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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 18.1906-1907

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Kunstgewerbliche Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.4869#0030

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22

KUNSTGEWERBLICHE RUNDSCHAU

toren — wahrlich, es ist ein tröstlicher Gedanke, daß das
moderne Kunstgewerbe, mag es im einzelnen auch an-
fechtbar sein, derartige Sinn- und Stilwidrigkeiten unmöglich
gemacht hat. Ep.

LEIPZIGER VEREINIGUNG FÜR ÖFFENTLICHE
KUNSTPFLEGE ')

Eine Beschreibung des alten Leipziger Rathauses im
Jahrgang 1841 der »Saxonia, Museum für sächsische Vater-
landskunde« wird durch nachstehende Sätze eingeleitet:
Wenige Städte haben in kurzer Zeit ihre äußere Gestalt
so sehr verändert, als dies mit Leipzig der Fall ist. Wie
sehr aber auch diese Stadt dadurch an Größe und Schönheit
gewonnen haben mag, so ist doch zugleich jenes alter-
tümliche Ansehen, welches dem ehrwürdigen Nürnberg
z. B. einen ganz besonderen Reiz verleiht, hier völlig ver-
schwunden. Nur einzelne Gebäude stehen noch da als
stumme Zeugen einer untergegangenen Zeit.« Diese be-
reits vor 65 Jahren geschriebenen Zeilen haben noch
heute und zwar in erhöhtem Maße Geltung. Nur in einer
Hinsicht müssen sie modifiziert werden. Die Stadt hat
ja seitdem noch gewaltiger an Größe zugenommen und
sich noch augenfälliger verändert, wir können aber nicht
behaupten, wenn wir sie mit den Augen des modernen
Städtebaukünstlers betrachten, daß sie in gleichem Maße
»schöner« geworden sei. Es hat das seinen Grund darin,
daß in Leipzig das Interesse für alle Fragen, welche die
bildenden Künste betreffen, ziemlich gering ist und daher
wenig auf diesen Gebieten getan wird. Auch allen neu-
zeitlichen Bestrebungen, welche sich auf künstlerischen
Städtebau, Denkmalschutz, Denkmalpflege, Hehnatschutz
Volkskunde und ähnliches erstrecken, steht man hier noch
recht teilnahm- und verständnislos gegenüber. Nur für
Musik hat man allenfalls in den maßgebenden Kreisen
noch etwas übrig, oft wohl weniger aus Überzeugung
und Begeisterung, sondern weil es in der »Musikstadt«
Leipzig traditionell ist und zum guten Ton gehört. Wer
nicht seinen Platz im Gewandhaus und seinen Logensitz
in der Oper hat, der hat keinen Anspruch, für voll ge-
rechnet zu werden. Außerdem ist man ja noch Mitglied
des Kunstvereins — selbstredend —, denn Sonntags vor-
mittags plaudert es sich doch in dessen Ausstellungs-
räumen zu gemütlich über dies und das — und wo sollten
die jungen Damen und Herren flirten, wenn der Kunst-
verein nicht wäre. Im übrigen überwiegen aber beim
Leipziger Publikum die kaufmännischen Interessen recht
erheblich, denn Leipzig ist eben in allererster Linie eine
Metropole des Handels und der Messe. Es ist ja nun
erklärlich, daß diesen beiden Faktoren, denen die Stadt
vornehmlich ihre Größe und ihren Wohlstand verdankt,
besondere Aufmerksamkeit und Fürsorge zugewendet wird.
Man sollte aber darüber die schon genannten künstlerischen
Gebiete nicht so sehr vernachlässigen. Ein guter Spieler
setzt doch nie alles auf eine Karte. Handel, Meßverkehr
und in kaufmännischen Betrieben basierender Wohlstand
sind variable Größen. Ich erinnere an den Zusammen-
bruch der Leipziger Bank unheilvollen Angedenkens und
die Wunden, die dadurch dem gesamten öffentlichen Leben
geschlagen wurden. Von größerer Dauer, ja schier un-
vergänglich sind die ästhetischen Werte eines reizvollen
Stadtbildes, welches gepflegt und vor mutwilliger Zer-
störung behütet auch materiellen Nutzen bringt. Sehen

1) Wir geben obigen auf Leipzig bezüglichen Beitrag
wieder, weil hier eine viel erörterte aktuelle Tagesfrage
angeschnitten wurde, die auch anderswo Widerhall wecken
dürfte. (Anm. d. Red.)

