblock schrieb und
diese» somit zu einem bestimmten, einzelnen machte, von
dem wir immer zu wissen gespannt bleiben, welcher schö-
nen Bestimmung er entgegengefahren wird.