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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 29.1918

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Hagen, Oskar: Einheit der künstlerischen Persönlichkeit, Grünewald, Italien: ein kritischer Diskurs über Stilbildungsfaktoren
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https://doi.org/10.11588/diglit.6188#0125

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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXIX. Jahrgang 1917/1918 Nr. 22. 8. März 1918

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 10 Mark.
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EINHEIT DER KÜNSTLERISCHEN PERSÖNLICHKEIT, GRÜNEWALD, ITALIEN

Ein kritischer Diskurs über Stilbildunosfaktoren
von Oskar Haoen

Der Tag stellt solche Anforderungen auch an den Da-
heimgebliebenen, daß die Zeit zu wissenschaftlicher Produk-
tion schon nur mit Mühe aufzubringen ist. Zu entbehrlichen
Schreibereien greift man nicht gern; ganz und gar nicht
zu unfruchtbaren, die obendrein den Schreiber nötigen,
längst öffentlich Gesagtes noch einmal zu sagen! Leider
läßt sich das zuweilen dennoch nicht umgehen. Eine
Notiz (in Nr. 17 Tägl. Rundschau, Unterhalt.-Beil) habe
ich ignorieren können. Um so mehr, als die bestimmte
Antwort eines so gründlichen Kenners altdeutscher Malerei,
wie es Dr. Römer ist, mir hinreichend schien. Da aber
die Verfasserin jener Notiz ihre Ansichten bald darauf
noch einmal — und diesmal im fachwissenschaftlichen
Kreise zu veröffentlichen gut fand, wird es nun doch im
Interesse verfochtener historischer Wahrheiten Pflicht, den
Fall unter die Lupe zu nehmen, wenn auch unter eine
schärfere als die, welche Frl. Dr. E. Voigtländer in ihren
Äußerungen »Zur Italienreise Grünewalds« (Kunstchronik
Nr. 17 vom 1. II. 18) benutzt hat.

Da ich (S. 341) habe mitteilen dürfen, daß außer Prof.
H. A. Schmid, unserem wahrhaft grundlegenden und gründ-
lichsten Erforscher der Grünewaldmaterie, auch noch eine
Anzahl anderer Fachgenossen ihre Zustimmung geäußert
haben (brieflich, wie das für affirmative Kritik üblich ist),
so verstehe ich nicht ganz, warum der Umstand, daß
meine »nicht leichtsinnig oder übereilt« veröffentlichte Be-
obachtung »bisher noch unwidersprochen« geblieben
ist, ihre sogenannte »erneute Untersuchung« »berechtigt«
erscheinen lassen soll. Ja ich muß gestehen, daß die
Rezensentin mit solchem Zutrauen zu ihrem Recht und
einer so ungenügenden Kenntnis des Textes meiner Be-
weisführung mir sehr viel verwunderlicher vorkommt, als
ihr der ausbleibende Widerspruch, für den der eingegangene
Zuspruch ja immerhin etwas wie eine Erklärung abgibt.

Der Nerv des ganzen — sagen wir: »Irrtums« auf seiten
des Frl. Dr. V. liegt in der sehr überzeugten, aber recht
wenig der Wahrheit entsprechenden Behauptung, ich sei
»nach Florenz gegangen, bloß, um für die Figur des Scher-
gen in Grünewalds Münchner Verspottung Christi — ein
Vorbild zu suchen.«

Jede gewissenhafte, zusammenhängende Durchlesung
meines Artikels wird aber überzeugen, daß ich in der Tat
nichts dergleichen unternommen habe.

Allerdings bin ich der Überzeugung, daß gesucht
werden »muß«; jedoch keineswegs nach Vorbildern, aus
denen dann gar eine italienische Reise behauptet oder be-
wiesen werden soll.

Wenn Frl. V. so argumentiert, so ist ihr offenbar
die einschlägige Literatur, in der immer wieder das Rätsel

»Italien?« den Problemen Richtung gibt, ebensowenig ge-
genwärtig als die drei oder vier längeren Einleitungsabschnitte
meiner ersten verklagten Aufsätze, in denen ich mich ge-
rade bemüht habe anzudeuten, wie all die zahllosen, dem
Erforscher dieses vielleicht dunkelsten Kapitels der deut-
schen Renaissancemalerei auf Schritt und Tritt begegnen-
den Imponderabilien (u.a. die sonst unerklärlichen, aus keinem
Stich oder ähnlichem gewinnbaren topographischen Kennt-
nisse Roms, die dekorativ formalen Anklänge an Castagno,
die für Deutschland exzeptionelle Bekanntschaft mit Eigen-
tümlichkeiten Lionardos oder mit Regiebesonderheiten
venezianischer Quattrocentisien — von Mantegna vorläufig
zu schweigen) immer wieder, selbst unter der eigensten,
deutschesten Formgebung als Italianismen durchblicken,
und deshalb an und für sich genügen müßten zur Aus-
sage: der Maler muß italienische Kunst gekannt haben!
Nein — nach einem »Vorbild« für diese oder jene »Figur«
habe ich nicht »gesucht«, wohl aber habe ich, als sich
endlich und zum erstenmal ein Stern zeigte, von dem etwas
wie eine Durchleuchtung des historischen Nebels zu er-
hoffen war, mich bemüht, diesen nicht aus der Senli ie zu
verlieren, sondern nach meinen Kräften von diesem einen
»Anhalt« aus die vielen zerstreuten, und ohne einen solchen
überhaupt nicht berechenbaren, Nebelflecke ihrer wahren
Konstellation nach zu erkennen und zu bestimmen. Mit
dem Satz also: »für die Italienreise bestehe sonst nicht
der geringste Anhalt«, hat die Verfasserin durchaus recht.
Nur der Sinn, den sie ihm gibt und der herauskommt, wenn
statt »Anhalt« »Wahrscheinlichkeitsgrund« gelesen wird, ist
völlig falsch.

Meine Einleitung gipfelte in dem Hinweis auf die von
allen Seiten her offenstehende Frage, die nur noch einer
Bestätigung bedürfe. Ich betonte, daß bei den Werken
Grünewalds überall neue, für Deutschland unbekannte,
für Italien aber altgewohnte Gestaltungmöglichkeiten zu
bemerken, nirgends aber Einzelheiten zu erfassen seien. Auf
dieser Basis ruhte mein Beweis. Sehr freundlich ist die
Neutralität der Renzensentin nicht, wenn sie diesen Sach-
verhalt auf den Kopf stellt. Ich habe dem offenen Pro-
blem den mangelnden Schlußstein einzufügen versucht,
nicht aber auf Grund einer »Zufallsähnlichkeit« eine Italien-
reise konstruieren zu wollen mich erdreistet!

Das hochnotpeinliche Revisionsverfahren erfordert die
Aufrollung der Angelegenheit von Grund auf.

Die Frage, wie gesagt, war a priori vorhanden; tau-
send Zeichen forderten eine Antwort. Und da ereignete
sich folgendes: Sowohl dem glücklichen EmJecker H.
Braune als dem Sachwalter Grünewalds H. A. Schmid
fällt an dem Münchner Verspottungsbilde die Einzig-
artigkeit der ikonographischen Anordnung auf.
 
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