wir umher in der Welt und wir werden begreifen, welchen
dauernden Vorteil es einer Stadt bringt, im Ruf einer
»schönen« Stadt zu stehen. Nun wird ja niemand auf den
Gedanken kommen, aus Leipzig ein »Pensionopolis« wie
z. B. Dresden oder Wiesbaden oder eine Fremdenstadt
wie Rothenburg oder Hildesheim zu machen. Dazu fehlen
zu viele Vorbedingungen. Unbedingt möglich ist es aber
durch einen wohldurchgebildeten Bebauungsplan, der gut
gestaltete Straßen-, Platz- und Gartenanlagen, angenehme
Wohnviertel einheitlichen Charakters mit bequemen Zu-
gängen sowohl zur inneren Stadt wie zur bewaldeten Um-
gebung vorsieht, durch Erhaltung der schönen alten Bauten
und höheren künstlerischen Anforderungen entsprechende
Gestaltung der Neubauten und anderes mehr, wozu z. B.
auch eine ordentliche Straßenreinigung zu rechnen ist,
Leipzig eine größere Anziehung für den Fremden zu ver-
leihen und zwar nicht nur für den Vergnügungsreisenden,
der vorübergehend Aufenthalt nimmt, sondern auch für
solche Leute, die geneigt sind, sich hier dauernd nieder-
zulassen, um ihre Renten an einem Ort zu verzehren, der
die von einem angenehmen Wohnsitz zu fordernden Eigen-
schaften mit den Vorzügen einer großen Handels- und
Universitätsstadt in erwünschter Weise vereinigt. Es ist
klar, daß der Zuzug solcher Elemente der Stadt sehr er-
wünscht sein muß, denn dieselben bilden einen steuer-
kräftigen, stabilen und ruhigen Teil der Bevölkerung, der
nicht beherrscht von dem Hasten und Drängen nach Er-
werb sich der Pflege von Kunst und Wissenschaft sowie
gemeinnützigen Bestrebungen in reicherem Maße widmen
und dem Leben in der Stadt ein vornehmeres Gepräge
geben kann. Es ist in vorstehenden Erörterungen nur
ein Gesichtspunkt von vielen behandelt worden, um zu
zeigen, wie ersprießlich eine künstlerische Gestaltung des
Stadtbildes wirken kann. Es würde zu weit führen, zu er-
läutern, welche Bedeutung derselben für die einheimische
Bevölkerung in verschiedener Hinsicht beizumessen ist.

Es soll nun nicht geleugnet werden, daß in den
letzten Jahren ein Anlauf zum Bessern genommen wurde,
es ist manches Erfreuliche geschehen. Nicht immer aber
hat das künstlerische Verständnis dem guten Willen ent-
sprochen, oft hat es auch bei letzterem bewenden müssen.
Einige hierher gehörende Angelegenheiten wurden be-
reits in dem Aufsatz »Zwei Leipziger Wettbewerbe« im
Maiheft dieses Blattes erörtert. Aus der Fülle des sonst
noch über die hier in Frage kommenden Punkte Ge-
schriebenen sei die Abhandlung »Einheimische Bauweise
und Stilarchitektur« von Dr. Julius Zeitler im Jahrgang
1906 des Leipziger Kalenders erwähnt. Es soll hier nur
noch auf einen Punkt aufmerksam gemacht werden, dessen
Besprechung in der Tagespresse versagt blieb — nämlich
auf die Bebauung des östlich vom Völkerschlachtdenkmal
gelegenen Geländes. Es ist hierfür auf Veranlassung der
Immobiliengesellschaft ein Bebauungsplan aufgestellt und
behördlich genehmigt worden, der eigentlich alle Regeln
moderner Städtebaukunst außer acht läßt und in keiner
Weise den an die nähere Umgebung eines derartig her-
vorragenden Denkmals zu stellenden Anforderungen ent-
spricht. Der Plan ist nach dem berühmten Schachbrett-
muster entworfen und weist lediglich eine Anzahl sich
rechtwinkelig kreuzender Straßen verschiedener Breite
auf, welche ohne jede Beziehung zum Denkmal stehen
werden. In dessen unmittelbarer Nähe ist eine Bebauung
mit Wohnhäusern, bestehend aus Erd- und zwei Ober-
geschossen, teils in offener, teils in geschlossener Bau-
weise vorgesehen. Da zweifellos das Bauspekulantentum
auch hier neue unerfreuliche Proben seiner Tätigkeit ab-
legen wird, so gehört keine allzu große Phantasie dazu,
sich das Bild auszumalen, das jene Baublöcke von der
 
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